16. Oktober 2021, Gute-Nacht-Text
Durch die Verbundenheit mit seiner Umgebung und den Neid, welcher in einem Mensch entsteht, wenn er sieht, dass seine Freunden mehr Qualitäten haben, als er selbst, wird er dazu motiviert, ihre guten Eigenschaften zu erwerben.
So erwirbt er, weil er neidisch ist, wenn er sieht, dass sie einen höheres Niveau als er selbst haben, durch die Umgebung neue Eigenschaften. Aus diesem Grund, kann er nun größer sein, als wenn er diese Umgebung nicht hätte, da er durch sie neue Eigenschaften und Kräfte erwirbt.
RABASH, 1986/21, Betreffend über dem Verstand
Rabash konfrontiert uns mit einer menschlichen Eigenschaft, mit einer Un-Tugend, die viel Unheil angerichtet hat und täglich anrichtet, bis hin zum Mord: es geht um unseren Neid.
Dabei denke ich nicht zuerst an die typischen Beispiele von Kindern: „der hat ein Handy vonXY, das will ich auch“ – und nervt die Eltern, bis sie es kaufen. Ich meine auch nicht den missgönnenden Blick eines Zeitgenossen auf den neuen SUV seines Nachbarn mit noch mehr PS und noch mehr Power. Viel bewegender sind für mich Erzählungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, wo in unseren deutschen Städten und Dörfern ein großer Teil der Bevölkerung mitgeholfen hat bei der Suche, Mitbewohner jüdischen Glaubens zu verraten bzw. anonym zu melden. Die Bevölkerung spitzelt für die Unmenschen, die das Land regieren! Seit meiner Schulzei habe ich mich immer wieder gefragt, warum sie das getan haben? Aus Gehorsam? Das ist eine gängige Antwort. Aus Neid? In einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg, und nicht nur dort, wurden die Häuser der jüdischen Nachbarn geplündert, nachdem diese abgeholt und abtransporiert worden waren in die Vernichtungslager. Man hat sich bedient: an Möbeln aller Art, an Lampen, an Gebrauchsgegenständen, an Schmuck, wenn welcher zurückgelassen worden war. Obwohl man bis zur Nazi-Zeit einträchtig beieinanderlebte, der Ort vom Handel der jüdischen Mitbürger profitierte, eine jüdische Realschule eingerichtet wurde: hat sich die Stimmung mit Beginn des Nazi-Regimes verändert: aus guten Nachbarn wurden Feinde, die man los werden wollte. Ich denke bis heute: Neid hat hier eine große Rolle gespielt: Neid, Missgunst – und daraus wurde Verachtung, Hass, Feindschaft.
Steckt nicht hinter jeder Form von Neid und Eifersucht das Verlangen, das über unsere Augen ins Herz geht: ich möchte so sein wie der oder die andere, ich möchte das haben, was er oder sie hat – und dabei das bis ins Krankhafte gesteigerte Gefühl: der ist mehr wert als ich. Neid kann sich in einem Menschen doch erst entwickeln, wenn er sich herabgesetzt fühlt, einen Mangel in sich oder an sich empfindet, ob das nun objektiv stimmt oder nicht.
Wer in sich keinen Mangel verspürt, dessen Auge braucht nicht scheel und neidisch auf andere blicken. Mit Neid und Mangel in mir gibt es keinen Shalom in mir und keinen Shalom mit mir.
Bleibt die Frage, wie den Mangel, wie den Neid überwinden?
Die Antwort von Rabash überrascht mich: „wenn er sieht, dass sie ein höheres Niveau als er selbst hat,“ erwirbt er „durch die Umgebung neue Eigenschaften“ . Das heißt, wenn ich es richtig verstehe: in der Gemeinschaft mit Menschen mutiert der Neid, das Gefühl von Mangel, in innere Stärke, in ein Gefühl, ich bin etwas wert und ich will meinen Mitmenschen mit Achtung und Würde begegnen. Neid war gestern. Das hört sich an wie eine Umpolung von negativer in positive Energie.
Aber ich will eines mitbedenken: eine Form von Neid kann eine große Hilfe sein: der Neid auf den Schöpfer, sein zu wollen wie der Schöpfer, ihm ähnlich, mich an den Schöpfer anheften.
In dem Verlangen, mich seiner Größe, seiner Liebe und seiner Würde anzunähern, geschieht nach und nach eine Wandlung in mir, und der Shalom-feindliche Neid verblasst.
Und wieder komme ich an den Punkt: den Neid, die Un-Tugend, diesen Un-Frieden sehe ich bei anderen und bin schnell mit der Kritik. Es ist erste Aufgabe, den Neid in mir zu entdecken, meine Bedürfnisse, meinen Mangel – und daran in der Gemeinschaft mit anderen zu arbeiten, dass sich unsere Herzen zu Shalom-Herzen wandeln.
Das alles ist nicht allein mit dem Verstand zu regeln – ich spüre die tiefe Weisheit von Rabash. Die Kabbala, wie Rabash sie vertritt, setzt an bei den Wurzeln in uns, in unserer Seele. Denn unsere Seele ist u.a. die Brutstätte für Neid, Missgunst und all das Boshafte, das unser Zusammenleben stört und zerstört. Also setzt die Kabbala an dieser unserer Seele an, um uns einen Weg zu zeigen aus unserem Neid-Dilemma! Und das hört sich für mich sehr realistisch an.