Lässt Kabbala „weltlichen Genuss“ zu?

Die Proteste des Körpers gegen die spirituelle Arbeit, die ihm kein großes Vergnügen bereitet und keine Aussicht auf eine Belohnung bietet, kennt man als „gemeine Zunge“.

Dr. Michael Laitman, Leben aus der Kabbala, Seite 148.

Der Genuss, der gespürt wird, wenn das Licht das Verlangen füllt, verschwindet im Punkt des Kontaktes. Das Essen löscht den Mangel, der bestanden hat, den Hunger. Ist man gesättigt, bereitet mehr Essen nicht unbedingt mehr Genuss.

Alle Verlangen kann man einteilen in tierische Verlangen, wie Essen, Sex und Familie, sowie menschliche Verlangen, wie Geld, Macht und Wissen. Diese Steigerung der Verlangen basiert auf einer egoistischen Erfüllung: Das Verlangen zu empfangen sucht nach Befriedigung.

Als höchstes Verlangen dieser Pyramide gilt der Wunsch nach Spiritualität. Dieser besteht darin, so zu geben und zu lieben, wie der Schöpfer seine Geschöpfe liebt und beschenkt. Der Ort der Erfüllung des Verlangens nach Spiritualität ist nicht mehr das eigene Gefäß, sondern der Mangel des Nächsten. Die Nächstenliebe, Schöpferliebe. Mit dem Verlangen nach Spiritualität kommt die egoistische Entwicklung des Wunsches zu Ende, ein qualitativer Sprung passiert mit dem Erwachen dieses Punktes im Herzen, der auf den Nächsten, den Schöpfer ausgerichtet ist. Worauf basiert dieser Wandel?

Die Erkenntnis, dass man das Verlangen niemals egoistisch füllen kann, sondern immer mehr begehrt, mehr als am vorigen Tag, mehr als der Nächste, führt zur Verzweiflung und Ohnmacht, man lebt mit der immerwährenden Enttäuschung. Weil sich nie eine bleibende Sättigung, Zufriedenheit einstellt.

Der Egoismus des Menschen besteht jedoch nicht im bloßen Verlangen zu empfangen, sondern in der Absicht, die diesem Verlangen hinzugefügt ist: Die Absicht, um zu empfangen. Diese egoistische Absicht wird immer rücksichtsloser gegenüber den Anderen in der Geschichte der Menschheit ausgelebt: Der Mensch fühlt sich gut, wenn es dem Anderen schlechter geht. Aus dem Leiden des Nächsten kann der Egoismus ebenfalls einen Genuss empfinden. Bis hin zur Schadenfreude kann sich der Egoismus entwickeln. Der eigentliche Egoismus ist also das Verlangen zu empfangen, mit der Absicht zu empfangen.

Erwacht der Punkt im Herzen, so ist es die Einsicht, dass eine Korrektur des Egoismus zu geschehen hat. Dass im Geben der Genuss zu erleben ist. Der Wunsch nach Spiritualität strebt nach der Vereinigung mit dem Schöpfer – in den Eigenschaften. Die Übereinstimmung der Form ist das Ziel, die Anhaftung an den Schöpfer. Um Ihm Zufriedenheit zu schenken. Denn es ist der beste Zustand, den das Geschöpf erreichen kann, es ist der Schöpfungszweck: Den Geschöpfen Genuss zu bereiten.

Die Kabbala ist eine Wissenschaft, die lehrt, wie man diesen Genuss am besten empfangen kann. Kabbala, das hebräische Wort in der Grundform, heißt auf Deutsch „Empfangen“, lekabel. Die Kabbala ist eine Methode, wie man die egoistische Absicht korrigieren kann, sie langsam ersetzt: Über Stufen entwickelt sich diese Korrektur hin zu dem Zustand, bis man empfängt, um zu geben. Man empfängt die Freude und den Genuss, um ihn an Andere weiterzugeben. Das Verlangen zu empfangen, die Absicht, um zu geben, werden zum Vermittler, zwischen dem Schöpfer und den Menschen.

Der egoistisch weltliche Genuss wird also eingeschränkt, dafür stufenweise der spirituelle Genuss aufgebaut. Woraus man Genuss erfahren will, das ändert sich mit dem Studium der Kabbala.

Und es ist eigentlich so, dass die „weltlichen Genüsse“ allesamt leer sind, und erst Sinn erhalten müssen durch die Ausrichtung auf den Schöpfer, erst wenn man den spirituellen Genuss empfunden hat, weiß man, welcher Genuss erhaben ist. Die „weltlichen Genüsse“ lassen oft vergessen, von wem der Genuss kommt: Man freut sich über das Geschenk, doch man vergisst, wer der Geber des Geschenkes ist. Und dass dieser Geber wichtiger ist, als die momentane Erfüllung des Verlangens. Das heißt, die Gefahr besteht darin, dass über den Genuss der Kontakt mit dem Schöpfer abgetrennt wird, sich das Geschöpf so sehr im Gefühl befindet, dass die Verbindung mit dem Schöpfer abreißt. Und das wiederum wird von den Kabbalisten als die größte Bestrafung angesehen.

Somit setzen sie einen neuen Anfang für die seelische Entwicklung, die Einschränkung, den Zimzum, aufgrund dessen keine Erfüllung in dem egoistischen Willen zu empfangen zugelassen wird. Damit entsteht die grundlegende Unterscheidung zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf.

 

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