Es gibt nichts, das es nicht gibt
Ein kurzer, klarer Moment gibt uns die Möglichkeit für die eigene Reflexion. Dieser Moment ist so wichtig, um die einzelnen Teile in uns zusammenzufügen, das Erfahrene zu integrieren und ein neues Gesamtbild zu formen. Eine neue Erkenntnis entsteht.
Die aktuelle Lage und die Zustände der vergangenen Wochen machten mich sehr nachdenklich. Das Überschlagen der Ereignisse, das ständige Widersprechen unserer Leitbilder, die Massen an Informationen und das unaufhaltsame Streben nach Aufklärung der Alternativen überrollte mich wie ein Tsunami. Es scheint ein Meinungskrieg zu toben und das Feld des Kampfes ist die digitale Welt. Jeder scheint eine eigene Meinung zu haben. Sie ist mit keiner anderen gleich. Ab und zu überschneidet sie sich, ein anderes Mal wieder nicht.
Bis dahin beschäftigte ich mich mit Dingen, die wichtig für mich selbst waren, Dinge, die ich für mein eigenes Leben brauchte und Dinge, die mein Umfeld betraf. Ich informierte mich auch über Themen der Allgemeinheit und sorgte mich um die Entwicklung der Welt.
Doch die letzten Monate veränderten alles.
Früher dachte ich, dass ich mir die Informationen selbst suchte und selbst wählte, mit wem ich im Austausch stehen will. Und dann stürmte einfach alles auf mich ein, völlig ungefiltert und ohne eigene Kontrolle. Täglich, fast schon stündlich, prasselten neue Ereignisse über mich.
Die ganze Welt erwachte plötzlich und begann, wie von der Tarantel gestochen alles, was bisher im Verborgenen lag, an die Oberfläche zu holen. Alles, einfach alles, was in meiner Welt nicht existierte, existiert auf einmal und mir wurde klar: es war schon immer da! Es gibt nichts, das es nicht schon irgendwo gibt.
Ich konnte es nur nicht sehen. Ich konnte es nicht wahrnehmen, weil ich es nicht kannte, nie erlebt habe und mir dem nie bewusst war. Es sind Gedanken, die ich nie dachte; sie wurden und werden von anderen gedacht. Es sind Taten, die ich nie für möglich gehalten hätte; sie wurden und werden von anderen getan. Und es sind Gefühle, die ich nie fühlte, sie wurden und werden von anderen gefühlt.
Und das, was mir übergestülpt wurde, ist jetzt ein Teil meines Lebens. Es ist ein Teil von mir, ob ich es will oder nicht. Das alles bin ich. Das alles sind wir alle. Dieser Krieg tobt in uns und diese Offenbarung im Außen ist die Offenbarung unseres Inneren. Es ist der Teil von uns, den wir für nutzlos hielten und einsperrten; in einem Loch ganz tief vergraben. Doch er ist da, er war schon immer da. Er kämpfte um seine Befreiung, um seine Daseinsberechtigung. Er ließ uns Dinge machen, die wir nie machen wollten. Er beherrschte unser Leben und lenkte uns an diesen Abgrund.
Alles Schlimme in uns möchte sich zeigen, an die Oberfläche geholt werden. Es möchte nicht mehr versteckt und unterdrückt werden. Es möchte anerkannt und beachtet werden, als das, was es ist – ein Teil von uns. Und was tun wir? Wir haben zunächst mal Angst.
Natürlich haben wir Angst. Wir haben Angst, nicht anerkannt und geliebt zu werden, so wie wir sind. In jedem Bereich unseres Lebens spielen wir nur eine Rolle und setzen die Maske auf, die gerade gebraucht wird. Dinge, die wir nicht unterdrücken können, machen wir heimlich, um das eigene Bild aufrechterhalten zu können. Wir nutzen andere Menschen zu unserem eigenen Vorteil. Und wir wissen, dass wir das tun. “Aber es macht doch jeder.” Das ist unsere Ausrede und jeder muss schauen, wo er bleibt.
Diese Gesellschaft haben wir so geformt, wir alle. Und jetzt sind wir erschrocken darüber, was passiert? Wir verurteilen andere die Schuld zu tragen, geben die eigene Verantwortung ab und beschweren uns jetzt, nicht frei zu sein. Wir sind alle scheinheilig und die Wahrheit will auch keiner sehen.
Trotzdem hat dieser Teil von uns einen wichtigen Zweck. Man kann ihn nicht auslöschen oder entfernen, und verbannen lässt er sich auch nicht mehr. Er ist da, um uns das alles zu zeigen und uns beizubringen, dass es so nicht mehr weiter geht. Die Menschheit kann so nicht überleben. Sie hat sich selbst zu Tode verurteilt.
Dieser zerstörerische Teil kann uns aber genauso befreien. Wir müssen ihn nur anerkennen. Wenn wir das tun, dann haben wir die freie Wahl. Wir können immer wählen, ob wir ihn nutzen, um anderen zu schaden, oder ob wir uns über ihn erheben und ihn zum Wohle anderer verwenden. Er ist die starke Kraft, die Berge versetzten kann. Und diese Kraft ist die Kraft der Liebe.
Diese Kraft entsteht, wenn wir uns über alle Unterschiede, jeden Spott, jeden Hass anderen gegenüber, dafür entscheiden, trotzdem für sie zu sorgen. Wie eine liebende Mutter, die all ihre eigenen Bedürfnisse vergisst, wenn ihr Kind in Not ist. Sie entwickelt die Kraft einer Löwin, nur um ihr Kind zu schützen.
Wenn wir verstehen, dass alle anderen ein Teil von uns selbst sind wird klar: wir schaden uns selbst, wenn wir den anderen schaden. Doch wir Menschen sind nur in der Gemeinschaft und nicht als Einzelner überlebensfähig.
Und in jeder Minute, in der uns gezeigt wird, wie böse die Welt ist, sehen wir das Böse in uns selbst, das korrigiert werden will. Und in jedem Moment haben wir die freie Wahl.
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