Jom Kippur aus kabbalistischer Sicht

Der Feiertag Jom Kippur, Versöhnungstag oder „Tag des Gerichts“, findet zehn Tage nach Rosh HaShana, dem „Anfang des Jahres“ statt. Aus kabbalistischer Sicht ist Jom Kippur der Tag, an dem der Mensch seine Taten des vergangenen Jahres bewerten soll. Dabei entdeckt er, dass, als ihm die Gelegenheit gegeben wurde, er zu wenig Anstrengungen unternommen hat, um sich der Höheren Kraft anzunähern. Dafür bittet er nun um Vergebung.

RABASH beschreibt in vielen Artikeln, dass der Mensch entsprechend seinem inneren Zustand, ohne jegliche Verbindung mit dem kalendarischen Feiertag, zum Tag des Gerichtes“ kommen kann. Alle Menschen durchlaufen in ihrer persönlichen spirituellen Entwicklung verschiedene Prozesse. Aufstiege in diesen Prozessen, werden auch als Rosh HaShana oder Jom Kippur bezeichnet. Jom Kippur ist ein sehr hoher Zustand. Es bedarf der Einwirkung eines gewaltigen, Höheren Lichtes auf den Menschen, damit diese Stufe in ihm enthüllt wird.

Die Erzählung von Jona

In der Erzählung von Jona wird einer dieser Prozesse beschrieben. Jona wird vom Schöpfer, der Höheren Kraft, beauftragt, in die heidnische Stadt Ninive zu gehen, um deren Bewohner zum Geben zu erwecken. Jona entscheidet sich aber, vor dieser Aufgabe und damit vor dem Schöpfer davonzulaufen. Er flüchtet auf ein Schiff, um zu entkommen. Der Schöpfer ruft daraufhin einen Sturm hervor. Die Seeleute suchen den Grund für diesen Sturm, diese Strafe, und erkennen, dass Jona daran schuld ist. Sie werfen ihn ins Meer und er wird von einem Wal verschluckt. Das ist seine Rettung. Der Wal bringt ihn nach drei Tagen, in denen er Zeit hat, sich selbst und seine Absichten zu überprüfen, an die Küste vor der Stadt Ninive. Der geläuterte Jona nimmt seinen Aufgabe nun wahr und geht in die Stadt Ninive. Überzeugt durch seine Reden und Erklärungen lassen die Menschen von Ninive von ihren egoistischen Absichten ab und erreichen dadurch die Nächstenliebe. 

Der Schöpfer schickt Jona, „den Punkt im Herzen“, der das Geben und die Wurzel der allgemeinen Seele symbolisiert, in diese Welt. Die Seeleute in der Erzählung, d.h. die Umgebung des Menschen, sind Beauftragte des Schöpfers.
Mit Jona ist also die Seele gemeint, die in den Körper des Menschen in diese Welt absteigt. Der Mensch in dieser Welt gleicht dem Schiff auf dem tosenden Meer. Die Seele kommt in den Körper, um ihre Korrektur, im Zusammenhang mit anderen Seelen, zu erreichen. Nur aufgrund des egoistischen Verlangens der Geschöpfe kann die Seele korrigiert werden. Dabei nutzt die Seele ihren Egoismus und die Trennung von anderen Menschen und entwickelt aus „dem Punkt im Herzen“, der sie mit der Höheren Welt verbindet, die Anhaftung an die Höhere Kraft, den Schöpfer und damit die Eigenschaft des Gebens und der Liebe.

In der Erzählung soll Jona seine egoistischen Verlangen erwecken, um sie zu korrigieren. Er muss sich mit allen Seelen in der Stadt Ninive verbinden und sie zur Korrektur anregen. Dadurch können sie das „Böse“ in das „Gute“, in die Liebe zum Nächsten, umwandeln. Andernfalls würden sie in der Eigenliebe und im Hass verbleiben, was sie in den Tod führen würde.

Kabbalistische Umsetzung

In dieser Welt muss der Mensch dazu die Hilfe des Höheren Lichts anziehen. In jenem Maße, in dem er um das korrigierende Licht bittet, erhebt die Höhere Kraft diesen Teil des Verlangen zu empfangen, in eine Handlung des Gebens. Der „Punkt im Herzen“ verursacht, durch sein Verlangen zu geben eine Gegenreaktion. Es entstehen immer größere egoistische Verlangen in diesem Menschen. Darum muss er jene Verlangen, die noch nicht für das Geben geeignet sind, zurückstellen. Er muss eine Beschränkung durchführen. Dieser Prozess geschieht entsprechend der Stufen der spirituellen Welt, 125 Mal, bis das vollkommene Geben erreicht ist. So korrigiert der Mensch schlussendlich alle Verlangen, für sich zu empfangen, zu Verlangen, anderen zu geben. Dadurch tritt er in die Welt der Höheren Kraft ein, in die Empfindung der Welt mit der Eigenschaft des Gebens, die als ewige und vollkommene Existenz empfunden wird.

Die Erzählung von Jona verdeutlicht, dass die Höhere Kraft den Menschen in dieser Welt zwingen wird, entweder den guten Weg oder den Weg der Leiden, welcher sich wie der Tod anfühlen wird, zu wählen. An Jom Kippur wird gefeiert, weil der Mensch die Möglichkeit der Wahl bekommt, wie beschrieben steht „so erwähle nun das Leben“(1). Dabei ist das Wichtigste, die Höher Kraft um Hilfe zu bitten, denn nichts in der Welt geschieht ohne die Kraft des Höheren Lichts.

Aus Unterrichten von RAV Michael Laitman

(1) Deuteronomium, 30,19: Ich nehme heute Himmel und Erde gegen euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt; so erwähle nun das Leben, damit du lebst, du und dein Same.

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