Notiz 877: Drei Gebete – 2

Wochenabschnitt Balak, Juli 1984

Es steht in Liedern am Vorabend des Shabbat geschrieben (in “Kol Mikadesh” – „Jeder, der heiligt“): „Der Herr, Gott Israels, ist die Liebe des Vollkommenen [Tamim]; Der Herr, Gott Israels, ist der Retter der Welten.“

Wir sollten verstehen, wie wichtig der Tamim [Vollkommene, Reine] ist. Auf den ersten Blick scheint es, als könne jemand, der weniger Verstand hat, reiner sein, und jemand, der mehr Verstand und mehr Kritikfähigkeit hat, kann nicht in dieser Naivität bzw. Vollkommenheit sein. Daraus folgt, dass die Eigenschaft der Naivität denjenigen gegeben wurde, die wenig Wissen haben.

Doch Baal HaSulam interpretierte, dass man zuerst nur Mumim [Makel] sieht und dann daraus Tamim [vollkommen/rein] macht. Denn wenn man nur Makel in der Welt sieht – im Individuum und im Kollektiv –, nennt man dies Mumim, und dies wird „Linke Linie“ genannt. Danach nimmt man alles über dem Verstand an, und das wird Tamim genannt.

Daraus folgt, dass derjenige, der mehr Wissen (daat) hat, mehr Fehler hat, wie geschrieben steht: „Wer Wissen mehrt, mehrt Schmerz“, und er sollte all dies über dem Verstand annehmen. Daraus folgt, dass seine Vollkommenheit auf größerem Wissen aufbaut. Seine Vollkommenheit oder Reinheit ist also größer als die eines Menschen, dessen Vollkommenheit auf kleinerem Wissen aufgebaut ist.

Und dies ist die Bedeutung von: Der Herr, Gott Israels, ist die Liebe des Vollkommenen [Tamim]; der Herr, Gott Israels, ist der Retter der Welten.“ Es bedeutet: Damit ein Mensch, wenn er eine Welt voller Makel sieht, die Kraft zur Überwindung hat, ist er auf die Rettung von Oben angewiesen, um in die Vollkommenheit über dem Verstand zu gelangen. Die Bedeutung von „Der Ewige, Gott Israels, ewiges Heil“, bedeutet also, alle Makel in die Vollkommenheit über dem Verstand zu bringen, die Tamim [vollkommen/rein] genannt wird. Das ist die Bedeutung von Ol-Mim [also Olamim (ewig), zweigeteilt]. Ol [Last] kommt von dem Wort Ayil [aramäisch: eintreten] und bedeutet, einen Makel [Mum] in die Vollkommenheit einzubringen.

So verstehen wir auch die Worte aus dem Sohar (Balak, Artikel 187-188). Dort steht geschrieben, dass ein Gebet für die Armen den übrigen Gebeten vorausgeht. Das ist die Bedeutung von „Ein Gebet eines Armen, wenn er umhüllt ist“. „Umhüllt“, von den Worten „Und der Umhüllte, für Laban“, was so viel bedeutet wie „verzögert“. Das heißt, dieses Gebet verzögert alle anderen Gebete in der Welt. Er fragt: „Warum verzögert das Gebet des Armen alle anderen Gebete? Weil der Arme ein gebrochenes Herz hat und der Arme immer mit dem Schöpfer streitet, und der Schöpfer hört zu und hört seine Worte – siehe dort im Sulam [Leiterkommentar zum Heiligen Sohar].

Wir sollten verstehen, warum der Schöpfer das Gebet des Armen vor allen anderen Gebeten erhört. Er sagt, weil der Schöpfer den Menschen mit gebrochenem Herzen nahe ist. Wir sollten verstehen, wie wichtig die Menschen mit gebrochenem Herzen sind, denen der Schöpfer nahe ist. Im Sohar wird Malchut als „arm“ bezeichnet, „denn sie hat nichts Eigenes außer dem, was ihr Mann ihr bringt“. Diese Angelegenheit wird an mehreren Stellen im Sulam erklärt, nämlich, dass es zwei Zustände in Malchut gibt. Manchmal wird sie  im Sulam als „arm“ bezeichnet, weil sie keine Chassadim [Barmherzigkeit] hat, und an anderer Stelle wird sie als „arm“ bezeichnet, weil sie von Seir Anpin, ihrem Mann, erhalten muss.

Wenn jemand das Himmelreich auf sich nimmt, nämlich dass all sein Handeln um des Schöpfers willen ist und nicht, um eine Belohnung zu empfangen – dann wird Malchut „arm“ genannt, weil sie dem Menschen, der für sie arbeitet, nichts zu geben hat. Normalerweise empfängt jemand, der für jemanden arbeitet, eine Gegenleistung für seine Arbeit. Wenn der Mensch aber für den Schöpfer arbeitet und keine Belohnung für seine Arbeit empfangen will, bedeutet es, dass er für einen Armen arbeitet. Als würde er für einen armen Menschen arbeiten, der nichts hat, womit er ihn bezahlen könnte.

Nach dem oben Gesagten sollten wir das Gebet des Armen so auslegen: Der Mensch betet zum Schöpfer, dass sein Gebet das eines Armen sei. Das heißt, er betet, dass alles, was er tut, um des Schöpfers willen geschieht. Er will arbeiten, ohne eine Belohnung zu bekommen. Diese Arbeit bedeutet, dass er liShma [um Ihretwillen] arbeiten will – und auch wenn er das Ziel noch nicht erreicht hat, will er es dennoch erlangen. Dies ist die erste Unterscheidung in der Arbeit des Schöpfers. Bevor jemand den Zustand liShma [um Ihretwillen] erreicht, arbeitet er nicht um des Schöpfers willen, sondern zu seinem eigenen Nutzen.

Nun verstehen wir, warum das Gebet des Armen vor allen anderen Gebeten angenommen wird, und zwar so sehr, dass der Sohar sagt, dass es sogar alle anderen Gebete verzögert und dem Gebet für David und dem Gebet für Moses vorausgeht. Wir sollten uns fragen, warum es die anderen Gebete verzögern sollte. Ist es unmöglich, alle gleichzeitig zu beantworten? Müssen sie also nacheinander beantwortet werden?

Wir können das verstehen, wenn wir alle drei Gebete als Gebete innerhalb eines Menschen lernen. Normalerweise sollten wir drei Gebete unterscheiden: 

1.) Ein Gebet für Moses, das die Stufe der Tora ist. 

2.) Ein Gebet für David, der Malchut [Königreich] ist. Das heißt, man hat bereits die Stufe des Königreichs (Malchut) erreicht, aber man betet, dass das Himmelreich, mit dem man belohnt wurde, nicht weicht.

3.) Ein Gebet des Armen, wenn man beginnen will, aus der Eigenliebe zu entkommen und in die Arbeit um zu geben einzutreten und man nichts empfangen, sondern nur für den Schöpfer arbeiten will. Dann beginnt der Körper, sich gegen diese Arbeit zu wehren, weil sie gegen seine Natur ist. Zu diesem Zeitpunkt kommt er in einen Zustand, in dem er sieht, dass er nackt und mittellos ist. Er hat keine Unterstützung, von der er den nötigen Treibstoff für die Arbeit empfangen könnte. Mit anderen Worten: Bevor er dachte, dass er sich in der Arbeit liShma [um Ihretwillen] engagieren sollte, ging es ihm gut. Er hatte Tora und Gebet und gute Taten, und er hatte Besitztümer, die er genießen konnte. Er betrachtete die Menschen, mit denen er in Kontakt kam, und hatte das Gefühl, dass er weit über ihnen stand.

Doch jetzt, wo er tatsächlich den Weg zu gehen begonnen hat, der zu liShma [um Ihretwillen] führt, fühlt er sich benachteiligter als all seine Zeitgenossen, denn sie haben Lebenskraft. Er fühlt sie genauso, wie er sich selbst gefühlt hatte, bevor er seinen Weg zu ändern begann. Er spürt, dass die Welt für ihn finster geworden ist, so wie geschrieben steht: „Seit ich zu Pharao gekommen bin, um in deinem Namen zu sprechen, hat er diesem Volk Schaden zugefügt, und Du hast dein Volk nicht gerettet. Und der Ewige sagte zu Moses: ‚Nun wirst du sehen, was ich dem Pharao antun werde; denn mit mächtiger Hand wird er sie aus seinem Land vertreiben'“ (Exodus 5,23).

Bevor also Moses als Bote des Schöpfers zum Volk Israel kam und es aus Ägypten herausführen wollte, befand sich das Volk Israel in der Arbeit des Schöpfers, aber war vom Pharao, dem König von Ägypten, versklavt. Pharao, der König von Ägypten, ist der Wille zu empfangen, der in den Geschöpfen zu finden ist, die nur zu ihrem eigenen Nutzen handeln können. Er ist der Herrscher in allen Geschöpfen und bedrängt alle, die aus seiner Herrschaft entkommen wollen, d.h. die zum Wohle der anderen arbeiten wollen.

Moses kam zum Volk Israel und sagte ihnen, dass der Schöpfer sie aus der Herrschaft des Pharaos befreien will, um jeden Einzelnen des Volkes Israel aus der Herrschaft des Pharaos zu führen, die in jedem Einzelnen zu finden ist.

Dementsprechend versteht jeder, dass die Mission von Moses darin besteht, dass wir die Arbeit lishma [um Ihretwillen] beginnen müssen. Wir beginnen, auf dem Pfad der Wahrheit zu gehen – das heißt, wir arbeiten um des Schöpfers willen, wo jeder das Ziel hat, während der Arbeit des Schöpfers zu geben. Nun wird jeder anfangen, härter und mit großem Enthusiasmus zu arbeiten, und die Leidenschaft wird so intensiv sein, dass es ihm schwer fallen wird, sich auch nur für eine Minute zurückzuziehen, um an die körperlichen Bedürfnisse zu denken, die absolut notwendig sind, weil er nun nur noch um des Schöpfers willen arbeitet. Und obwohl er diese Arbeit nicht begonnen hat, um zu fühlen, dass er um des Schöpfers willen arbeitet, da er auf dem Pfad der Wahrheit gehen will, wird der Körper sicherlich bereit sein, ihm mehr Zugeständnisse zu machen, als er es tat, als er nicht auf dem Pfad der Wahrheit, das heißt liShma, arbeitete.

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Genau dann, wenn wir den Weg von liShma [um Ihretwillen] beschreiten wollen, beginnt der Körper, sich zu wehren. Dann kommt er mit all seinen Argumenten, also mit dem Argument des Pharaos, des Königs von Ägypten, der sagt: „Wer ist der Ewige, dass ich seiner Stimme gehorchen soll?“ und mit dem Argument des Frevlers, der sagt: „Was ist das für eine Arbeit für euch?“ Zu dieser Zeit wird die Arbeit schwer, und jedes Mal ist mehr Überwindung erforderlich.

Wir sollten diese Angelegenheit in dem oben erwähnten Vers auslegen: „Seit ich zu Pharao gekommen bin, um in Deinem Namen zu sprechen, hat er diesem Volk Schaden zugefügt.“ Das heißt, als Moses kam, um „in Deinem Namen“ zu sprechen, was bedeutet, dass sie um des Schöpfers willen arbeiten sollten, hat „Er diesem Volk Schaden zugefügt“ – sie wurden böser. Mit anderen Worten: Bevor Moses kam und sagte, dass man nur um des Schöpfers willen arbeiten sollte, dienten alle dem Schöpfer und hielten sich für gerecht. Und sie hatten die Kraft zu arbeiten, weil der Treibstoff für die Arbeit für sie klar war. Aber nachdem Moses als Abgesandter des Schöpfers kam, dass wir um des Schöpfers willen arbeiten sollten, wurden sie noch schlimmer. Dementsprechend wäre es besser, wenn sie sich nicht auf die Arbeit liShma einließen.

Darauf kam die Antwort: „Und der Ewige sagte zu Moses: ‚Nun wirst du sehen, was Ich dem Pharao antun werde, denn mit mächtiger Hand wird er sie senden.'“ Die Antwort war nicht, dass sie nicht die Wahrheit sagten. Aber Ich will, dass sie die Wahrheit spüren, dass sie so weit von der Wahrheit entfernt sind – also von der Arbeit um des Schöpfers willen. Wenn sie dann diese Art von Forderung haben, dass sie nicht liShma arbeiten können, dann werdet ihr sehen, wie ich euch die Kraft gebe, um des Schöpfers willen zu arbeiten. Aber Ich verlange nicht, dass ihr in der Lage seid, den Weg der Wahrheit zu gehen. Ich will nur, dass ihr ein Kli [Gefäß] habt, um die Fülle zu empfangen. Wenn ihr also zu arbeiten beginnt, um zu geben, werdet ihr sehen, dass ihr zu dieser Arbeit nicht fähig seid, und dann werde Ich euch geben, was „mit mächtiger Hand wird er sie senden“ heißt; wie geschrieben steht: „Und Ich hörte auch das Seufzen der Kinder Israels, dass die Ägypter sie versklavten, und Ich gedachte an meinen Bund usw., und Ich werde euch aus der Bedrängnis Ägyptens erlösen“ (Exodus 6). Daraus folgt, dass Ich ihnen, sobald sie ein Kli zu empfangen haben, die dafür notwendige Kraft geben werde.

Jetzt werden wir die Klärung fortsetzen, die wir mit dem Gebet des Armen begonnen haben – warum dieses Gebet alle anderen Gebete verzögert. Da wir von einem einzigen Menschen sprechen, in dem sich alle diese Zustände entfalten, folgt daraus, dass das Gebet Davids nicht angenommen werden kann, da er bereits mit dem Himmelreich belohnt wurde; er betet vielmehr darum, dass das Himmelreich nicht von ihm abfällt. Man kann darum beten, wenn man das Himmelreich bereits hat, aber jemand, der noch weit vom Himmelreich entfernt ist und unter der Herrschaft des Pharaos, des Königs von Ägypten, steht – wie kann ihm gegeben werden, dass etwas bleibt, solange er es noch nicht hat?

Daher wird zuerst das Gebet des Armen angenommen, was bedeutet, dass er zuerst mit dem Himmelreich belohnt werden muss, das „arm und dürftig“ genannt wird. Das ist die erste Stufe – dass ein Mensch in die Arbeit eintreten muss. Danach kommt die nächste Stufe, die ein Gebet für David ist, was bedeutet, dass sein Himmelreich nicht enden soll. Dann kommt die dritte Stufe, das Gebet Moses; das ist die Stufe der Tora.

korr EY, 14.04.2024

 

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