Analytischer Vergleich zwischen Kabbala und Philosophie

Rav Yehuda Ashlag

WAS IST SPIRITUALITÄT?

Die Philosophie hat sich viel Arbeit gemacht, um zu beweisen, dass das Materielle ein Erzeugnis des Spirituellen sei und die Seele den Körper erzeuge. Doch auch danach wird das, was sie behauptet, weder vom Herzen noch vom Verstand angenommen. Ihr Hauptfehler bestand in der Wahrnehmung des Spirituellen, darin, dass es, wie sie behauptete, das Materielle gebar, was zweifellos erfunden ist.

Jeder Vater muss seinem Nachkömmling irgendwie ähneln, und solch ein Verhältnis ist die Handlungsweise und der Weg, den seine Nachkommenschaft fortsetzen wird. Denn jeder Arbeiter muss ein Verhältnis zum eigenen Tun haben, welches zu einer Verbindung zwischen ihnen führen wird. Und wenn du sagst, dass das Spirituelle keinerlei Bezug zum Materiellen hat, so gibt es keinen Weg und kein Mittel, welches dem Spirituellen eine Möglichkeit gäbe, einen Kontakt zum Materiellen zu haben und es in Bewegung zu versetzen.

Doch das Wesen des Wortes „spirituell“ hat keinerlei Bezug zur Philosophie, denn wie kann man etwas besprechen, was man niemals gesehen oder wahrgenommen hat? Worauf basiert es?

Denn wenn es irgendeine Definition gibt, die es erlaubt, das Spirituelle zu unterscheiden und es vom Materiellen zu trennen, dann kann sie niemand anderer geben als jene, die einmal das Spirituelle erkannt und wahrgenommen haben, und das sind wahre Kabbalisten. Daher bedürfen wir der Wissenschaft der Kabbala.

PHILOSOPHIE AUS DEM WESEN DES SCHÖPFERS

Und nun – das Wesen des Schöpfers, mit dem sich die Philosophie so gern beschäftigt, indem sie alle Gesetze des nicht darin Vorhandenen beweist. Die Kabbala beschäftigt sich überhaupt nicht damit, denn wie kann man in etwas, was zu verstehen und zu erkennen absolut unmöglich ist, etwas definieren? Denn etwas Fehlendes festzustellen ist nicht von geringerem Wert, als etwas Vorhandenes zu bestimmen. Denn wenn du etwas von weitem anschaust und darin alle Komponenten des Fehlenden erkennst, d. h. alles, was nicht da ist, so gilt das doch auch als Bezeugung und ein gewisses Sehen und Erkennen, denn wäre es weit genug entfernt, könnte man darin noch nicht einmal das Fehlende unterscheiden.

Zum Beispiel: Wenn wir von Weitem ein dunkles Bild anschauen und dann bestimmen, dass es weder Mensch noch Vogel ist, wird das etwa nicht als Sehen bezeichnet? Wäre es noch weiter weg gewesen, hätten wir nicht klar sagen können, dass es sich nicht um einen Menschen handelt.

Daraus resultieren ihre ganze Nichtigkeit und das Wirrwarr. Die Philosophie rühmt sich, alles Negative über das Wesen des Schöpfers verstehen zu können, während die Kabbalisten an dieser Stelle völlig stumm bleiben und Ihm noch nicht einmal eine einfache Bezeichnung geben, denn alles, was wir nicht erkennen, können wir weder beim Namen noch beim Wort nennen. Denn ein Wort verweist bereits auf den Ansatz einer Erkenntnis. Die Kabbalisten jedoch sprechen sehr viel vom Licht des Schöpfers in der Wirklichkeit, d.h. die Rede ist von all jenen Erscheinungen des Lichts, in welchen sie einer tatsächlichen Erkenntnis würdig wurden, Erkenntnissen im Materiellen gleich.

DAS SPIRITUELLE IST EINE KRAFT, DIE IN KEINE KÖRPER EINGEKLEIDET IST

Das, was die Kabbalisten mit dem Wort „spirituell“ bestimmen und wovon sie sprechen, steht in keinerlei Verbindung zur Zeit oder zum Raum und hat keinen materiellen Wert. (Meiner Meinung nach hat sich die Philosophie mit fremden Federn geschmückt, indem sie einige Definitionen aus der Wissenschaft der Kabbala stahl und daraus Kostbarkeiten für den menschlichen Verstand machte. Und wäre es nicht deswegen gewesen, wäre es ihnen nicht in den Kopf gekommen, sich solch eine Wissenschaft wie diese auszudenken). Sie stellt eben einfach eine Kraft dar: das heißt, eine Kraft, die nicht in einen Körper eingehüllt ist, wie wir das in dieser Welt gewohnt sind, sondern einfach eine Kraft ohne Körper.

DAS SPIRITUELLE KLI WIRD ALS EINE KRAFT BEZEICHNET

Hier ist es notwendig anzumerken, dass, wenn die Rede von einer Kraft im Spirituellen ist, nicht das spirituelle Licht als solches gemeint ist, weil das spirituelle Licht direkt vom Wesen des Schöpfers ausgeht. Und wenn dem so ist, dann ist es dem Wesen des Schöpfers gleich. Das heißt, wir sind auch nicht fähig, das spirituelle Licht so zu verstehen und zu erkennen, dass wir dem irgendeine Bezeichnung und Definition geben könnten, dass sogar der entliehene Begriff „Licht“ metaphorisch und nicht wahr ist. Dementsprechend muss man wissen, dass sich diese Bezeichnung – „Kraft“ ohne Körper – auf das „Spirituelle Kli“ bezieht.

LICHTER UND KELIM

Man sollte daher nicht nachfragen, wie die Weisen der Kabbala, die die Wissenschaft mit ihren Erkenntnissen und unterscheidenden Definitionen füllen, die verschiedenen Lichter unterscheiden. Diese Definitionen zeugen nicht vom Wesen der Lichter, sondern sie beziehen sich auf die Erfahrungen des Kli (welches die oben genannte Kraft darstellt), die es während des Zusammentreffens mit dem Licht im eigenen Inneren macht.

KELIM UND LICHTER (BEDEUTUNG DER WORTE)

Und hier muss man die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Geschenk und der Liebe, die dadurch entsteht, hinzufügen. Die Lichter, d. h. den Eindruck des Klis, kann man erfassen, und das wird als „Materie und Form“ bezeichnet, da der Eindruck die „Form“ und die oben genannte Kraft die „Materie“ ist.

Doch die entstehende Liebe wird als Form ohne Materie definiert. Das bedeutet, wenn wir uns mit der Abstraktion der Liebe von der Materie des Geschenks beschäftigen, als ob sie niemals in irgendeinem materiellen Geschenk verkörpert gewesen wäre, sondern nur im abstrakten Namen der Liebe des Schöpfers, dann wird sie als Form betrachtet. Und die Beschäftigung damit wird als formale Kabbala bezeichnet. Und das ist konkret, ohne jegliche Phantasien formeller Philosophie, weil der Geist dieser Liebe tatsächlich in der Erkenntnis bleibt, vollständig abstrahiert vom Geschenk, nämlich dem Wesen des Lichts.

MATERIE UND FORM IN DER KABBALA

Ungeachtet der Tatsache, dass diese Liebe Ergebnis des Geschenkes ist, ist sie unschätzbar wichtiger als das Geschenk selbst. Das gleicht dem, wie ein großer König den Menschen mit einem kleinen Geschenk ehrt, und obwohl die Sache an sich keinen besonderen Wert hat, verleihen ihr die Liebe und die erwiesene Aufmerksamkeit vonseiten des Königs unendlichen Wert und Bedeutung. Daher löst sich die Liebe komplett von der Materie, die das Licht und das Geschenk darstellt, in solchem Maße, dass nur die Erkenntnis der Liebe übrig bleibt und das Geschenk vergessen und scheinbar aus dem Herzen gelöscht wird. Daher wird dieser Teil der Weisheit als „formale Kabbala“ bezeichnet, die der wichtigste Teil der Weisheit ist.

ABYA

In dieser Liebe gibt es vier Teile, die ähnlich der Liebe eines Menschen sind, wenn er zum ersten Mal ein Geschenk erhält. Zu diesem Zeitpunkt wird der Schenkende noch nicht als Liebender bezeichnet. Und erst recht nicht, wenn der Schenkende eine wichtige Person ist, mit der der Empfänger sich nicht vergleichen kann.

Dennoch, durch die Vielfalt der Geschenke und die Dauerhaftigkeit wird sogar der wichtige Mensch als wahrer Liebender von gleichem Wert erkannt. Denn das Gesetz der Liebe macht keinen Unterschied zwischen Groß und Klein, da zwei wahre Liebende sich gegenseitig als gleichwertig empfinden sollten, wie bekannt.

Dementsprechend werden hier vier Stufen der Liebe hervorgehoben. Das Beschenken heißt die Welt Assija; die Vervielfachung der Geschenke wird die Welt Yezira genannt; die Offenbarung der Liebe heißt die Welt Brija.

Hier beginnt das Studium der Form in der Weisheit der Kabbala, weil sich in diesem Stadium die Liebe vom Geschenk löst. Darin liegt das Geheimnis des Gesagten: „Und erschafft die Finsternis.“ Das heißt, das Licht wird aus der Welt Yezira entfernt, und die Liebe bleibt ohne Licht, ohne ihre Geschenke.

Und danach kommt Azilut. Nachdem die Form von der Materie vollständig gelöst wurde – im Geheimnis des Gesagten „Und erschafft die Finsternis“ – wird der Mensch würdig, sich auf die Stufe der Welt Azilut zu erheben. Auf dieser kehrt die Form zurück und kleidet sich in die Materie, das heißt, das Licht und die Liebe werden gleichzeitig wahrgenommen.

URSPRUNG DER SEELE

Alles Spirituelle wird von uns als eine vom Körper gelöste Kraft wahrgenommen, weil es keine materielle Gestalt besitzt. Darum bleibt es völlig von der materiellen Welt getrennt und isoliert. Wie kann es dann in diesem Zustand etwas Materielles in Bewegung versetzen, geschweige denn etwas Materielles erschaffen, wenn es doch keinerlei Bezug zu etwas hat, mit dessen Hilfe ein Kontakt mit dem Materiellen erreicht werden könnte?

SAUERSTOFFBASIS

Doch in Wirklichkeit ist die „Kraft“ an und für sich wahre Materie, nicht weniger als die gesamte restliche Materie der wirklichen Welt. Obwohl sie nicht über eine Gestalt verfügt, die für die Wahrnehmung durch menschliche Sinnesorgane annehmbar wäre, vermindert diese Tatsache nicht den Wert der Substanz, die „Kraft“ heißt.

Nehmen wir Moleküle des Sauerstoffs, der ein Bestandteil der meisten Stoffe in der Welt ist. Wenn man eine Flasche mit reinem Sauerstoff betrachtet, während dieser sich in keinem Zusammenwirken mit einem anderen Stoff befindet, dann wird diese Flasche leer aussehen. Es ist unmöglich, Sauerstoff wahrzunehmen, weil er sich in gasförmigem Zustand befindet. Man kann ihn nicht mit Händen greifen, er ist unsichtbar für das Auge.

Wenn wir den Korken aus der Flasche ziehen und daran riechen, so werden wir keinerlei Geruch feststellen. Und wenn wir ihn kosten, werden wir in ihm keinerlei Geschmack finden. Und stellen wir ihn auf die Waage, so wird er nicht mehr wiegen als die leere Flasche. So verhält sich auch Wasserstoff – er hat weder Geschmack noch Geruch oder Gewicht.

Wenn man jedoch diese zwei Stoffe verbindet, so verwandeln sie sich umgehend in eine Flüssigkeit. Und das ist bereits Wasser, das zum Trinken geeignet ist, über einen Geschmack und ein Gewicht verfügt. Wenn man sodann das Wasser auf ungelöschten Kalk gießt, wird es unmittelbar eingezogen, und die Flüssigkeit wird zu einem festen Stoff wie Kalk selbst.

So werden chemische Elemente wie Sauerstoff und Wasserstoff, die an sich nicht zu spüren sind, zu einem festen Stoff. Wie kann man dementsprechend etwas bestimmen und über die Kräfte, die in der Natur wirken, aussagen, dass sie nicht Materie sind? Das alles doch nur, weil es keiner sinnlichen Erkenntnis unterliegt, denn wir sehen klar, dass der Großteil der wahrgenommenen Stoffe der Realität von Anfang an auf der Basis des Sauerstoffs aufgebaut ist, welchen unsere menschlichen Sinnesorgane wahrzunehmen und zu spüren nicht in der Lage sind!

Überdies können sich in der greifbaren Realität feste und flüssige Körper, die zweifellos in unserer reellen Welt erkennbar sind, bei Erwärmung in Gas verwandeln, und ein Gas, das auf eine bestimmte Temperatur abgekühlt wird, kann zu festem Stoff werden.

Und wenn dem so ist, so kann man sich nur wundern: Wie kann man etwas geben, was man selbst nicht besitzt? Denn wir haben klar gesehen, dass alle wahrgenommenen Bilder aus Elementen resultieren, die nicht fassbar sind und die keine Materialien darstellen, welche an und für sich existieren. Ebenso sind alle fixierten Bilder, die uns bekannt sind und mithilfe welcher wir eben Stoffe definieren, unbeständig und existieren nicht von allein aus eigener Kraft. Ihre Formen sind lediglich Derivate von Einflüssen wie Wärme und Kälte.

Folglich ist die Basis der Materie die „Kraft“, die in ihr eingeschlossen ist. Allerdings können wir diese Kräfte noch nicht unterscheiden, wie wir es bei chemischen Elementen können. Wahrscheinlich wird sich uns irgendwann auch ihr eigentliches Wesen offenbaren, so wie auch die chemischen Elemente erst in letzter Zeit entdeckt wurden.

EINE KRAFT, DIE IM SPIRITUELLEN UND IM MATERIELLEN GLEICH IST

Mit einem Wort: Alle Bezeichnungen, die wir der Materie zuschreiben, sind vollkommen erdacht. Sie sind ausgehend von der sinnlichen Wahrnehmung in unseren fünf Sinnesorganen gegeben worden, unbeständig und von allein nicht existent. Andererseits wäre aber auch jede Definition, die wir einer reinen Kraft gäben und mit der wir ihre Verbindung zur Materie verneinten, ebenso erdacht. Auch wenn sich die Wissenschaft bis zu ihrer perfekten Form entwickeln würde, dürften wir nur die konkrete Wirklichkeit in Betracht ziehen. Mit anderen Worten: Alle physischen Handlungen, die wir sehen und empfinden, müssen in Verbindung mit dem sie Vollziehenden gesehen werden, der ebenfalls eine Substanz ist, genauso wie die Handlung selbst. Zwischen ihnen besteht eine Verbindung, ohne die nichts wird.

Und man muss wissen, dass diese fälschliche Trennung des Ausführenden von seiner Handlung aus der formellen Philosophie stammt, die darauf bestand, nachzuweisen, dass eine spirituelle Handlung die körperliche beeinflusst. Daher gelangte man zu irrtümlichen Annahmen, wie oben beschrieben, während die Kabbala all das nicht braucht.

KÖRPER UND SEELE BEI DEN HÖHEREN

Die Meinung der Kabbala in dieser Hinsicht ist klar und exakt, ohne jegliche Beimischung von Philosophie. Denn selbst jene spirituellen, intellektuellen Wesen, die von der Philosophie jeglichen Begriffs beraubt und als reine intellektuelle Materie dargestellt werden, sind nach Meinung der Kabbala-Gelehrten, obwohl sie eine höhere und abstraktere Spiritualität erreicht haben, auch aus Körper und Seele zusammengesetzt, wie der materielle Mensch.

Und wundere dich nicht, wie es möglich ist, zwei Dinge gleichzeitig zu behaupten, dass sie zusammengesetzt sind. Und noch etwas: Nach Meinung der Philosophie hat jede Verbindung irgendwann ein Ende und zerfällt, stirbt also. Und wenn dem so ist, wie kann man dann sagen, dass sie zusammengesetzt und zur selben Zeit ewig sei?

LICHTER UND KELIM

Deshalb sind ihre Gedanken nicht die unseren,  da der Weg der Weisen der Kabbala darin besteht, wirkliche Beweise der Erkenntnisse zu finden, wirkliche Beweise der Erkenntnisse zu finden, welches eine Widerlegung durch intellektuelles Nachdenken unmöglich macht. Ich werde alle diese Behauptungen erläutern, damit sie jedem verständlich werden.

Zu Beginn sollte man wissen, dass der Unterschied zwischen den Lichtern und den Kelim sich bereits im ersten Geschöpf offenbart, welches sich von Ejn Sof (Unendlichkeit) abtrennt. Natürlich ist das erste Geschöpf auch erfüllter und feiner als jedes darauf folgende. Und zweifellos empfängt es all die Vollkommenheit und Wonne vom Wesen des Schöpfers, Der es mit der ganzen Wonne und dem ganzen Genuss zu füllen wünscht.

Es ist bekannt, dass der Wille zu empfangen das Maß für den Genuss ist. Denn alles, was unser Wille am liebsten empfangen möchte, wird in uns als größter Genuss verspürt. Deswegen müssen wir in der ersten Erschaffung zwei Kategorien unterscheiden: den Willen zu empfangen, jenes empfangende Wesen, sowie das Wesen des eigentlich Empfangenen.

Dabei muss man wissen, dass der Wille zu empfangen bei uns als der Körper des Geschöpfes gilt, das heißt sein Urwesen, welches das Kli zum Empfangen Seiner Güte ist. Und das zweite ist die Essenz, das Wesen dieser empfangenen Güte, das Licht des Schöpfers, welches stets nach außen an das Geschöpf ausgeströmt wird.

Und man muss unbedingt zwei Eigenschaften unterscheiden, die ineinander eindringen, sogar auf den höheren Niveaus des Spirituellen als jene, über welche man nachdenken und Überlegungen anstellen kann. Das widerspricht dem, was die Philosophie für sich ausgedacht hat, die glaubt, dass von der Materie abgetrennte Wesen nicht zusammengesetzt seien. Denn den Willen zu empfangen, der sich unbedingt im Geschöpf befindet (und ohne welchen es keinen Genuss, sondern nur Zwang gibt, ohne Andeutung eines Genusses), gab es im Wesen des Schöpfers nicht. Daher wurde er als Geschöpf bezeichnet, etwas, was es im Schöpfer nicht gibt, denn von wem könnte Er empfangen?

Während die empfangene Fülle unbedingt Teil des Wesens des Schöpfers ist, und im Bezug darauf sollte es nichts Neues geben. Und wenn dem so ist, sehen wir eine riesige Entfernung zwischen dem neu erschaffenen Körper und der empfangenen Fülle, welche dem Wesen des Schöpfers gleicht.

WIE KANN DAS SPIRITUELLE MATERIE ERZEUGEN?

Doch auf den ersten Blick fällt es schwer zu verstehen, wie das Spirituelle etwas Materielles erzeugen und unterhalten kann. Diese Frage ist eine uralte philosophische, und es wurde viel Tinte zu deren Erklärung vergossen.

Doch ist dies eigentlich nur für die Philosophen eine schwierige Frage, weil sie dem Spirituellen eine Definition ohne jeglichen Bezug zum Materiellen gaben. Daraus folgt tatsächlich eine schwierige Frage: Wie kann das Spirituelle etwas Materielles erzeugen oder wie kann aus ihm etwas Materielles resultieren?

Doch für Kabbalisten stellt diese Frage keinerlei Schwierigkeiten dar, weil das, was sie erkennen, ein vollkommener Gegensatz zu den Vorstellungen der Philosophen ist. Ihrer Meinung nach gleicht jede Eigenschaft des Spirituellen vollkommen einer Eigenschaft des Materiellen – wie zwei Wassertropfen. Und wenn dem so ist, dann ist die Beziehung zwischen ihnen sehr nahe, und zwischen ihnen bestehen keine Unterschiede, außer im Baustoff – das Spirituelle besitzt natürlich die spirituelle Materie, und das Materielle die körperliche Materie.

Doch alle Eigenschaften, die im spirituellen Baustoff wirken, wirken ebenfalls im materiellen Baustoff, wie dies im Artikel „Das Wesen der Wissenschaft Kabbala“ verdeutlicht wurde.

Doch drei Behauptungen der alten Philosophie stellen mir Hindernisse auf den Weg der Erklärungen. Als Erstes die Behauptung, dass die Kraft des vernünftigen Denkens im Menschen die unsterbliche Seele, das Wesen des Menschen sei; zweitens die Behauptung, dass der Körper die Fortsetzung und das Ergebnis der Seele sei; und drittens die Behauptung, dass spirituelle Wesen einfach und nicht zusammengesetzt seien.

MATERIALISTISCHE PSYCHOLOGIE

Und hier ist kein Platz für Streitereien über diese erdachten Vermutungen, weil ihre Zeit bereits vorbei ist und die Macht jener, die sich an diese Vermutungen halten, zu Ende ist. Dafür sollte man den materialistischen Psychologen danken, die ihre Lehre auf dem Ruin  der Philosophie aufbauten und auf diese Weise die öffentliche Meinung eroberten. Alle wissen bereits von der Nichtigkeit der Philosophie, da sie keine reale Basis hat.

Dabei wurde diese alte Doktrin zu einem Stolperstein und einem Dorn im Auge für die Weisheit der Kabbala, da man, anstatt sich den Gelehrten der Kabbala zu fügen und Absonderung und Vorsicht, Heiligkeit und Reinheit auf sich zu nehmen, noch bevor die Weisen begannen, etwas vom Spirituellen zu enthüllen, von der formellen Philosophie kostenlos das bekam, worum man bat, und maßlos von der Quelle ihrer [der Philosophen] Weisheit trank; dadurch vermieden sie es, sich mit der Wissenschaft der Kabbala zu beschäftigen, sodass diese Wissenschaft im Volk Israel fast in Vergessenheit geriet.

Daher sind wir der materialistischen Psychologie dankbar, welche der Philosophie den niederschmetternden Schlag verpasste.

ICH BIN SALOMON

Das gleicht einem Gleichnis der Weisen: „Ashmodai vertrieb den König Salomo aus Jerusalem auf eine Entfernung von 400 Parsa, ohne Geld und ohne Sachen, und setzte sich auf seinen Thron in Gestalt von Salomo. Salomo aber ging von Tür zu Tür und sagte überall, wohin er auch kam: ‚Ich bin Kohelet.‘ Doch man glaubte ihm nicht. So ging er von Stadt zu Stadt und verkündete: ‚Ich bin Salomo!‘ Und als er zum Sanhedrin kam, sagten die Weisen: ‚Ein Verrückter wiederholt nicht ständig den gleichen Unsinn, und dieser behauptet, er sei König.‘“

Es ist klar, dass nicht der Name wichtig ist, sondern derjenige, der ihn trägt. Wie konnte also ein so weiser Mann wie Salomo nicht erkannt werden, wenn er der Träger des Namens war? Überdies hätte ein Mensch, der seinen Namen ehrt, ihnen seine Weisheit zeigen müssen.

DREI HINDERNISSE

Es gibt drei Hindernisse, um den Träger des Namens zu erkennen:

1. Das erste: Infolge ihrer Wahrhaftigkeit eröffnet sich diese Weisheit erst, wenn alle Teile zusammen erscheinen. Und wenn dem so ist, dann wirst du nichts in der Wissenschaft sehen können, bevor du sie nicht ganz studiert hast. In diesem Fall ist die Verbreitung der Botschaft über ihre Wahrhaftigkeit erforderlich, und damit man von Anfang an an sie glauben kann, muss man dies in ausreichendem Maße tun.

2. Das zweite Hindernis besteht darin, dass der Dämon Ashmodai sich in die Kleider des Königs Salomo kleidete und seinen Thron erbte. So sitzt die Philosophie auf dem Thron der Kabbala, und ihre Gedanken sind leichter zu verstehen, weil die Lüge schnell akzeptiert wird. Dementsprechend vermehrt sich das Problem. Erstens ist die Wissenschaft der Kabbala tiefgründig und bedarf einer Bemühung, und die Philosophie ist lügnerisch und einfach anzueignen. Und zweitens „besteht keine Notwendigkeit an der Kabbala“, weil eine volle Befriedigung durch Philosophie vorhanden ist.

3. Drittens: Wie der Dämon behauptete, König Salomo sei ein Verrückter, so lacht auch die Philosophie die Wissenschaft der Kabbala aus und versucht, sie zu stürzen.

Doch solange sich die Kabbala im Erhabenen aufhält, ist sie dem Volk fern. Und da Salomo klüger als alle Menschen war, stand er auch höher als alle. Und selbst die hervorragenden Weisen konnten nicht das Ende seines Verstandes erreichen und verstehen. Nur jene Gefährten, d.h. der Sanhedrin, denen er Tag für Tag, Jahre lang, seine Weisheit lehrte, waren es, die ihn verstanden, ihn bekannt machten und sein Name in der ganzen Welt bekannt wurde.

Denn eine kleine Erkenntnis wird in fünf Sekunden offenbart, so dass sie für jeden Menschen verständlich ist und schnell bekannt gemacht werden kann. Nicht so bei einer großen Erkenntnis, die nicht offenbart werden kann, außer in einigen Stunden, und manche brauchen Tage oder Jahre. Das heißt, je nach dem Grad des Verstandes. Und so wird kein großer Weiser verstanden, außer von den Einzigen seiner Generation, weil der Verstand tief ist und auf vielen Voraussetzungen und Kenntnissen basiert.

Daher ist es kein Wunder, dass der weiseste aller Menschen an einen Ort kommt, wo man ihn nicht kennt, und keine Möglichkeit oder Fähigkeit hat, seine Weisheit zu offenbaren, oder ihnen irgendeine Vorstellung von seiner Weisheit zu geben, bis sie ihm glauben, dass er der Träger des Namens ist.

So ist es mit der Kabbala in unserer Zeit, als die Sorgen und das Exil, die uns zuteil wurden, zu deren Vergessen führten (und wenn es noch Menschen gibt, die sich mit der Kabbala beschäftigen, so schadet das mehr als dass es nutzen würde, weil sie sie nicht von einem weisen Kabbalisten empfangen haben). Und daher befindet sie sich in dieser Generation wie König Salomo im Exil, verkündend und rufend: „Ich bin die Weisheit! In mir sind alle Geschmäcker der Religion und der Tora!“ – doch man glaubt ihr nicht.

Man könnte fragen, wenn sie wirklich Weisheit genannt wird, warum kann sie sich nicht offenbaren, wie andere Weisheiten?

Aber das ist nicht der Fall, denn so wie König Salomo nicht in der Lage war, seine Weisheit den Weisen der Orte seiner Verbannung zu offenbaren, und nach Jerusalem zurückkehren musste, zum Ort des Sanhedrin, der Salomo, den König, kannte und lernte und Zeugnis über die Tiefe seiner Weisheit ablegte. So steht es auch um die Wissenschaft der Kabbala. Sie bedarf großer Weiser, Forscher des Herzens, die sie zwanzig, dreißig Jahre studieren werden, und erst dann über sie Zeugnis ablegen können.

Und so wie König Salomo nicht verhindern konnte, dass Ashmodai seinen Thron einnahm und vorgab, er zu sein, bevor er in Jerusalem ankam, betrachteten die Weisen der Kabbala die philosophische Theologie und beklagten sich, dass diese die oberste Schale ihrer Weisheit gestohlen hätte, welche sich auch Plato und die griechischen Vorfahren angeeignet hatten, indem sie viel mit den Schülern der Propheten in Israel interagierten und grundlegende Punkte der Weisheit Israels stahlen und sich in einen Mantel hüllten, der nicht ihnen gehörte. Und bis zum heutigen Tage sitzt die philosophische Theologie auf dem Königsthron der Kabbala, als Erbin ihrer Herrin.

Und wer wird den Weisen der Kabbala glauben, während andere auf ihrem Thron sitzen? So glaubte man auch nicht König Salomo in den Tagen seines Exils, da alle wussten, dass König Salomo auf seinem Thron saß – der Teufel Ashmodai. Und so wie bei Salomo besteht nicht die geringste Hoffnung auf die Offenbarung der Wahrheit, da die Weisheit tief ist und keine Möglichkeit hat, sich mittels eines Zeugnisses oder eines Experimentes zu zeigen, welches sie prüfen würde. Das können nur diejenigen tun, die sich ihr mit allen Kräften und ihrem ganzen Wesen widmen.

So wie der Sanhedrin König Salomo nicht erkannte, solange sich der Betrug Ashmodais nicht enthüllte, so wird auch die Kabbala ihre Natur und Wahrhaftigkeit nicht beweisen können. Und keine Enthüllungen werden der Welt ausreichen sie kennen zu lernen, bevor nicht die Nichtigkeit und die Lüge der philosophischen Theologie aufgedeckt wird, die den Thron erbte.

Somit gab es keine Rettung für Israel, bis sich die materialistische Psychologie offenbarte und dem Wesen der philosophischen Theologie einen tödlichen Schlag versetzte. Seitdem ist jeder, der den Schöpfer sucht, verpflichtet, die Kabbala auf ihren königlichen Thron und die Krone auf ihren ehemaligen Platz zurückzubringen.

überarbeitet, EY, 13.12.2023

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