Shamati 35. Die Lebenskraft der Kedusha
Ich hörte im Jahr 1945 in Jerusalem
Die Schrift sagt: „Das ist das Meer, groß und geräumig nach jeder Seite; dort ein Gewimmel, unzählig, von kleinen und großen Tieren“.[1]
Das sollte man deuten:
- Das Meer – gemeint ist das Meer von Sitra Achra.
- Groß und geräumig – das heißt, sie [Sitra Achra] offenbart sich allen und ruft: „Gib! Gib!“, was große Gefäße des Empfangens bedeutet.
- Dort ist ein Gewimmel – das heißt, es gibt dort Höhere Lichter, auf denen der Mensch läuft und die er mit seinen Füßen betritt.
- Und unzählige dort vorhandene Tiere, kleine und große – gemeint ist die beim Menschen vorhandene kleine oder große Lebenskraft[2] – alles befindet sich in diesem Meer.
Und das, weil es eine Regel gibt: Alles, was man vom Himmel gibt, wird nicht zurückgenommen, sondern es verbleibt unten. Wenn der Mensch etwas von Oben angezogen hat und er es danach befleckt, so bleibt es unten – aber nicht beim Menschen, sondern es fällt in das Meer von Sitra Achra.
Wenn der Mensch also ein Leuchten angezogen hat und nicht in der Lage ist, es ständig zu halten, weil seine Kelim (Gefäße) noch nicht rein sind, um für das Licht geeignet zu sein, also dass der Mensch es in Gefäßen des Gebens empfängt wie das Licht, welches vom Gebenden kommt, so muss deshalb dieses Leuchten von ihm verschwinden.
In diesem Moment gerät dieses Leuchten in die Hände der Sitra Achra. Und so wiederholt sich dieses mehrere Male, das heißt, der Mensch zieht heran, und dann weicht es wieder von ihm.
Daher nehmen die Leuchten im Meer von Sitra Achra zu, bis das Fass voll wird. Also, nachdem der Mensch das ganze Maß der Bemühungen enthüllt, welches er zu enthüllen in der Lage ist, dann gibt ihm Sitra Achra alles zurück, was sie in ihren Besitz gebracht hat, im Sinne des Gesagten: „Die Güter, die er verschlungen hat, wird er wieder ausspeien.“ Dementsprechend folgt, dass alles, was Sitra Achra in ihren Besitz brachte, nur ein Pfand in der Zeit war, in der sie Macht über den Menschen hat.
Und ihre Macht dient dazu, damit der Mensch die Möglichkeit hat, seine Gefäße des Empfangens zu untersuchen und sie in die Kedusha (Heiligkeit) hineinzuführen. Denn wenn sie den Menschen nicht beherrschen würde, gäbe der Mensch sich mit Wenigem zufrieden, und dann würden alle Gefäße des Empfangens des Menschen in Trennung (vom Schöpfer) verbleiben. Und der Mensch würde niemals die Gefäße versammeln können, die zur Wurzel seiner Seele gehören, er wäre nicht in der Lage, sie in die Heiligkeit zu führen und das Licht auszubreiten, welches zu ihm gehört.
Daher besteht die Korrektur darin, dass, jedes Mal, wenn er etwas heranzieht und anschließend einen Abstieg erlebt, er dann wieder von neuem anfangen muss, was neue Unterscheidungen bedeutet. Und was er in der Vergangenheit hatte, ist in die Sitra Achra gefallen, und sie hält es unter ihrer Herrschaft in Form eines Pfandes zurück, das heißt, danach bekommt der Mensch von ihr alles, was sie in all dieser Zeit von ihm bekam, zurück.
Doch man sollte auch wissen, würde es in der Kraft des Menschen liegen, irgendein Leuchten festzuhalten, und sei es auch ein kleines, es jedoch stetig wäre – dann würde der Mensch bereits als ganz gelten, also könnte er mit diesem Leuchten vorwärts schreiten. Dann muss es dem Menschen leidtun, wenn ein Leuchten verloren geht.
Und das gleicht einem Menschen, der einen Samen in die Erde legte, damit ein großer Baum daraus wird, den Samen jedoch sofort wieder aus der Erde nahm. Wenn dem so ist, was ist dann der Nutzen der Arbeit, davon, dass er den Samen in die Erde steckte?
Überdies können wir sagen, dass er den Samen nicht nur aus der Erde nahm und ihn zum Verderben brachte, sondern man könnte sagen, dass er einen Baum mit gereiften Früchten aus der Erde zog und sie zum Verderben brachte.
Hier ist das Gleiche: Wenn er dieses kleine Leuchten nicht verloren hätte, hätte daraus ein großes Licht wachsen können. Folglich verlor er nicht unbedingt die Macht eines kleinen Leuchtens, sondern es ist so, als hätte er wirklich ein großes Licht verloren.
Und man soll wissen, dass die Regel so ist: Der Mensch kann nicht ohne Lebenskraft und Genuss leben, weil es aus der Wurzel der Schöpfung stammt, welche Sein Wunsch ist, Seinen Geschöpfen Gutes zu tun. Daher kann jegliches Geschöpf nicht ohne Lebenskraft und Genuss existieren. Und daher ist jedes Geschöpf verpflichtet, sich aufzumachen und nach dem Ort zu suchen, von dem es Freude und Genuss beziehen kann.
Doch der Empfang des Genusses geschieht zu drei Zeiten: in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Der hauptsächliche Empfang des Genusses findet jedoch in der Gegenwart statt. Und obwohl wir sehen, dass der Mensch auch an der Vergangenheit und der Zukunft Freude hat, so ist es gerade aus dem Grunde, dass die Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart leuchten.
Wenn daher der Mensch keine Empfindung von Genuss in der Gegenwart findet, dann bezieht der Mensch Lebenskraft aus der Vergangenheit, und er kann anderen von vergangenen Zeiten erzählen, wie gut es ihm damals ging. Und daraus kann er Lebenskraft in der Gegenwart schöpfen. Oder er stellt sich vor, dass er hofft, dass es ihm in Zukunft gut gehen wird. Doch die Bewertung der Empfindung des Genusses in der Vergangenheit und der Zukunft hängt davon ab, wie sehr sie ihm in der Gegenwart leuchten. Und man sollte wissen, dass das sowohl den materiellen als auch spirituellen Genüssen eigen ist.
Und wie wir sehen, wenn der Mensch arbeitet, selbst auf materieller Ebene, ist die Reihenfolge so, dass er während der Arbeit Leid verspürt, weil er sich anstrengt. Der Grund, weshalb er aber in der Arbeit weitermacht, ist nur wegen der Kraft, die ihm von der Zukunft leuchtet, dass er eine Belohnung für seine Arbeit erhalten wird. Dies leuchtet einer Person in der Gegenwart, und deshalb ist er in der Lage, die Arbeit fortzusetzen.
Wenn er dagegen nicht in der Lage ist, sich die Belohnung vorzustellen, die er in Zukunft erhalten wird, so sollte der Mensch den Genuss am Zukünftigen nicht aus der Belohnung beziehen, die er in der Zukunft für seine Arbeit erhalten wird. Mit anderen Worten: Er wird nicht die Belohnung genießen, sondern er wird nicht an der Anstrengung leiden: Daher genießt er jetzt in der Gegenwart, was er in der Zukunft haben wird.
Die Zukunft leuchtet ihm in der Gegenwart dadurch, dass die Arbeit bald zu Ende sein wird, also die Zeit, in der er arbeiten muss, und er Ruhe bekommen wird. Es leuchtet ihm also in jedem Fall der Genuss der Ruhe, die er am Ende erhalten wird, was bedeutet, dass sein Gewinn sein wird, dass er keine Leiden haben wird, die er jetzt an der Arbeit empfindet, und das gibt ihm Kraft, um jetzt arbeiten zu können.
Und wenn der Mensch nicht in der Lage ist, sich vorzustellen, dass er bald der Leiden entledigt wird, die er jetzt erduldet, dann wird der Mensch verzweifelt und traurig werden, und dieser Zustand kann ihn dazu bringen, sich das Leben zu nehmen.
Daher sagten unsere Weisen: „Derjenige, der sich das Leben nimmt, hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt, denn er nimmt nicht die Vorsehung an, mit welcher der Schöpfer die Welt in der Form von ‚gut, der Gutes tut‘ führt.“ Stattdessen sollte man glauben, dass diese Zustände zu ihm kommen, weil man Oben will, dass ihm dies eine Korrektur bringen möge. Das heißt, damit er Reshimot (Aufzeichnungen, Erinnerungen) von diesen Zuständen erhalte, um den Weg der Welt mit größerer Bedeutung und größerer Kraft verstehen zu können.
Und diese Zustände werden als Aspekt von Achoraim (Rückseite) bezeichnet. Und zu der Zeit, wenn er diese Zustände überwindet, wird er des Zustandes von Panim (Vorderseite, Gesicht) gewürdigt werden, das heißt, das Licht scheint ins Innere dieser Achoraim.
Gemäß der Regel, dass der Mensch nicht leben kann, wenn er keinen Ort hat, wo er Freude und Genuss erhalten kann, folgt, dass zu der Zeit, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, aus der Gegenwart zu empfangen, er verpflichtet ist, in jedem Fall Lebenskraft zu beziehen, sei es von der Vergangenheit oder von der Zukunft. Das heißt, der Körper sucht sich die Lebenskraft mit allen Mitteln, die ihm zu seiner Verfügung stehen.
Dann, wenn der Mensch nicht damit einverstanden ist, Lebenskraft aus materiellen Dingen zu erhalten, hat der Körper keinen anderen Ausweg, als einzuwilligen, Lebenskraft von spirituellen Dingen zu bekommen, weil er keine andere Wahl hat.
Deswegen muss er einverstanden sein, Freude und Genuss aus Gefäßen des Gebens zu schöpfen, weil es unmöglich ist, ohne Lebenskraft zu leben. Dementsprechend folgt, dass, solange der Mensch daran gewöhnt ist, Tora und Mizwot im Sinne von lo liShma (nicht für Ihren Namen) auszuführen, also eine Gegenleistung für seine Arbeit zu bekommen, er tatsächlich die Möglichkeit hat, sich vorzustellen, dass er später irgendeine Gegenleistung erhalten wird, und schon kann er aufgrund dieser Berechnung arbeiten, dass er später Freude und Genuss bekommen wird.
Andererseits, wenn der Mensch nicht dafür arbeitet, um eine Belohnung zu erhalten, sondern ohne jegliche Gegenleistung arbeiten möchte – wie kann er sich vorstellen, später etwas zu haben, wovon er Lebenskraft erhalten wird? Er kann sich nämlich kein Bild machen, weil er nichts hat, worauf er zurückgreifen kann.
Daher gibt es in lo liShma keine zwingende Notwendigkeit, aus welcher man ihm von Oben Lebenskraft geben müsste, denn er hat Lebenskraft in der Vorstellung von der Zukunft, und von Oben gibt man keinen Luxus, sondern nur das Notwendige. Wenn daher der Mensch nur dem Schöpfer zuliebe arbeiten möchte, und er keineswegs Lebenskraft für andere Dinge erhalten möchte, dann gibt es keinen anderen Rat, als dass man von Oben verpflichtet ist, ihm Lebenskraft zu geben. Dies ist so, weil er nur die notwendige Lebenskraft erbittet, um sein Leben fortzusetzen. Und dann erhält er Lebenskraft aus der Struktur der heiligen Shechina (göttliche Gegenwart).
Es ist, wie unsere Weisen sagten: „Jeder, der mit der Gesellschaft bekümmert ist, wird belohnt und sieht den Trost der Gesellschaft.“ Denn als Gesellschaft wird die heilige Shechina bezeichnet, da Gesellschaft Versammlung bedeutet, also die Versammlung Israels, da Malchut die Gesamtheit aller Seelen ist.
Und da der Mensch keinerlei Belohnung für den eigenen Nutzen will, sondern zugunsten des Schöpfers arbeiten möchte, was heißt, die Shechina aus dem Staub zu erheben, damit sie nicht erniedrigt wird – was bedeutet, dass, wenn man nicht zugunsten des Schöpfers arbeiten möchte, sondern dass aus allem, was der Mensch sieht, sein eigener Nutzen erwachsen wird – dann gibt es Motivation für die Arbeit. Und was den Nutzen des Schöpfers angeht und der Mensch nicht sieht, dass er irgendeine Gegenleistung erhalten wird, dann lehnt sich der Körper gegen diese Arbeit auf, weil er den Geschmack von Staub an dieser Arbeit verspürt.
So ein Mensch will tatsächlich zugunsten des Schöpfers arbeiten, nur lehnt sich der Körper dagegen auf. Und er fleht den Schöpfer an, Er möge ihm Kraft geben, um dennoch arbeiten zu können, um die Shechina (göttliche Gegenwart) aus dem Staub zu erheben. Und daher wird er des Angesichtes des Schöpfers (Panim) gewürdigt, Der Sich ihm enthüllt, und die Verhüllung weicht von ihm.
[1] Psalm 104
[2] Lebenskraft (Chajut) und Tiere (Chajot) werden im Hebräischen mit den gleichen Buchstaben geschrieben.
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