Jom Kippur

Jom Kippur – „Versöhnungstag“ oder „Tag des Gerichts“ – folgt zehn Tage auf das jüdische Neujahrsfest, Rosh HaShana. Am Tag zuvor wird das Ritual „kaparot“ (Erlösung) durchgeführt. Dieser Feiertag gilt als einer der wichtigsten Feiertage in der jüdischen Tradition.

An diesem Tag fastet man (es wird nicht getrunken und nicht gegessen), man wäscht sich nicht, verwendet keine Parfüms, Kosmetik oder Öle, man trägt keine Sachen aus Leder (Schuhe, Gürtel, Riemen…). Eheliche Beziehungen sind an diesem Tag auch verboten. Niemand arbeitet an dem Feiertag. Anstatt Autos sieht man nur Fußgänger und Radfahrer auf den Straßen. Viele Juden, sogar säkulare, fasten und gehen in die Synagoge.

Es gibt an diesem Tag folgenden einen Brauch: Weiße Kleidung zu tragen und sich gegenseitig ein leichtes Fasten und einen guten Eintrag (gmar Hatima Tova) im Buch des Lebens zu wünschen. Diese Seite des Feiertags ist vielen Menschen gut bekannt. Darüber hinaus haben alle jüdischen Feiertage auch eine tiefe spirituelle Bedeutung, die für alle Zeiten gleich relevant ist. Jom Kippur bildet da keine Ausnahme.

Bemerkenswert ist, dass diese Information an Jom Kippur praktisch im offenen Text übermittelt wird. Aber wie so oft nehmen wir nicht wahr, was unmittelbar vor uns steht. Es geht um das Buch des Propheten Jona, das an Jom Kippur gelesen wird.

Die Abenteuer des Protagonisten des Buches – des Propheten Jona, dem Sohn von Amittai – sind nach wie vor umstritten, da es sehr schwer ist, die Botschaft des Textes zu verstehen. Besonders heute, da das Schicksal von Jona so sehr an das Schicksal des gesamten jüdischen Volkes erinnert. Lassen Sie uns jedoch zuerst zur Geschichte des Buches kommen, bevor wir zu Schlussfolgerungen übergehen.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Schöpfer dem Propheten Jona befahl, in die heidnische Stadt Niniwe zu gehen und den Bewohnern deren Sünden zu verkünden. Im Prinzip erhielt er eine ähnliche Aufgabe wie der Urvater Abraham zu seiner Zeit. Jona sollte dem Volk der Stadt von den Prinzipien der Brüderlichkeit und der gegenseitigen Liebe erzählen. Diese Prinzipien halfen einst Abraham, aus den Babyloniern, die zu verschiedenen Stämmen gehörten, ein vereintes Volk zu schaffen.

Damals wie heute erscheint dieses Vorhaben völlig unrealistisch. Kein Wunder, dass Jona gleich mal die Flucht ergriff, anstatt sofort mit seiner Mission zu beginnen. Er begab sich zum Hafen und kaufte sich eine Fahrkarte für ein Schiff, das bald auf das offene Meer segelte und prompt von einem heftigen Sturm erfasst wurde. Als die Situation bedrohlich wurde, begannen die Seeleute in Panik, überflüssige Dinge über Bord zu werfen und zu ihren Göttern zu beten. Währenddessen ging Jona, als ob nichts wäre, in den Frachtraum…. zum Schlafen.

Vor uns liegt eine direkte Analogie zu dem, was heute auf unserem gemeinsamen Schiff – unserem Planeten – geschieht. Diejenigen, die unser gemeinsames Schiff retten könnten, wie man so schön sagt, schlafen.

„Israel soll nicht als autonomer Teil der Menschheit existieren, sondern als gemeinsames geistiges Erbe, in dem alle individuellen Unterschiede zusammengeführt werden müssen, um gemeinsam mit ihr (der Menschheit) aufzusteigen, sie zu beeinflussen und von ihr beeinflusst zu werden.“ (Rav Abraham Cook (1865-1935) – der erste große aschkenasische Rabbiner Erez-Israel, berühmter Kabbalist. Philosophie des Judentums. Ausgewählte Artikel. Balagi Per. Jerusalem: AMAHA. 1991. С. 73.)

Die Erzählung gelangt dann zu ihrem Höhepunkt. Der Kapitän findet Jona im Tiefschlaf und fordert ihn auf, wie alle anderen für die Rettung des Schiffes zu beten. An Deck gesteht Jona, dass er vor dem Schöpfer geflohen ist. Die Matrosen sind starr vor Schreck, sie wissen nicht, was sie tun sollten. Es scheint logisch, dass Jona an dieser Stelle sein Verhalten bereuen und mit seiner Aufgabe beginnen sollte. Stattdessen schlug Jona den Matrosen vor, ihn über Bord zu werfen…

Für Jona war die ihm zugewiesene Aufgabe unlösbar. Der Tod war ihm lieber als zu versuchen, die Einstellung der Menschen zum Prinzip „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ zu ändern. Doch letztendlich konnte Jona der Aufgabe nicht entkommen, weil es für ihn, ebenso wie für das gesamte jüdische Volk, andere Pläne gab. Deshalb starb der Held der Erzählung nicht, sondern wurde von einem riesigen Fisch verschluckt. Schließlich ging Jona nach seinem Aufenthalt im Fischleib in die Stadt Niniwe und erfüllte die ihm anvertraute Aufgabe…

Hier endet die Geschichte und wir können sie wie folgt zusammenfassen: Jom Kippur ist der Tag, an dem wir unsere Taten des vergangenen Jahres bewerten. Der Sturm, der Jonas Schiff traf, ist ein perfektes Bild dafür, was in der Welt damals passierte und auch heute geschieht. Jeder versteht, dass es nicht so weitergehen kann. Allmählich begreifen immer mehr Menschen a, dass das Wesen des Problems sowie seine Lösung in unseren gegenseitigen Beziehungen liegen.

Das jüdische Volk wurde ursprünglich nach dem Prinzip „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ gegründet. Diese Idee liegt im Inneren des Menschen wie die DNA in einer Zelle. Deshalb ist es unmöglich, der Idee der Einheit zu entkommen, davor wegzulaufen, wegzusegeln und sogar wegzufliegen. Die Einheit muss sowohl auf der Ebene des Volkes als auch auf der Ebene der ganzen Welt und jedes einzelnen Menschen verwirklicht werden…

„…das Volk Israel spielt hier die Rolle des „Anleiters“. In dem Maß, in dem das Volk Israel sich selbst vereinigt, gibt es die Methode der Erreichbarkeit der Ewigkeit und Vollkommenheit an die anderen Nationen weiter und lehrt sie, wie es heißt: „Und alle werden Mich erkennen, von klein bis groß“. Baal Sulam – Rabbi Yehuda Ashlag (1884-1954) – der größte Kabbalist des XX. Jahrhunderts, Autor von Kommentaren zum Buch Sohar. Liebe zum Schöpfer und seinen Geschöpfen. Kitvei Baal Hasulam. ARI. Israel. 2009. P. 486.

UNBEKANNTES ÜBER BEKANNTES

Jom Kippur verkörpert weder Trauer noch Leid, sondern eine sehr hohe spirituelle Ebene. Obwohl die Menschen im Gebet Worte wie „Erlösung“, „Gericht“, „Sünden“, „Vergebung“, „Sünder“ und so weiter wiederholen, wird dieser Tag als sehr festlich angesehen.“Sünder“ ist ein Zustand, in dem ein Mensch seine Liebe zu sich selbst entdeckt und so offenbart, dass er ein „Sünder“ ist. Die Liebe zum Nächsten ist der höchste Wert, daher wird die Liebe zu sich selbst als Sünde bezeichnet.

Jom Kippur symbolisiert eine spirituelle Ebene der Verbindung, die jener von Purim (ebenfalls ein jüdischer Feiertag) komplett entgegengesetzt ist. Purim ist der Feiertag, der maximale Freude und Spaß auf der spirituellen Ebene verkörpert.

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