(K)ein Samstag wie jeder andere
Heute ist Samstag. Samstag ist immer der Tag für den wöchentlichen Einkauf. Da ich unter der Woche sehr lange arbeite, verbinde ich diese routinierte Tätigkeit mit einem anschließenden Besuch in meinem Lieblingscafé.
Also stehe ich um 07:00 Uhr auf, bereite mich wie jeden Samstagmorgen für den Einkauf vor und verlasse das Haus. Doch irgendwie ist heute alles anders. Noch während der Fahrt zum Supermarkt fühle ich schon Stress in mir aufkommen. Der Verkehr ist nicht im Fluss, ich werde geschnitten, die Vorfahrt wird mir genommen und der ganze Parkplatz ist so voll, dass ich 5 Minuten warten musste, bis jemand wegfuhr. Nach elendslanger Suche nach einem Einkaufswagen betrete ich den Supermarkt. Beim Bäcker am Eingang rotieren fünf Damen, um eine bereits zweireihige Menschenschlange zu bedienen. Die Einkäufe kann ich nur mit viel Geduld und Vorsicht tätigen, um nicht umgefahren zu werden. Die Angestellten beeilen sich, die Paletten zu öffnen, die sie einfach in den Gängen platzierten, da die Zeit zum Einräumen fehlt. Die Menschen hasten mit vollgepackten Wägen zu den Kassen, die heute alle geöffnet sind.
Ich halte kurz inne und atme durch: “Gleich hast du es geschafft.”
Nachdem ich meine Einkäufe im Auto verstaute, fahre ich in mein Café. Die Innenstadt ist ruhig und ich bekomme direkt vor der Eingangstür einen Parkplatz. Ich steige aus, werfe 50 Cent in die Parkuhr und geh hinein.
Viel ist heute nicht los. Das empfinde ich als angenehm, um mich etwas zu entspannen. Die Bedienung begrüßt mich freundlich mit den Worten: “Wie jeden Samstag?” Ich bejahe ihre Frage und sie bringt mir kurze Zeit später einen Cappuccino mit Herz, während ich noch nach meinem Buch in der Tasche krame. Als sie mir die Tasse auf den Tisch stellt, bemerke ich, dass sie zittert und etwas durcheinander wirkt. Später erzählt sie mir, dass das Café ab Montag schließt und sie auf unbestimmte Zeit in Kurzarbeit ist. Ihr Kind ist auch zuhause und sie macht sich große Sorgen, weil die Prüfungen vor der Tür stehen. Wir haben Zeit, uns kurz zu unterhalten, da außer mir nur noch ein Herr am anderen Ende des Cafés und zwei Damen am Nachbartisch sitzen. Auf einmal springt der Mann auf und wirft der Bedienung lauthals vor, ihn so lange warten zu lassen. Er wolle sofort bezahlen, weil er schließlich nicht so viel Zeit hat. Die junge Frau entschuldigt sich, kassiert den Mann ab und versteckt sich weinend in der Küche.
In diesem Moment fühle ich ein Gefühl von Traurigkeit, und Hilflosigkeit breitet sich in mir aus. Es ist nicht leicht, wenn die Zukunft so ungewiss ist. Meine Gedanken schweifen ab, sodass ich mich auf das Buch nicht mehr konzentrieren kann und so lege es wieder weg. Die Damen neben mir, beide im mittleren Alter, vertiefen sich in eine Diskussion über die aktuelle Situation. Die eine fordert von der Regierung sofortige Schließung aller öffentlichen “Brutstätten”, wie sie es nannte. Während die andere der Meinung ist, es sei unnötig, weil die Verbreitung dadurch nur aufgeschoben wird und sich alles zu lange hinziehen würde, bis schließlich die ganze Wirtschaft zusammenbricht. Aber wem gebe ich hier recht?
Noch während ich mir diese Frage stelle, wird mir bewusst, dass beide recht haben. Es gibt keine falsche Meinung. Es gibt nur eine Meinung und jede sieht die Situation aus ihrem eigenen Blickwinkel.
Was würde denn passieren, wenn wir mal dem anderen zuhören, anstelle seine Meinung von vornherein zu verurteilen? Oder wenn wir mit der eigenen Meinung mal zurückhaltender wären? Oder wenn wir mehr Verständnis für die Menschen um uns herum aufbrächten?
Wir sind doch voneinander abhängig! Ein Besuch im Café wäre nicht möglich, ohne eine Bedienung. Die Bedienung würde ohne das Café keine Arbeit haben. Das Café könnte ohne Supermärkte nicht bestehen. Die Supermärkte könnten ohne ihre Lieferanten und Mitarbeiter nichts verkaufen und so weiter und so fort. Das bedeutet, dass alles ein globales System ist und wir wie ein Uhrwerk ineinander greifen. Wir sehen, dass die aktuelle Krise uns alle betrifft, jeden von uns.
Wenn wir verstehen, dass das Verhalten der anderen auf Angst beruht, auch wenn wir sie nicht kennen, entsteht ein Miteinander und kein Gegeneinander. Jetzt haben wir die Möglichkeit, für einander da zu sein, uns gegenseitig zu helfen und zu unterstützen und gemeinsam diese Krise zum Guten zu wenden; nämlich zu einem funktionierenden System, indem keiner mehr Angst zu haben braucht, weil er sich auf andere verlassen kann und in jeder Not aufgefangen und unterstützt wird.
Und plötzlich verspüre ich Dankbarkeit, Dankbarkeit der Bedienung gegenüber, weil sie mich traurig gemacht hat, Dankbarkeit dem wütenden Mann gegenüber, weil er mir seine Angst gezeigt hat und Dankbarkeit den Damen vom Nachbartisch weil sie mich lehrten, dass sich zwei entgegengesetzte Meinungen ergänzen sollten, anstelle eine davon auszurotten.
Und beim Verlassen des Cafés entdecke ich einen Abreißzettel auf dem steht: “Nimm dir was du brauchst…”. Welch tolle Idee! Zur Auswahl steht: Gesundheit, Hoffnung, Träume, Mut und einige weitere. Ich reiße mir “Nächstenliebe” ab und verlasse lächelnd das Café.
Mit diesen Worten möchte ich allen meine Wertschätzung entgegenbringen und Mut zusprechen, die im Beruf, privat oder gesundheitlich großen Herausforderungen gegenüber stehen. Wir alle sind wichtig und brauchen einander. Nur gemeinsam können wir aus jeder Situation etwas Wertvolles gewinnen.
Danke für die Erkenntnis, in der klar geschriebenen Geschichte, dass wir ein gemeinsam funktionierendes System sind, in dem einer vom anderen abhängig ist!