Shamati 57. Er soll ihn darbringen nach seinem Willen

Ich hörte am 5. Februar 1944

Über den Vers „Er soll ihn darbringen nach seinem Willen“ [1] sagten unsere Weisen: „Wie? Man nötigt ihn, bis er sagt: ‚Ich will.‘“ Ebenso ist zu verstehen, was wir im Gebet sprechen: „Möge es Dein Wille sein.“ [2]. Denn es heißt: „Mehr als das Kalb saugen will, will die Kuh säugen“ [3]. Warum also beten wir: „Möge oben ein Wille sein“?

Es ist bekannt, dass dem Heranziehen der Fülle von oben ein Erwachen von unten vorausgehen muss. Doch weshalb ist ein solches Erwachen von unten erforderlich? Darum beten wir: „Möge oben ein Wille sein.“ Das bedeutet: Wir müssen bewirken, dass es oben einen Willen gibt, nach unten hin zu geben. Denn es genügt nicht, dass wir ein Verlangen haben; es muss auch seitens des Gebenden ein guter Wille vorhanden sein.

Und obwohl es oben einen allgemeinen Willen gibt, Seinen Geschöpfen Gutes zu tun, wartet Er dennoch auf unser Verlangen, damit dieses Seinen Willen wecke. Wenn wir nicht in der Lage sind, Seinen Willen zu erwecken, ist das ein Zeichen dafür, dass das Verlangen des Empfangenden noch nicht vollkommen ist. Gerade durch das Gebet, dass oben ein Wille sein möge, formt sich unser eigenes Verlangen und wird zu einem wahren Willen – zu einem Kli, das bereit und geeignet ist, die Fülle zu empfangen.

Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass alle unsere Handlungen, die guten wie die schlechten, von oben her bestimmt werden (das ist die Bedeutung von persönlicher Vorsehung), dass also alles der Schöpfer tut. Dennoch sollen wir Schmerz über die schlechten Taten empfinden, auch wenn sie ebenfalls von oben kommen.

Die Vernunft würde uns eigentlich verpflichten, nicht traurig zu sein, sondern das Urteil zu rechtfertigen, das uns schlechte Taten zuspricht. Doch tatsächlich ist es anders: Wir müssen darüber betrübt sein, dass uns nicht erlaubt wird, gute Taten zu vollbringen. Dies ist gewiss eine Strafe – nämlich, dass wir nicht würdig sind, dem König zu dienen. Wenn aber alles gelenkt ist, wie kann man dann sagen, wir seien nicht würdig, da es doch unten keinerlei Handlung gibt? Darum gibt man uns schlechte Gedanken und Wünsche, die uns vom Dienst des Schöpfers entfernen, dass wir nicht würdig sind, Ihm zu dienen. Deshalb entsteht ein Gebet darum – und dies ist der Ort der Korrektur: dass wir würdig und fähig werden, den Dienst des Königs auf uns zu nehmen.

So verstehen wir auch, wie ein Gebet in Zeiten der Not Sinn haben kann. Gewiss kommt die Not als Strafe. Doch Strafen sind zugleich Korrekturen, denn es gibt das allgemeine Gesetz: Die Strafe ist eine Korrektur. Wie also können wir beten, dass der Schöpfer unsere Korrekturen aufhebt, wie unsere Weisen über den Vers sagten: „damit dein Bruder vor deinen Augen nicht erniedrigt werde“ (5. Buch Moses 25,3), sodass er, nachdem er geschlagen wurde, dein Bruder genannt wird.

Man muss jedoch wissen, dass das Gebet den Menschen noch mehr korrigiert als Strafen. Wenn daher ein Gebet an die Stelle einer Strafe tritt, werden die Leiden aufgehoben und dem Gebet sein Platz gegeben, damit es den Körper korrigiere. Das ist die Bedeutung des Ausspruchs unserer Weisen: „Hat er Verdienst – durch die Tora; hat er keinen Verdienst – durch Leiden“ (Berachot 5a). Und man muss wissen, dass der Weg der Tora erfolgreicher und gewinnbringender ist als der Weg der Leiden. Denn die Kelim, die dadurch geeignet werden, das Höhere Licht zu empfangen, sind weiter, und durch ihre Kraft kann man die Anhaftung an Ihn erlangen.

Dies ist die Bedeutung von: „Man zwingt ihn, bis er sagt: ‚Ich will.‘“ Das heißt: Der Schöpfer spricht: „Ich will die Handlungen der Unteren.“

Und die Bedeutung des Gebets ist, was unsere Weisen sagten: „Der Schöpfer sehnt sich nach dem Gebet der Gerechten“ (Jewamot 64a). Denn durch das Gebet bereiten wir die Kelim, sodass der Schöpfer die Fülle geben kann, da nun ein geeignetes Kli vorhanden ist, um sie zu empfangen.

überarbeitet, EY, 1.9.2025

[1] 3. Buch Mose 1, 3

[2] Gebetsbuch, Teil des Morgengebets

[3] Talmud, Traktat Psachim 112, 1

[4] 5. Buch Mose 25, 3

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