Das Wesen der Religion und ihr Ziel (ed.)
Von Rav Yehuda Ashlag
Hörbuchversion: Das Wesen der Religion und ihr Ziel
In diesem Artikel möchte ich drei Fragen beantworten:
- Worin besteht das Wesen der Religion?
- Wird ihr Ziel in dieser Welt oder in der zukünftigen Welt erreicht?
- Ist das Ziel der Religion das Wohl des Schöpfers oder das Wohl der Geschöpfe?
Auf den ersten Blick wird sich der Leser über meine Worte wundern und diese drei Fragen nicht verstehen, die ich als Thema für diesen Artikel wählte. Denn wer weiß denn nicht über Religion Bescheid und kennt das Konzept von Belohnung und Bestrafung, das sich hauptsächlich auf das Leben nach dem Tod bezieht? Geschweige denn die dritte Frage. Alle wissen, dass sie auf das Wohl der Geschöpfe ausgerichtet ist – sie zu Erfüllung und Glück zu führen. Und was kann man dem noch hinzufügen?
Tatsächlich habe ich dem nichts hinzuzufügen. Weil die Menschen jedoch von Kindesbeinen an mit diesen drei Konzepten aufgewachsen sind, können sie im Verlauf ihres gesamten Lebens weder etwas zu ihnen hinzufügen noch sie weiter untersuchen. Das zeigt ihre Unkenntnis dieser erhabenen Begriffe, die tatsächlich die Grundlagen sind, auf welchen das gesamte religiöse Gebäude beruht.
Sagt mir also: Wie ist es möglich, dass ein Jugendlicher von zwölf oder dreizehn Jahren reif genug dazu ist, diese subtilen Begriffe zu verstehen? Und auch noch so ausreichend, dass er ihnen im Laufe seines ganzen Lebens keine weiteren Konzepte an Wissen hinzufügen müsste?
Hier genau liegt das Problem! Denn eine solch oberflächliche Annahme führte auch zu oberflächlichem Wissen und haarsträubenden Schlussfolgerungen in unserer Generation, und sie führte uns zu einem Zustand, in welchem wir kaum noch Einfluss auf unsere nächste Generation haben.
Das absolut Gute
Um den Leser nicht mit langen Ausführungen zu ermüden, werde ich mich nur nach den vorausgehenden Artikeln richten, hauptsächlich nach dem Artikel „Gabe der Tora“ – die alle gleichsam als Einleitung zu diesem erhabenen Thema gelten. Ich werde mich kurz und einfach ausdrücken, damit es jedem verständlich wird.
Zu Beginn muss man verstehen, dass der Schöpfer das absolut Gute ist. Es ist also unmöglich, dass Er jemandem ein Leid zufügen würde, und das nehmen wir als das wichtigste Gesetz wahr. Der gesunde Menschenverstand zeigt uns klar, dass die Grundlage aller schlechten Taten nichts Anderes als das „Verlangen zu empfangen“ ist.
Daher ist unsere leidenschaftliche Jagd nach eigenem Wohlergehen, die vom Verlangen zu empfangen hervorgerufen wird, der Grund dafür, dem Nächsten Leid anzutun, da das Verlangen zu empfangen danach strebt, sich zu füllen. Zöge ein Lebewesen keine Erfüllung daraus, sich selbst zu bevorteilen, würde auch kein Lebewesen einem anderen schaden. Und wenn wir gelegentlich ein Geschöpf sehen, welches seinesgleichen Leid antut, ohne sich dadurch einen Vorteil zu erschaffen, so tut es dies nur aus der Gewohnheit heraus, die ursprünglich dem Verlangen zu empfangen entstammte, das es nun vom Bedürfnis befreit, einen neuen Grund dafür zu finden.
Und da wir erkennen, dass der Schöpfer in sich vollkommen ist und keine Hilfe für die Vervollkommnung benötigt, da Er allem Seienden vorausgeht, folgt, dass Er keinerlei Verlangen zu empfangen hat. Und daher fehlt Ihm auch der Wunsch, anderen Leid anzutun. Und das ist ganz einfach zu verstehen.
Darüber hinaus ist es für unseren Verstand angenehm, es als erstes Konzept anzunehmen, dass Er das Verlangen hat, Seinen Geschöpfen Gutes zu geben. Und das zeigt sich in der großartigen Schöpfung, die Er für uns erschaffen und uns gegeben hat. Denn in dieser Welt haben die Geschöpfe notwendigerweise entweder gute oder schlechte Empfindungen. Und was sie auch empfinden, wird tatsächlich vom Schöpfer verursacht. Nachdem nun klar ist, dass in der Natur des Schöpfers keine Absicht zu schaden vorliegt, folgt daraus, dass alle Geschöpfe nur Gutes von Ihm bekommen, denn Er erschuf sie ausschließlich, um ihnen Genuss zu bereiten.
Somit haben wir gelernt, dass der Schöpfer nur den Wunsch hat, Gutes zu geben; es ist absolut unmöglich, dass irgendeine Bösartigkeit von Ihm ausgeht. Daher definieren wir Ihn als „Absolut Gut“. Nachdem wir dies erkannt haben, werfen wir nun einen Blick auf die Realität, die Er lenkt und mit Gutem beschenkt.
Die Lenkung des Schöpfers ist eine zielgerichtete Lenkung.
Das wird aus der Entwicklung der Objekte der uns umgebenden Wirklichkeit selbst klar. Wenn wir uns jedes noch so kleine Geschöpf vornehmen, welches einer der vier Arten angehört – bewegungslos, pflanzlich, tierisch, sprechend (Mensch) – sehen wir, dass sowohl das Einzelwesen als auch seine Art als Ganzes zielgerichtet gelenkt werden. Das heißt, die langsame und stufenweise Entwicklung, die durch Ursache und Wirkung bedingt ist, gleicht der Frucht eines Baumes, deren Lenkung ein gutes Endziel verfolgt: sie süß und angenehm im Geschmack zu machen.
Man frage die Botaniker, wie viele Zustände diese Frucht vom Moment der Entstehung bis zur Erreichung ihres Ziels – der endgültigen Reife – durchläuft. Und alle Zustände, die dem endgültigen vorausgehen, entbehren nicht nur der Andeutung auf deren endgültigen, schönen und süßen Zustand, sondern zeigen uns sogar (als wollten sie uns ärgern) eher den Gegensatz zu ihrer Endform.
Je süßer die Frucht am Ende ist, desto bitterer und hässlicher ist sie in den vorausgehenden Stufen ihrer Entwicklung. Genauso verhält es sich mit den Stufen „tierisch“ und „sprechend“ (Mensch): Ein Tier, dessen Verstand auch nach Abschluss des Wachstums klein bleibt, durchläuft keine bedeutenden Veränderungen im Entwicklungsprozess, während im Menschen, dessen Verstand sich am Ende seiner Entwicklung um ein Vielfaches vergrößert, beträchtliche Veränderungen stattfinden. Ein eintägiges Kalb wird bereits als Stier bezeichnet, da es auf seinen Beinen stehen und laufen kann, und auch Gefahren meidet, die auf seinem Weg vorkommen.
Der Mensch dagegen gleicht als Neugeborener einem Geschöpf, dem viele solcher Sinne fehlen. Und würde jemand, der die Realität dieser Welt nicht kennt, diese zwei Neugeborenen betrachten und versuchen, die Situation zu beschreiben, so würde er natürlich vom Säugling sagen, dass aus diesem nie etwas werden wird, und vom Kalb würde er sagen, dass es einmal zu einem großen Helden heranwachsen werde; denn er würde die Weisheit des Kalbes mit jenem des Neugeborenen vergleichen, welches scheinbar ohne Bewusstsein und Verstand ist.
Somit springt klar ins Auge, dass die Lenkung der vom Schöpfer erschaffenen Wirklichkeit eine „zielgerichtete Lenkung“ ist, welche die Reihenfolge von Entwicklungsstufen nicht in Betracht zieht. Ganz im Gegenteil versucht sie scheinbar, uns mit deren Hilfe absichtlich zu täuschen, indem sie uns immer Zustände zeigt, die ihrer Endvariante entgegengesetzt sind.
Das meinen wir, wenn wir sagen: „Es gibt keinen klügeren Menschen als den Erfahrenen.“ Denn nur ein Mensch, der Erfahrung erlangt und über die Fähigkeit verfügt, das Geschöpf in allen Entwicklungsstadien bis zum letzten vollkommenen Zustand zu beobachten, kann die Gemüter beruhigen. Dann fürchtet er nicht die verdorbenen Bilder, in welchen sich die Schöpfung in ihren unterschiedlichen Stadien der Entwicklung befindet und kann an die Schönheit und die Vollkommenheit der abgeschlossenen Entwicklung glauben.
Nun haben wir klar die Wege Seiner Vorsehung in unserer Welt aufgezeigt, welche einer zielgerichtete Lenkung entspricht. Die Eigenschaft der Güte ist solange nicht erkennbar, bis die Schöpfung ihre Vervollkommnung und ihre endgültige Reife erreicht. Im Gegenteil stellt sie sich dem Beobachter vor ihrer Vervollkommnung meistens als verdorben dar. So erkennt man, dass der Schöpfer Seinen Geschöpfen nur Gutes schenkt, und dieses Gute entstammt einer zielgerichteten Lenkung.
Zwei Wege: Weg des Leidens und Weg der Tora.
Wir zeigten, dass der Schöpfer das „Absolut Gute“ ist. Er lenkt uns in Seiner Vollkommenheit zielgerichtet und ohne jede Beimischung von Bösem. Das bedeutet, dass die Zielgerichtetheit Seiner Lenkung uns verpflichtet, die Reihenfolge der unterschiedlichen Zustände auf uns zu nehmen, die durch das Gesetz von Ursache und Wirkung bedingt sind, bis wir schließlich würdig werden, das erwünschte Gute zu empfangen, wodurch wir das Ziel unserer Schöpfung erreichen, wie eine prächtige Frucht am Ende ihrer Reifung. Und wir verstehen, dass dieser Zweck für uns alle garantiert ist, andernfalls würde man Seine Vorsehung kritisieren, wenn man sagte, sie sei für diesen Zweck unzureichend.
Die Weisen sagten, dass die „Shechina bei den Unteren eine große Notwendigkeit“ ist. Da die Lenkung des Schöpfers zielgerichtet ist, wird sie uns am Ende zur Verschmelzung mit Ihm führen, damit Er in uns wohnt. Und das wird als eine große Notwendigkeit bezeichnet. Würden wir nicht dorthin gelangen, so wäre Seine Lenkung mangelhaft.
Und das gleicht einem mächtigen König, der im Greisenalter einen Sohn bekam und ihn sehr liebte. Daher nahm sich der König vom Tag der Geburt seines Sohnes an vor, ihm alles zu geben. Zu diesem Zweck sammelte er die wertvollsten und weisesten Bücher im Königreich und baute ihm eine Schule (Beit Midrash), damit er Weisheit erreiche. Und er rief berühmte Bauleute zusammen und erbaute für den Sohn Lustpaläste und rief alle Sänger und Musiker herbei, damit sie den Sohn Musik und die Kunst des Singens lehren würden, und er rief die geschicktesten Köche und Konditoren zusammen, damit sie ihm die schmackhaftesten Gerichte der Welt bereiten würden.
Und so wuchs der Sohn heran. Doch stellte er sich als dumm heraus und hatte keine Verlangen nach Bildung. Und er war blind und konnte die Pracht der Gebäude weder sehen noch fühlen. Und er war taub für den Gesang und die Melodien der Instrumente. Und er war krank, durfte nur grobes Mehlbrot essen, und Geringschätzung und Zorn wuchsen in ihm.
Solch eine Situation könnte sich bei einem irdischen König zutragen, nicht jedoch beim Schöpfer, da es in Ihm nichts Falsches gibt. Und daher bereitete Er für uns zwei Wege der Entwicklung vor:
Der erste ist ein Weg des Leidens, der die Entwicklung der Schöpfung aus sich heraus darstellt. Der Mensch ist durch seine eigene Natur gezwungen, in wechselnden, aufeinander folgenden Zuständen, die ihn langsam entwickeln, einen Weg von Ursache und Wirkung zu gehen, bis er sich entschließt, das Gute zu wählen und das Schlechte abzulehnen, um sich für das Ziel würdig zu erweisen, das Er wünscht.
Und dieser Weg ist in der Tat lang und schmerzhaft. Deshalb hat Er uns einen anderen angenehmen und sanften Weg bereitet – den Weg der Tora und Mizwot – damit wir uns schnell für das Ziel als würdig erweisen.
Dieses endgültiges Ziel besteht darin, uns für die Verbindung mit Ihm als würdig zu erweisen, damit Er in uns wohnt. Dieses Ziel ist eine Gewissheit und es gibt keine Möglichkeit, davon abzuweichen, da Seine Führung uns auf beiden Pfaden – dem Weg des Leidens und dem Weg der Tora – überwacht. Wenn wir jedoch die tatsächliche Realität betrachten, zeigt sich, dass Seine Führung gleichzeitig auf beiden Wegen geschieht, auf die unsere Weisen als „Weg der Erde“ und „Weg der Tora“ Bezug nehmen.
Das Wesen der Religion ist es, in uns den Sinn für die Erkenntnis des Bösen zu entwickeln.
Die Weisen sagten: „Was für einen Unterschied macht es für den Schöpfer, ob man das Vieh am Nacken oder am Hals schlachtet? Denn die Gebote sind zu nichts Anderem gegeben, als die Geschöpfe durch sie zu reinigen.“ Was die „Reinigung“ ist, wurde im Artikel „Gabe der Tora“ (Punkt 2) erläutert. Doch hier werde ich das Wesen dieser Entwicklung erklären, die durch die Beschäftigung mit Tora und Geboten erreicht wird.
Wisse, dass es die Erkenntnis des Bösen in uns ist. Doch die Erfüllung der Gebote kann langsam und allmählich denjenigen, der sie erfüllt, feiner und erhabener machen. Und die wahre Höhe der Stufe der Verfeinerung besteht im Grad der Erkenntnis des Bösen in uns.
Denn seitens der Natur ist der Mensch bereit, alles Böse von sich abzustoßen und auszurotten. Darin sind sich alle Geschöpfe gleich, und der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht lediglich in der Erkenntnis des Bösen.
Ein weiter entwickeltes Geschöpf ist sich eines höheren Grades des Bösen in sich bewusst und stößt es in einem größeren Maß von sich weg. Und ein weniger entwickeltes Geschöpf verspürt in sich eine kleinere Stufe des Bösen, und stößt es daher nur in einem geringeren Maß ab. Am Ende lässt es den ganzen Schmutz in sich, da es diesen nicht als Schmutz empfindet.
Um den Leser nicht zu verwirren, werden wir erläutern, was die Basis von Gut und Böse ist, wie davon im Artikel „Gabe der Tora“ (Punkt 12) die Rede war. Die Basis alles Bösen ist nichts anderes als die Liebe zu sich selbst, die als „Egoismus“ bezeichnet wird. Ihr Naturell ist dem Schöpfer entgegengesetzt, in Dem es kein Verlangen gibt, für Sich zu empfangen, sondern nur das Verlangen zu geben.
Und wie im Artikel „Gabe der Tora“ (Punkt 9 und 11) erklärt wurde, werden Genuss und Erhabenheit am Grad der Gleichheit der Form mit dem Schöpfer gemessen. Und Schmerz und Intoleranz messen sich an dem Unterschied zu den Eigenschaften des Schöpfers (Ungleichheit der Form). Daher quält uns der Egoismus und uns ekelt davor, da seine Form dem Erschaffer entgegengesetzt ist.
Aber dieser Ekel ist nicht gleichmäßig auf alle Seelen verteilt, sondern in verschiedenem Maße gegeben. Der rohe, unentwickelte Mensch betrachtet den Egoismus nicht als schlechtes Attribut und benutzt ihn offen, ohne Scham oder Zurückhaltung. Er stiehlt und mordet am helllichten Tag, wo immer er es für möglich hält. Die etwas weiter entwickelten halten ein gewisses Maß an ihrem Egoismus für schlecht und schämen sich zumindest, ihn in der Öffentlichkeit zu nutzen, um zu stehlen und zu töten. Aber im Geheimen begehen sie immer noch ihre Verbrechen.
Und ein noch weiter Entwickelter empfindet den Egoismus tatsächlich als Gräuel, sodass er ihn nicht mehr dulden kann und ihn von sich stößt und ihn, entsprechend dem Grad seiner Erkenntnis des Bösen gänzlich vertreibt, sodass er nicht länger auf Kosten anderer genießen will und kann. Und dann beginnen in ihm Funken der Liebe zum Nächsten zu erwachen, die als „Altruismus“ bezeichnet werden, welcher die allgemeine Eigenschaft des Guten ist.
Das entwickelt sich ebenfalls stufenweise. Zunächst entwickelt sich in ihm das Gefühl der Liebe zur Familie und zu seinen Nächsten sowie der Wunsch, sich um sie zu kümmern, wie es heißt: „Vor dem eigenen Fleisch kann man nicht fliehen.“ Und wenn er sich noch mehr entwickelt, so will er zunehmend allen geben, die ihn umgeben – den Bewohnern seiner Stadt und seinem Volk. Und so fügt er hinzu, bis er schließlich die Nächstenliebe zur gesamten Menschheit entwickelt.
Bewusste und unbewusste Entwicklung.
Bedenke, dass zwei Kräfte dazu dienen, uns die Sprossen der oben erwähnten Leiter hinaufzustoßen, bis wir ihre Spitze im Himmel erreichen, was der beabsichtigten Gleichheit der Form mit unserem Schöpfer entspricht. Und der Unterschied zwischen diesen beiden Kräften besteht darin, dass die erste uns von hinten anstößt, was wir als „Weg des Schmerzes“ oder „Weg der Erde“ definierten.
Daraus entspringt die Moralphilosophie, welche als Ethik bezeichnet wird. Sie basiert auf der empirischen Erkenntnis, also auf einer Prüfung mit Hilfe des praktischen Verstandes. Und das ganze Wesen dieses Systems stellt nichts anderes als die Summe der Schäden dar, welche vor unseren Augen von den keimenden Samen des Egoismus hervorgebracht wurden.
Diese Experimente kommen zufällig zu uns, nicht als Resultat unserer bewussten Entscheidung, aber sie führen uns sicher zum Ziel, denn das Bild des Bösen wird uns immer klarer. Und wenn wir seine Nachteile erkennen, entfernen wir uns davon und besteigen eine höhere Sprosse auf der Leiter.
Die zweite Kraft treibt uns auf „bewusste“ Weise an, wir wählen sie selbst. Diese Kraft zieht uns von vorne, und wir bezeichneten dies als den Weg der Tora und der Mizwot (Gebote). Denn durch die Erfüllung der Gebote sowie die Arbeit mit der Absicht, dem Schöpfer Genuss zu bereiten, entwickelt sich in uns diese Empfindung der Erkenntnis des Bösen mit großer Geschwindigkeit, wie im Artikel „Gabe der Tora“ (Punkt 13) beschrieben wurde.
Und hier gibt es einen doppelten Vorteil:
- Wir müssen nicht auf die Tortur des Lebens warten, die uns von hinten drängt, deren Größe am Maße der Agonie und Zerstörungen gemessen wird. Im Gegenteil, durch die subtile Annehmlichkeit, die wir empfinden, wenn wir aufrichtig arbeiten, um Ihn zu erfreuen, entwickelt sich in uns die Erkenntnis für die Niedrigkeit der Selbstliebe – sie ist das Hindernis auf unserem Weg, diesen subtilen Geschmack am Geben an den Schöpfer zu empfangen.
Denn die stufenweise Empfindung der Enthüllung des Bösen entwickelt sich in uns vor dem Hintergrund der Empfindung von Genuss und völliger Ruhe, das heißt durch den Empfang des Genusses während der Arbeit für den Schöpfer. Und diese genussvolle und behagliche Empfindung entsteht in uns durch die Gleichheit der Form mit dem Schöpfer.
- Zweitens gewinnen wir Zeit, da Er „uns erleuchtet“ und uns hilft, intensiver zu arbeiten und die Zeit nach unserem Wunsch zu beschleunigen.
Die Religion dient nicht dem Nutzen der Geschöpfe, sondern dem Nutzen desjenigen, der sich bemüht.
Viele irren sich und vergleichen unsere heilige Tora mit Ethik und Moral, weil sie niemals den Geschmack der Religion in ihrem Leben gekostet haben. Ich rufe sie auf: „Kostet und sehet, dass der Schöpfer gut ist.“ Es ist richtig, sowohl Ethik als auch Religion sind auf ein Ziel ausgerichtet: Den Menschen aus dem Schmutz der beengenden Eigenliebe auf die erhabene Höhe der Nächstenliebe zu erheben.
Doch noch sind sie so weit voneinander entfernt, wie die Gedanken des Schöpfers von den Gedanken der Geschöpfe. Denn die Religion entstammt den Gedanken des Schöpfers, und die Moral ist Ergebnis fleischlicher Gedanken und Lebenserfahrung. Daher gibt es einen großen Unterschied zwischen ihnen in Bezug auf die Praxis und das Endziel. Denn die Erkenntnis von Gut und Böse, welche sich in uns durch Moral entwickelt, hängt direkt mit dem Erfolg der Gesellschaft zusammen.
In der Religion ist unsere Erkenntnis von Gut und Böse relativ zum Schöpfer – das heißt von der Ungleichheit der Form gelangen wir zur Gleichheit der Form mit dem Schöpfer, was als Dwekut (Verschmelzung) bezeichnet wird, wie im Artikel „Gabe der Tora“ (Punkt 9 – 11) erläutert wurde.
Sowohl Ethik als auch Religion sind auch hinsichtlich des Ziels völlig voneinander entfernt, denn das Ziel der Ethik ist das Wohlergehen der Gesellschaft aus der Perspektive der praktischen Vernunft, abgeleitet aus den Lebenserfahrungen. Aber am Ende verspricht dieses Ziel seinen Anhängern keine Erhebung über die Grenzen der Natur hinaus. Daher ist dieses Ziel immer noch Gegenstand von Kritik, denn wer kann einem Individuum das Ausmaß seines Nutzens auf so schlüssige Weise beweisen, dass es sein Selbst zugunsten des Wohlergehens der Gesellschaft auch nur ein wenig verringert?
Das religiöse Ziel jedoch verspricht dem Menschen das Wohl des Einzelnen, wie wir bereits gezeigt haben. Wenn jemand dazu gelangt, andere zu lieben, hat er Dwekut erreicht, was einer Gleichheit der Form mit dem Schöpfer entspricht. Der Mensch verlässt seine enge, von Schmerz und Hindernissen erfüllte Welt und erreicht eine ewige und weite Welt des Gebens an den Herrn und an das Volk.
Noch ein wichtiger Unterschied, der für die Tora spricht, besteht darin, dass das ethische System danach strebt, das Wohlwollen der Menschen zu erreichen, was einer Miete gleicht, die am Ende bezahlt wird. Und wenn der Mensch sich an diese Arbeit gewöhnt, wird er in den Stufen der Ethik nicht aufsteigen, da er nun eine Arbeit verrichtet, die von der Gesellschaft belohnt wird, die ohnehin für seine guten Taten bezahlt.
Derjenige aber, der sich mit der Tora und den Geboten beschäftigt, um dem Schöpfer Genuss zu schenken ohne jegliche Belohnung dafür zu erhalten, erklimmt tatsächlich die Stufen der Moral, wie dies auch erforderlich ist. Denn er bekommt keinerlei Bezahlung auf seinem Weg. Und jeder Cent wird einem großen Konto hinzugefügt. Und schließlich erwirbt er eine zweite Natur, er gibt anderen, ohne selbst Lohn dafür zu empfangen, und nimmt nur, was er zum Leben braucht.
Dadurch wurde er tatsächlich von allen Zwängen der Natur befreit. Denn wenn einem Menschen jegliches Empfangen für sich selbst zuwider ist und seine Seele von allen überflüssigen und kleinlichen Vergnügungen des Körpers frei ist und er nicht danach strebt, Ehre oder Ähnliches zu erlangen, dann lebt er frei in der Welt des Schöpfers. Und ihm wird dabei niemals Schaden drohen. Denn der ganze Schaden, den der Mensch verspürt, ereilt ihn nur dann, wenn er für sich selbst empfängt, was in ihn eingemeißelt ist.
Somit haben wir in vollem Umfang gezeigt, dass das Ziel der Religion nur für jenen Menschen ist, der sich auf sie einlässt. Und in keiner Weise zum Zweck oder Vorteil der herkömmlichen Menschen, obwohl alle seine Handlungen dem Nutzen der Menschen dienen und er an diesen Handlungen gemessen wird. Doch dies ist lediglich ein Mittel zur Erreichung des erhabenen Ziels – die Gleichheit der Form mit dem Schöpfer.
Und jetzt können wir verstehen, dass der Zweck der Religion sich offenbart, während wir in dieser Welt leben, und untersuche den Artikel „Gabe der Tora“ genau im Hinblick auf den Zweck des Ganzen und des Einzelnen.
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