Körper und Seele

Rav Yehuda Ashlag

Bevor ich an die Erläuterung dieses erhabenen Themas gehe, ist es wichtig zu unterstreichen, dass es unmöglich erscheint dies einem menschlichen Verstand zu erklären, ohne jene abstrakten philosophischen Begriffe zu benützen, die normalerweise bei Erklärungen dieser Art üblich sindtrotzdem stößt die Kabbala jeden Studierenden von der abstrakten Philosophie und allem, was mit ihr in Verbindung steht, weg, und neigt ihn der reinen Wissenschaft zu, die über Präzision verfügt, gemäß der einfachen Erkenntnis praktischer Handlungen.

Und wenn im Weiteren philosophische Begriffe benützt werden, so nur, um den Unterschied aufzuzeigen zwischen dem, wie hoch sich der menschliche Verstand erheben kann, und den Erkenntnissen eines Kabbalisten, der über eine praktische Basis verfügt.

Zur Erläuterung des wahren Sinns der Begriffe „Körper“ und „Seele“ ist es notwendig, sich von allen benützten Begriffen zu befreien, die in den Massen Wurzeln geschlagen haben und hauptsächlich den abstrakten Theorien entnommen sind, da in ihnen der Sinn der Kabbala fern vom Ziel liegt.

Drei Theorien von Körper und Seele

Alle Theorien von Körper und Seele, die in der Welt verbreitet sind, kann man in drei Kategorien vereinigen:

  1. Theorie des Glaubens

Die Theorie des Glaubens besagt, dass es außer Seele oder Geist nichts anderes gibt. Nach ihrer Meinung existieren spirituelle Wesen, die voneinander nach ihrer Qualität getrennt sind, die als „menschliche Seelen“ bezeichnet werden, und die über eine selbstständig existierende Realität verfügen, bevor sie hinabsteigen und sich im menschlichen Körper verwirklichen. Demzufolge werden sie durch den Tod des physischen Körpers nicht betroffen, weil das Spirituelle eine einfache Substanz (Wesen) ist. Der Begriff des Todes ist ihrer Meinung nach nichts weiter als eine Trennung der Fundamente (Substrate), aus denen das Wesen bestehtund dies bezieht sich auf den materiellen Körper, welcher eine Konstruktion aus gewissen Fundamenten darstellt, die durch den Tod wieder getrennt werden.

Die Seele aber, ein spirituelles Gebilde, stellt eine einfache Substanz dar, in der es keine Komponenten gibt, und welche sich daher nicht so aufspalten kann, dass es ihren Bau beeinflussen würde. Dementsprechend ist die Seele unsterblich und existiert ewig.

Der Körper stellt nach ihrem Verständnis eine gewisse Kleidung dieser spirituellen Substanz dar. Die Seele kleidet sich in den Körper ein und offenbart durch ihn ihre Kräftedies sind die guten Eigenschaften und alle Arten von Fertigkeiten.

Auf diese Weise belebt die Seele selbst den Körper, versetzt ihn in Bewegung und bewahrt ihn vor jeglichen Verletzungen, sodass der Körper an sich weder ein eigenständiges Leben noch Bewegung hat, nichts außer toter Materieso wie wir sie sehen, nachdem die Seele ihn zur Sterbestunde verlässt. Alle Lebenszeichen, die im Körper des Menschen betrachtet werden können, sind lediglich Erscheinungen der seelischen Kräfte.

  1. Theorie des Dualismus.

Dies ist die Theorie der Verfechter der Dualität. Nach ihrer Meinung ist der Körper ein vollkommenes Wesen. Er lebt, ernährt sich, kümmert sich nach Notwendigkeit um den Fortbestand der eigenen Existenz und bedarf keiner Hilfe eines jeglichen spirituellen Wesens.

Dieser Körper wird aber keineswegs für das Wesen des Menschen gehalten. Die Grundlage des Wesens eines Menschen ist die vernünftige Seele, welche ein spirituelles Wesen ist, was an die Meinung der Verfechter der ersten Theorie anklingt.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen zwei Theorien betreffen nur die Definition des Körpers. Die Entwicklung in der wissenschaftlichen Welt hat gezeigt, dass die Höchste Lenkung bereits alle lebensnotwendigen Bedürfnisse im Mechanismus des Körpers selbst veranlagt hat, und das lässt ihrer Meinung nach dem Wirken der Seele im Körper keinen Raum außer den Fertigkeiten und guten Eigenschaften ihrer spirituellen Ausprägungen.

Somit glauben sie an die Dualität, das heißt an beide Theorien gleichzeitig, behaupten aber dabei, dass die Seele der Urgrund für den Körper ist; das heißt, dass der Körper das erweiterte Ergebnis der Seele ist.

3. Theorie der Verneinung

Dies ist die Theorie von denjenigen, welche die spirituelle Realität verneinen und nur die Stofflichkeit (=Materie) akzeptieren. Verfechter dieser Theorie verneinen vollkommen die Anwesenheit jeglicher abstrakten spirituellen Substanz im Körperbau des Menschen. Ein zweifelloser Beweis dafür ist, dass der Verstand des Menschen nichts anderes als ein Produkt des Körpers darstellt.

Sie stellen den Körper ähnlich einer funktionstüchtigen elektrischen Maschine dar; mit Kabeln, die sich aus dem Körper zum Gehirn ziehen. Diese werden durch Kontakte des Organismus mit äußeren Reizerregern in Betrieb gesetzt und dirigieren ihre Empfindungen„Schmerz“ oder „Genuss“ins Gehirn, wobei das Gehirn dann dem Organ eine Anweisung erteilt, was zu tun ist. Alles wird mithilfe dieser NervenLeitungsbahnen und der Sehnen gelenkt, die daran angebunden sind, sodass diese das Organ von der Schmerzquelle entfernen und der Genussquelle nähern. Auf eben diese Weise geschieht im Menschen die Reflexion und werden die Schlussfolgerungen aus allen Lebenssituationen erarbeitet.

Unsere Empfindung des Verstandes und der Logik im Inneren des Gehirns ist dabei nur eine Aufnahme dessen, was im Inneren des Organismus auf materielle Weise geschieht. Der Vorteil des Menschen gegenüber jedem Vertreter der Tierwelt besteht dabei darin, dass sein Gehirn soweit entwickelt ist, dass sich alles, was im Organismus geschieht, in seinem Gehirn reflektiert, in Form einer Aufnahme (eines Abdrucks), die vom Menschen als Verstand und Logik wahrgenommen wird. Somit sind der Verstand und dessen Schlussfolgerungen nichts anderes als Ergebnis der im Körper stattfindenden Vorgänge.

Auch unter den Vertretern der Theorie des Dualismus kann man einige finden, die mit dieser Theorie vollkommen einverstanden sind. Aber sie fügen dem dennoch eine gewisse ewige spirituelle Substanz hinzu, die als die „Seele“ bezeichnet wird, welche sich in den Mechanismus des Körpers einkleidet. Und diese Seele ist das Wesen des Menschen, wobei der Mechanismus des Körpers lediglich dessen Hülle ist.

So habe ich in allgemeiner Form das beschrieben, was die Geisteswissenschaft bis zur heutigen Zeit als die Begriffe von Körper und Seele darstellte.

Körper und Seele als wissenschaftliche Begriffe in der Kabbala

In dem, was die Kabbalisten sagten, gibt es kein einziges Wort, welches über eine theoretische Grundlage verfügen würde, und alles resultiert nur aus ihrer praktischen Erkenntnis.

Offensichtlich ist die Tatsache, dass der Mensch seiner Natur nach Zweifeln unterworfen ist. Und jede Schlussfolgerung, die der menschliche Verstand als offensichtlich bestimmt, wird nach Ablauf einer [gewissen] Zeit dem Zweifel unterworfen. Dadurch nimmt die Theoretisierung an Kraft zu, und für diese Sache wird eine andere Schlussfolgerung gezogen, die dann wieder als offensichtlich gilt.

Und wenn der Mensch tatsächlich über abstraktes Denken verfügt, dann läuft er sein Leben lang in diesem Kreis: Die Selbstverständlichkeit von gestern wird zu einem Zweifel von heute, und die heutige Selbstverständlichkeit wird sich morgen in Zweifel verwandeln. So ist es sogar im Rahmen der „absoluten“ Selbstverständlichkeit unmöglich, zu einer sicheren Schlussfolgerung „für den heutigen Tag“ zu gelangen.

Enthülltes und Verhülltes

Die moderne Wissenschaft kam nach ihrer Entwicklung bereits zum Verständnis dieser Tatsache in wahrer Form, und es wurde beschlossen, dass in der uns umgebenden Wirklichkeit nichts absolut Offensichtliches existiert.

Jedoch die Weisen verstanden das und kamen zum Verständnis davon Jahrtausende vor ihnen. Dementsprechend gaben sie hinsichtlich des Glaubens Anweisungen und verboten es uns nicht nur, uns mit der Theoretisierung zu beschäftigen, sondern auch, uns theoretischer Schlussfolgerungen zu bedienen, die diesen gleichen, sogar bei Unterredungen.

Die Weisen teilen die Wissenschaft in zwei Teile auf: Den offenen (enthüllten) und den verhüllten Teil.

Der enthüllte Teil schließt in sich alles ein, was wir bei einfacher Reflexion verstehen, wenn sich das Studium auf praktischer Basis aufbautohne jegliche Theoretisierung, wie die Weisen sagten: „Der Richter urteilt nur nach dem, was seine Augen sehen.“

Der verhüllte Teil der Wissenschaft enthält all jene Kenntnisse, die von treuen Menschen vernommen wurden, oder das, was wir selbst im Allgemeinen verstanden und erkannt haben. Doch es ist uns unmöglich, uns ihm in einem Maße zu nähern, welches für Kritik aus den Positionen des gesunden Menschenverstands ausreichen würde, wie die der einfachen Erkenntnis. Es ist das, was verhüllt heißt, welches man uns empfiehlt als „einfachen Glauben“ anzunehmen. Und man verbot uns in allem, was die Religion betrifft, durch ein strenges Verbot, das, was zu deren Erforschung anregen kann, sogar nur anzuschauen.

Jedoch weisen die Bezeichnungen „enthüllt“ und „verhüllt“ nicht auf besondere Arten von Kenntnissen hin, wie die Massen glauben, sondern nur auf deren Erkenntnis durch den Menschen. Das heißt: Diejenigen Kenntnisse, die der Mensch aus realer Praxis aufdecken und erfahren konnte, bezeichnete er als „enthüllt“, und all diejenigen Kenntnisse, die noch nicht solch eine Stufe von Erkenntnis erreicht haben, bezeichnet er als „verhüllt“.

Den offenen Teil des Wissens darf er studieren und erforschen, weil es dafür eine reale Basis gab. Doch bezüglich des vom Menschen verhüllten Teils des Wissens ist sogar jeglicher Versuch der Erforschung verboten, weil es dort keinerlei reale Basis gibt.           

Die Erlaubnis und das Verbot der Nutzung der gewöhnlichen Wissenschaften

Dementsprechend, wenn wir den Weg der Weisen beschreiten, ist es uns verboten, Daten gewöhnlicher Wissenschaften zu nutzen. Wir nutzen nur diejenigen Kenntnisse, die praktisch bewiesen wurden, das heißt, an deren Realität kein Zweifel aufkommen kann. Aus diesem Grund können wir aus allen diesen drei Theorien kein religiöses Prinzip akzeptieren, und schon gar nicht die Begriffe von „Körper und Seele“, die „allgemeine Prinzipien und Themen der allgemeinen Religion“ darstellen. Wir können sie nur ausgehend von den Kenntnissen der Wissenschaft der Kabbala annehmen, in welcher sie auf dem Versuchswege gewonnen wurden, sodass der Mensch nicht an ihrer Wahrhaftigkeit zweifeln kann.

Und es ist klar, dass es unmöglich ist, dass solche Beweise auf irgendeine spirituelle Weise erlangt würden; sie wurden nur mithilfe des Körpers erlangt, welcher zur sinnlichen Wahrnehmung fähig ist. Dementsprechend haben wir das Recht, nur die dritte Theorie in einem gewissen Grad zu nutzen, die sich ausschließlich mit den Fragen des Körpers befasst, und zwar in all jenen Schlussfolgerungen, die durch Erfahrung bestätigt wurden und bei welcher keine Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Die übrigen logischen Erklärungen, sowohl dieser als auch der anderen Theorien, werden von uns nicht angenommen und sind verboten, und jeder, der sie benützt, handelt gegen das Gebot: „Wende dich nicht an die fremden Götter (Götzen).“

Doch diese dritte Theorie ist dem menschlichen Geist befremdend und sehr zuwider, und es gibt kaum einen wirklich gebildeten Menschen, der sie annehmen könnte. Denn nach ihrer Äußerung wurde die Art des Menschen vernichtet, und aus ihm wurde eine Maschine gemacht, die mittels anderer Kräfte handelt und sich fortbewegt. Nach ihrer Meinung hat der Mensch keinerlei freie Wahl gemäß seinem Willen, sondern er wird von Naturkräften getrieben, und alle seine Handlungen macht er aus Zwang. Der Mensch hat keinerlei „Belohnung und Strafe“, da die Wirkung des Gesetzes von Bestrafung und Belohnung sich nicht auf einen erstreckt, der über keine freie Willensäußerung verfügt.

Dies ist fern dem Wissen um eine Bestimmung, nicht nur unter den Religiösen, die an Belohnung und Strafe glauben (was aus dem Glauben an die Höchste Lenkung resultiert, gemäß welchem alle Naturkräfte vom Schöpfer gelenkt werden) und die davon überzeugt sind, dass es in jedem Brauch einen guten und erwünschten Zweck gibt.

Noch merkwürdiger ist diese Theorie bei den Nichtreligiösen, nach deren Meinung jeder in die Hände der blinden Natur, ohne Wissen und Ziel, gelegt sei. Und sie, Menschen, die über einen Verstand verfügen, seien Spielzeuge in deren Händen und würden auf Irrwege gebracht. Daher ist diese Theorie nicht annehmbar und wird in der Welt nicht angenommen.

Und wisse, dass all diese temporären Theorien entstanden, um diese Verfälschungen zu korrigieren. Daher wurde beschlossen, dass der Körper, der gemäß der dritten Theorie als Maschine bezeichnet wird, gar nicht der wahre Mensch sei. Das Wesen des Menschen stelle etwas vollkommen anderes, Unsichtbares und nicht Wahrnehmbares, dar, weil dies eine spirituelle Substanz sei, die in verhüllter Form innerhalb des Körpers verkörpert sei. Und dies sei das „Ich“ des Menschen. Dieses „Ich“ des Menschen, welches einen Körper mit seiner ganzen Füllung darstellt, gilt als das Eigentum dieses „Ich“, des Spirituellen und Ewigen.

Doch diese ganze Theorie hinkt, weil sie unfähig ist zu erklären, wie eine spirituelle Substanz, welche die Seele oder das „Ich“ ist, den Körper in Bewegung versetzen oder zu etwas zwingen kann. Denn gemäß der Behauptung der Philosophie selbst steht das Spirituelle in keinerlei Kontakt zum Materiellen und wirkt darauf nicht ein.

Kritik an RAMBAM (Maimonides)

Sogar ohne diese Schwierigkeit durfte deren Methode „im Volk Israel nicht publiziert werden“, so wie oben dargelegt.

Und es ist wichtig zu wissen, dass die ganze Anklage der Weisen Israels gegen RAMBAM und das Urteil, seine Bücher zu verbrennen, nicht darin lag, dass man an der Frömmigkeit und Rechtschaffenheit von RAMBAM selbst gezweifelt hat, sondern nur, weil er in seinen Büchern von der Philosophie und der Metaphysik, welche zu seiner Zeit an der Spitze waren, abgewichen ist. Und RAMBAM wollte sie davor erretten.

Heute, wenn unsere Generation sich entwickelt und das Verständnis erreicht hat, dass es in der Philosophie und der Metaphysik keinen wahren Gehalt gibt, für den es sich lohnen würde, Zeit zu investieren, darf niemand sie in irgendeiner Weise benutzen.