Brief 57, 1935

Für den berühmten und frommen Schüler – möge seine Kerze brennen:

Deinen Brief habe ich erhalten, und anstatt sich Sorgen darum zu machen, was es gibt, wäre es besser, sich um das Fehlende zu sorgen. Und das ist die Regel, alles was vom Schöpfer abhängt – gesegnet sei sein Name – befindet sich in großer Fülle. Und das Kli des Empfangens kann nur von den Niedrigen gefüllt werden, denn es ist ihre Arbeit in Heiligkeit und Reinheit, die Er vertritt und auf die Er wartet. Genau darum bemühen wir uns – noch mehr zu arbeiten. Und derjenige, der dazu beiträgt und sich unnötige Sorgen macht, vermindert alles nur. Und das ist nicht nur unnötig, sondern auch schädlich.
Im Moment habe ich nichts gegen die Frage des Freundes, die du stellst: „Und jeder Nackte macht mit Verstand…“ Und auf alle anderen Fragen, auf die du meine Antworten willst, antworte ich dir mit einer Antwort. Es gibt keinen fröhlicheren Zustand im Leben eines Menschen, außer wenn er findet, dass er von seinen eigenen Kräften enttäuscht wird. Gemeint ist, dass er bestrebt war und alles getan hat, was in seiner Kraft liegt und es kein Heilmittel gibt. Weil er dann dem vollständigen Gebet um Seine – gesegnet sei Er – Hilfe würdig ist. Denn nun weiß er mit Sicherheit, dass seine eigenständige Arbeit ihm keinen Nutzen bringen wird. Und solange er seinerseits irgendeine Kraft für die Arbeit fühlt, ist sein Gebet nicht aufrichtig. Weil ihm der böse Trieb zuvorkommt und sagt, dass er verpflichtet ist, alles zu tun, was in seiner Kraft liegt und dann wird er dem Schöpfer –  gesegnet sei Er – würdig sein. Und darüber steht geschrieben: „Mächtig ist der Schöpfer und nur der Erniedrigte wird Ihn sehen…“ Denn, wenn der Mensch sich auf verschiedene Art und Weise bemüht hat und enttäuscht wird, erst dann kommt er zu einer wahren Erniedrigung und weiß, dass er der niedrigste unter den Menschen ist, denn er hat nichts, was ihm helfen kann. Erst dann ist sein Gebet wahrhaft, und er bekommt von Ihm eine Antwort.

Und darüber steht geschrieben: „Und die Söhne Israels seufzten von schwerer Arbeit zum Schöpfer…“, weil sie von „der Arbeit“ völlig enttäuscht waren. Wie einer, der mit einem Eimer mit Löchern schöpft und seinen Durst nicht löschen kann. So auch die Söhne Israels: alles was sie gebaut haben, wurde von der Erde verschlungen. Und derjenige, der Seine Liebe –  gesegnet sei Er – nicht gewonnen hat, wird sehen, wie alle seine gestrigen Anstrengungen, seine Seele zu reinigen, morgen wie weggeweht sind. Und jeden Tag und jeden Augenblick muss man neu anfangen, als ob man in seinem Leben bis jetzt noch nichts getan hat. Und deswegen steht geschrieben: „Und die Söhne Israels seufzten zum Schöpfer von schwerer Arbeit…“ Weil sie deutlich gesehen haben, dass von ihrer eigenen Arbeit nichts anwachsen wird. So war ihr Gebet wahrhaftig und wurde erhört, denn nur auf so ein Gebet wartet der Schöpfer.

Daraus folgt, dass alles, klein oder groß, nur mit der Kraft des Gebets erreicht wird. Und all unser Bestreben und unsere Arbeit, die wir verpflichtet sind zu leisten, dienen dazu, um die Wenigkeit unserer Kräfte und unsere Niedrigkeit zu entdecken –  dass wir mit unseren eigenen Kräften nichts leisten können. Und dann erst sind wir in der Lage und würdig, ein wahrhaftes Gebet an Ihn zu richten.

Man könnte über den Gedanken streiten, dass ich zu nichts würdig bin, und wozu dienen dann all meine Arbeit und Bemühungen?“ Jedoch laut dem Gesetz der Natur: „Es gibt keinen Weiseren als den Erfahrenen“ und bevor man nicht versucht hat, alles zu tun, was in seiner Kraft ist, kann er nicht zum wahren Maß seiner Erniedrigung gelangen, wie es oben steht.

Deswegen müssen wir unsere Bestrebungen nach Heiligkeit und Reinheit richten, wie geschrieben steht: „Alles was in deiner Kraft ist, mache es…“ Und verstehe das gut, dann das ist tief und wahr.

Ich habe dir diese Wahrheit nicht offenbart, damit du schwach wirst und an der Gnade zweifelst. Und obwohl du nichts erkennst und selbst, wenn du deine Arbeit getan hast, ist es an der Zeit für das Gebet. Und bis dahin glaube an die Worte der Weisen: „Ich habe nicht gearbeitet und gefunden, glaube es nicht“. Und wenn sich die Waagschale des Bestrebens ausgleicht, wird dein Gebet wahrhaftig und der Schöpfer wird großzügig geben, wie unsere Weisen sagten: „Ich habe gearbeitet und gefunden, dann glaube es.“ Denn davor ist keiner eines Gebetes würdig und der Schöpfer hört das Gebet.

Yehuda HaLevi

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