Ausgewählte Auszüge aus dem Buch „Ein Busch brennt in Kozk“

 

Ausgewählte Auszüge aus dem Buch „Ein Busch brennt in Kozk“

Der Bezug zur Realität

  1. Ein Busch brennt in Kozk

In den langen Winternächten saß Mendele manchmal vom Sonnenuntergang bis zum Ende der dritten Wache allein in einer Ecke des Priesterseminars mit einem aufgeschlagenen Buch vor sich, doch seine Gedanken schweiften in andere Welten, die noch keine menschliche Zunge ausdrücken konnte. Die Mysterien der Schöpfung fesselten ihn, die Geheimnisse der Welt vom Anfang des Universums und seinem Ende. Er sehnte sich danach, sich mit dem Herzen der Existenz zu verbinden.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

In Pshischa (eine Stadt in Polen, die gewöhnlich Przysucha genannt wird), verstanden sie den Wert der Absicht in der Handlung. Jede oberflächlich-mechanische Handlung ohne einen vorherigen Gedanken ist fehlerhaft. Ein Gebot ohne eine Absicht ist wie ein Körper ohne Seele. Die Ausführung ist die äußere Manifestation des Willens des Menschen, „Das Gebot ist das Gefäß, und die Absicht – sein Inhalt.“

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Eigenschaft der Wahrhaftigkeit drängte Rabbi Mendel dazu, jedem Phänomen des Lebens auf den Grund zu gehen und die gewohnten, oberflächlichen Gepflogenheiten immer wieder zu hinterfragen.

Der Sehsinn eines Mannes, der nach der Wahrheit sucht, wird während des Gewöhnungsprozesses nicht trübe. Sein Blick ist immer ein erster Blick, ein Blick, der die Selbstständigkeit der Idee, die Originalität der Idee bewahrt. Ein Mann der Wahrheit durchdringt alle Schalen, mit denen die Zeit die Idee umhüllt; er berührt die Emanation von allem und dringt in die Tiefe ihrer Wurzeln ein.

Rabbi Mendel denkt nicht über abgenutzte Vorstellungen nach, die über die Generationen hinweg eingerostet sind. Er hatte die Kraft, die Schale der Routine abzuschälen und die Idee in ihrer ganzen Reinheit freizulegen.

 

Die Beziehung zum Rav

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Schüler setzten ihrem Rav keine Krone eines Wundertäters auf den Kopf. Sie nannten ihn mit einem Namen von ganz anderer Bedeutung, mit dem Namen „Goldkorn“, um zu bezeichnen, dass die Taten ihres Ravs rein von jedem Makel waren und sein Geist von jeder Spur der Sünde unbefleckt war, so wie bei einem Goldkorn alles in ihm – der Same, die Spreu und das Stroh – frei von jeglichen Zeichen des Verfalls sind.

 

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Nach dem Tod ihres Ravs legte sich Traurigkeit auf den Schüler. Der „Jude“ offenbarte sich ihm im Traum und tröstete ihn in seinem Kummer: „Mach dir keine Sorgen; ich war dein Rav, als ich noch lebte, und ich werde es auch nach meinem Tod sein.“ Doch der Schüler, dessen Seele zu Lebzeiten seinem Rav anhing, erwiderte: „Ich wünsche mir keinen toten Rav, einen Rav aus dem Jenseits …“

Erschrocken wachte Rabbi Mendel aus seinem Traum auf, als ob ein Sturm in seinem Herzen tobte. Er machte sich in der dunklen Nacht auf den Weg zum Versammlungsort, wo er einige seiner Freunde vorfand, die ein Geheimnis untereinander austauschten. Plötzlich trat Rabbi Simcha Bonim an ihn heran und sagte zu ihm: „Der Rav ist gegangen; er hat uns die Angst vor dem Himmel hinterlassen. Wisse, Mendel, dass die Furcht vor dem Himmel nicht etwas ist, das man in eine Tabakdose stecken kann. Wo die Worte des Ravs existieren, dort ist der Rav…“

Die Ideen des Ravs, die Dinge, die er lehrte, sie sind der Rav selbst. Ein absolutes Inneres, eine verfeinerte Innerlichkeit ohne ein Fleckchen Körperlichkeit.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Chassidim fühlten sich nach dem Weggang ihres Ravs verwaist. Eine Leere wurde in ihren Herzen erschaffen und es herrschte Verwirrung im Hof. Die Chassidim waren ratlos. Sie suchten nach einem Nachfolger – und die Meinungen waren geteilt. Die jungen und scharfsinnigen Studenten, die ein höheres Ziel auf der Erde suchten, schauten zu dem Schärfsten in der Gruppe, Rabbi Mendel, auf. Doch er, Rabbi Mendel, wandte sich von ihnen ab und stieß sie mit einer Zurechtweisung zurück: „Glaubt ihr, dass es so weitergehen wird, wie ihr es bisher gewöhnt seid? Der Rav wird für euch arbeiten und ihr schnappt euch die Reste; der Rav wird sich allein abmühen und ihr werdet euch in seinem Schatten verstecken; er wird dem Schöpfer dienen und die Rettung wird durch ihn zu euch kommen? Willst du einen Rav, der die Schlüssel zu den Schätzen des Himmels in der Hand hält und dir ausreichend Vorräte aushändigt, weiterhin Getreide kochen und gemeinsam essen, während dein Rav betet, dass deine erwachsenen Töchter anständige Bräutigame bekommen oder deine Frauen heilt? Nein! Ich bin kein Brötchenbäcker! Der Schöpfer hat mir keinen Korb mit Brötchen gegeben, um sie an die Menschen zu verteilen. Ich bin kein Hirte, der eine Weide für seine Herde sucht. Der Mann ist geboren, um zu arbeiten! Mit mir müsst ihr euch um euch selbst kümmern, in der Materie und im Geist, jeder für sich.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Chassidim erzählten keine großartigen Geschichten über ihren Rav und schon gar keine Geschichten über Wunder. Sie sparten auch mit der Weitergabe von Worten der Tora im Namen ihres Ravs. Es gab dort eine strenge Rationierung der Worte. In Kozk wurde eine Idee durch ein angedeutetes Wort ausgedrückt und manchmal sogar noch weniger. Sachverhalte wurden durch eine bloße Grimasse angedeutet. So machte es der Rav, und so machten es die Chassidim.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Worte von Rabbi Mendel enthalten keine abstrusen Geheimnisse der Tora, die jenseits der Fähigkeit des Menschen liegen, sie zu erreichen, und sie enthalten weder Rätsel noch Bilder von Gott. Die Worte durchdringen die Tiefen des Herzens und quälen die Seele.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Zu dieser Zeit war Rabbi Mendel unerschöpflich. Er war es gewohnt, mit den Schülern durch Feldwege zu gehen, wo er mit ihnen über die erhabensten Dinge sprach. Einmal sprach er zehn Stunden am Stück mit ihnen über die Tora, und Rabbi Mendels Sprechen über die Tora war von besonderer Art. Seine Unterhaltungen waren kurz und knapp; er sprach nur in Andeutungen.

Zu dieser Zeit war er es gewohnt, jeden Abend an den Mahlzeiten der Freunde im Seminar in der großen Hütte teilzunehmen. Bei diesen Mahlzeiten wurden die Seelen der Studenten gestärkt und es entstand eine Gruppe von Individuen, die wissen, was vor ihnen liegt.

In Tomaszow (Eine Stadt in Polen) wurde ein reines Gemeinschaftsleben etabliert, und alle Mitglieder der Gruppe teilten ihr Einkommen. Sie hatten eine gemeinsame Kasse und hielten ihre Mahlzeiten gemeinsam ab. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt durch Handarbeit, indem sie harte und einfache Arbeiten verrichteten: Ziegel tragen und Mörtel legen. Jeden Tag gingen mehrere Dutzend Studenten zur Arbeit und kehrten am Abend mit ihrem Lohn zurück. Der Verdienst wurde an die Kassenwarte gegeben und jeden Abend gab es eine karge Mahlzeit aus Schwarzbrot und Feuerwasser (hartes Getränk). Der Rav setzte sich dann zu ihnen und beschenkte sie mit großem geistlichen Reichtum.

Die Gleichheit unter den Gruppenmitgliedern war absolut. Wie in der Körperlichkeit, so war es auch in der Spiritualität. Nicht nur, dass sie alles, was sie besaßen, gleichmäßig teilten, sie stellten auch eine Regel auf, dass die Gebote und Übertretungen der Freunde gleichmäßig geteilt werden sollten, dass auch ihr Anteil im Jenseits gleichmäßig unter ihnen aufgeteilt werden sollte.

Das Leben in Kozk

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Im Zentrum des Chassidismus steht das soziale und moralische Fundament; dort steht das Gebot „Liebe deine Freunde.“ Im Chassidismus geht die Liebe zu den Freunden so weit, dass man eine Herzensverbindung eingeht.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Rabbi Mendels Laune war gut. In jenen Tagen verkehrte er mit seinen neuen Freunden, die ihn „schwarzer Mendel“ nannten; er vergaß sich selbst und die ganze Welt. Eines Wintertages, auf dem Weg von Tomashov nach Pshischa, kam er an einem Wagen voller Chassidim vorbei. Er stieg auf den Wagen und setzte sich unter sie. Es war bitterkalt und die Taschen waren voll mit Geld. Ohne ein Wort zu sagen, stieg Rabbi Mendel bei einem der Zwischenstopps vom Karren ab und kehrte bald darauf mit einer Flasche Feuerwasser in der Hand, aber ohne seinen Mantel zurück. Da er kein Geld hatte, verkaufte er den schönen Pelzmantel, den er von seinem wohlhabenden Schwiegervater empfangen hatte, und kaufte dafür Feuerwasser, um die Herzen auf dem Weg zum Rav zu erfreuen.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Im Priesterseminar von Rabbi Bonim wurde die Wunderarbeit völlig abgeschafft. Die Schüler sahen in ihrem Rav einen Führer-Bergsteiger-Erzieher, der für sich selbst neue Wege bahnt und seine Schüler darauf vorbereitet, in seine Fußstapfen zu treten. Das Wunder, das die Schüler ihrem Rav zuschrieben, war von einer anderen Art. Die Pshischa Schüler würden sagen: Unser Rav kann die Seele aus dem Körper entfernen, sie von ihrem Schmutz reinigen, läutern und sie dann rein an ihren Platz zurückbringen!

Rabbi Bonim verzichtete auf die Massen. Er bevorzugte die Gesellschaft einer kleinen Gruppe junger, ausgewählter Studenten, die bereit waren, die Sorge um materielle Bedürfnisse hinter sich zu lassen. Laien hatten keinen Platz in Rabbi Bonims Pshischa. Ein Mitglied der Gruppe musste intelligent sein, ein Mann mit Weitblick, und vernünftig. Diese Tugenden stachen in Rabbi Mendels Persönlichkeit hervor, und jeder erkannte ihn als das Aushängeschild der Gruppe.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Als ausgesprochene spirituelle Persönlichkeit glaubt Rabbi Mendel, dass die Fehler in der Gesellschaft nicht von den materiellen Bedingungen herrühren. Diese Bedingungen sind das Ergebnis einer tieferen Ursache. Die Wurzel des Übels stammt aus der Selbstversklavung des Menschen. Ein Mensch wird weder von der Gesellschaft noch von der sozialen Ordnung versklavt. Er ist angekettet mit Fesseln, die ihn zu Boden ziehen. Und diese Fesseln legt er selbst an seine Hände. Die Welt wird nicht korrigiert werden, wenn ihr nicht die Korrektur des Menschen vorausgeht, und die Korrektur des Menschen bedeutet, zum Himmel aufzublicken, sich zu bemühen, seine Bestimmung im Leben zu verstehen, den Anfang und das Endziel der Geschichte zu begreifen. Hier ist das reine messianische Fundament im Sinne von Rabbi Mendel. Die Gesellschaft wird nur mit der Befreiung des Menschen von den Ketten, in denen er sich selbst gebunden hatte, korrigiert werden. Nur ein Mensch, der die Kraft hat, sich selbst zu gestalten, hat die Kraft, das Schicksal der Welt zu gestalten.

In Rabbi Mendels Seminar wurde, mehr als in anderen Seminaren, der Schwerpunkt auf die Pflege der Persönlichkeit gelegt. Ein befreiter Mensch bedeutet ein Mensch, der seinen Geist von der Selbsttäuschung befreien kann.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Die Qualität der Demut, die ein Kozk-Anhänger anstrebte, war anders als die Art von Demut, an die wir gewöhnt sind. Äußerlich ist sie völlig unauffällig. Im Gegenteil, es ist möglich, dass sie in den Augen anderer nur als Arroganz erscheinen wird. Sie behandeln andere mit einer Haltung der Ablehnung und scheuen sich nicht davor, selbst die Großen und Berühmten leicht zu beleidigen.

 

Innerlichkeit und Äußerlichkeit

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Rabbi Mendel lernte eine wichtige Sache in Pshischa. Der Rav lehrte seine Schüler, dass sie dem Gerechten jede Nacht alle Stufen und Errungenschaften abnehmen, die er am Vortag erreicht hat. So wie die Natur jeden Tag erneuert wird, so muss der Mensch jeden Tag von vorne beginnen, um die Stufen von gestern zu erreichen. Er muss sich jeden Tag anstrengen, um die Errungenschaften, die er am Vortag erreicht hat, zu übertreffen.

Es gibt keine eingefrorene Gewohnheit; „heute“ ist nicht eine natürliche Fortsetzung von „gestern“. Jeder Tag ist ein neues BeReshit (Genesis/Beginn). Wenn der emotionale Antrieb, durch den er die gestrige spirituelle Stufe erreicht hatte, heute nicht erneuert wird, dann wird auch die Errungenschaft, die er am Vortag erreicht hatte, aufhören, ihren natürlichen Saugnapf zu säugen, daher das ständige Streben nach Erneuerung.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Wir dienen dem Schöpfer als Auftragnehmer: Wir bringen eine Arbeit ordentlich zu Ende, und wenn wir Lust haben, eine zweite Arbeit zu beginnen, sind wir wieder froh, sie zu tun. In Kozk gibt es keine Uhr. Anstelle einer Uhr gibt es eine Seele.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Rabbi Mendel enthielt sich einer blumigen Sprache, die einen Hauch von Schmeichelei an sich hat. Er betrachtete gesiebte Worte und geschliffene Sätze als eine Art Ausweichen vor der Wahrheit und als Wunsch, sie zu verhüllen. Wie einer der alten Weisen drückte er seine Ideen mit wenigen Worten aus. Rabbi Mendel redete nicht um den heißen Brei herum; was er zu sagen hatte, sagte er kurz und bündig, manchmal sogar kürzer als bündig: Die Idee wurde durch eine bloße, und manchmal sogar weniger als eine Andeutung ausgedrückt. Es genügte, dass Rabbi Mendel seine langen Augenbrauen hob, um das Herz des Zuhörers vor Angst erstarren zu lassen.

  1. Ein Busch brennt in Kozk

Rabbi Mendel würde sagen: „Es soll kein fremder Gott in dir sein“, der Gott in dir soll kein Fremder für dich sein. Es reicht nicht aus, an Gott zu glauben, du musst ihn kennen und seine Nähe spüren.

Als Rabbi Mendel noch ein Jugendlicher war, prüfte ihn sein Lehrer einmal und fragte: „Mendel, kannst du mir sagen, wo der Ewige wohnt?“ „Wo immer es ihm erlaubt ist, einzutreten“, antwortete der Jugendliche beiläufig.

 

 

 

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