1985/86/11 Ein wahres Gebet betrifft einen wahren Mangel
Ein wahres Gebet betrifft einen wahren Mangel
Artikel Nr. 11, Tav- Shin- Mem- Vav, 1985-86
In der Schrift heißt es, „Und dieses sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen. …Da stand ein neuer König über Ägypten auf, der von Josef nichts wusste. … Und die Ägypter zwangen die Söhne Israels zu harter Arbeit…Und es ächzten die Kinder Israels unter der Arbeit, und wehklagten, und ihr Wehklagen über die Arbeit stieg empor zu Gott. Und Gott vernahm ihr Wehgeschrei“.
Wir sollten verstehen, warum geschrieben steht, „ihr Wehklagen über die Arbeit stieg empor zu Gott.“ Hatten sie denn keine größeren Leiden in Ägypten? Und hier scheint es, dass ihr ganzes Wehgeschrei, also all ihr Leiden, nur von der Arbeit herrührte. Auch steht geschrieben, „Und Gott vernahm ihr Wehgeschrei“, das bedeutet, dass ihr Gebet wegen ihres Wehgeschreis über die Arbeit erhört wurde.
Wir werden dies gemäß unserem Weg erklären. Es ist bekannt, dass ein Mensch aus zwei Gründen, die in der „Einführung zum Buch Sohar“ beschrieben sind, beginnt, sich mit Tora und Mizwot zu beschäftigen.
1) Um Vergnügungen dieser Welt zu haben. Und wenn er Tora und Mizwot nicht praktiziert, fürchtet er, dass der Schöpfer ihn bestrafen wird.
2) Um Vergnügungen der kommenden Welt zu haben. Und seine Furcht davor, dass man ihm diese nicht geben wird, verpflichtet ihn dazu, Tora und Mizwot auszuführen.
Wenn der Grund, Tora und Mizwot zu praktizieren, der Eigennutz ist, so besteht seitens des Körpers kein so großer Widerstand, da er, in dem Maße, in dem er an Belohnung und Strafe glaubt, seine Arbeit verrichten kann. Er fühlt, dass er täglich hinzufügt und weitergeht. Und dies entspricht der Wahrheit, denn jeder Tag, an dem er sich mit Tora und Mizwot beschäftigt, bedeutet eine Zugabe zum vorherigen Tag. So schreitet er voran und vermehrt seinen Besitz an der Ausführung von Tora und Mizwot.
Denn er sinnt hauptsächlich auf die Belohnung und denkt nicht daran, die Absicht des Gebens zu erlangen. Vielmehr denkt er, dass er für seine Taten belohnt wird. Deswegen besteht sein Ziel ausschließlich darin, all seine Handlungen mit peinlichster Genauigkeit auszuführen. Denn wenn seine Handlungen nicht in Ordnung sind, wird man seine Arbeit sicherlich ablehnen und ihm keine Gegenleistung zahlen. Und wenn er sieht, dass seine Handlung in Ordnung ist, gibt es nichts mehr, worum er sich sorgen müsste.
Aus diesem Grund geht es ihm nur um die Quantität, was bedeutet, dass er versucht, noch mehr gute Taten zu tun. Wenn er ein weiser Schüler ist, dann weiß er, dass er tiefer in sein Lernen eindringen und bei den Mizwot, die er ausführt, sorgfältiger sein sollte, um sie nach jedermanns Ansicht gesetzeskonform zu halten. Er versucht immer, strenger zu sein, wenn es um Urteile geht, die normalerweise leichter behandelt werden, während er versucht, strenger zu sein; aber er sorgt sich sonst um nichts.
Daraus folgt, dass solche Menschen – deren Grund für das Befolgen von Tora und Mizwot und das Annehmen der Last des Himmelreiches darin besteht, in dieser Welt und in der nächsten Welt belohnt zu werden – den Schöpfer nicht brauchen, um die Kraft zu haben, sich mit Tora und Mizwot zu beschäftigen, da der Körper ihnen in dem Ausmaß ihres Glaubens an Belohnung und Bestrafung erlaubt, sie einzuhalten.
Dies ist nicht so bei Menschen, die die heilige Arbeit nicht wegen der Belohnung tun, sondern Tora und Mizwot wegen der Größe des Schöpfers einhalten wollen. Es ist ein großes Privileg für sie, dem König dienen zu dürfen, wie es im oben erwähnten Sohar geschrieben steht: „Die Ehrfurcht, die als erstes kommt, besteht darin, dass man seinen Meister fürchten sollte, weil Er groß und herrschend ist, die Essenz und die Wurzel.“
Er interpretiert im Sulam Kommentar, dass es drei Arten von Gottesfurcht gibt: 1) die Furcht vor Bestrafungen in dieser Welt, 2) dass er auch die Strafen der Hölle fürchtet. Diese zwei sind keine wahre Gottesfurcht, da er die Gebote nicht für den Schöpfer ausführt, sondern zu seinem eigenen Nutzen. Somit ist der Eigennutz die Wurzel und die Furcht ist der Zweig, der sich vom Nutzen für sich selbst ableitet. Aber die wesentliche Furcht sollte jene sein, den Schöpfer zu fürchten, weil Er groß ist und über alles herrscht.
Folglich ist die Größe des Schöpfers der Grund, welcher ihn dazu verpflichtet, Tora und Mizwot zu befolgen. Und davon heißt es, dass sein ganzes Verlangen allein darin besteht, dem Schöpfer zu geben, was als „Seinem Erschaffer Freude zu bereiten und nicht sich selbst“ bezeichnet wird.
Hier beginnt das Exil, was bedeutet, dass er seine Arbeit nicht darauf ausrichten darf, keine Belohnung zu erhalten, da das gegen die Natur ist. Denn der Mensch kann sich selbst zwingen, auch wenn der Körper nicht einverstanden ist, und sich Kasteiungen auferlegen. Dies bezieht sich auf Handlungen, die nicht dem Willen des Körpers entsprechen. Er kann über den Verstand gehen, was als „gegen den Willen des Körpers“ bezeichnet wird.
Er kann jedoch nicht gegen sein Gefühl und seinen Verstand vorgehen und sagen, dass er anders fühlt, als er fühlt. Wenn jemandem zum Beispiel kalt oder heiß ist, kann er nicht sagen, dass sein Gefühl unwahr ist, und sich zu einer gegenteiligen Aussage zwingen. Seine einzige Möglichkeit ist zu sagen, was er sieht.
Wenn man daher Tora und Mizwot halten will, um den Schöpfer zu beschenken, liegt es in der Natur des Körpers, sich überhaupt nicht bewegen zu wollen. Es sei denn, man sieht, dass man eine Belohnung erwarten kann. Somit hat man keine Möglichkeit, für den Schöpfer zu arbeiten, sondern nur für seinen eigenen Nutzen.
Hier beginnt das Exil. Er leidet Qualen, weil er – so sehr er sich auch bemüht – keinen Fortschritt erkennt. Wenn er zum Beispiel zwanzig Jahre alt ist, kann er sagen, dass er den Besitz von zwanzig Jahren Engagement in Tora und Mizwot erworben hat. Andererseits kann er sagen, dass er zwanzig Jahre lang Tora und Mizwot einhielt, ohne die Fähigkeit zu erlangt zu haben, denn alles ist auf Basis der Selbstliebe aufgebaut.
Daraus folgt, dass alle erlittenen Qualen und Schmerzen darauf zurückzuführen sind, dass er nicht für den Schöpfer arbeiten kann. Er will arbeiten, um zu geben, aber der Körper ist von den Klipot versklavt und lässt ihn dieses Ziel nicht erreichen. In dieser Zeit ruft er zum Schöpfer um Hilfe, weil er sieht, dass er im Exil unter der Kontrolle der Klipot ist. Sie beherrschen ihn und er kann ihnen nicht entkommen.
Daraus folgt, dass sein Gebet zu diesem Zeitpunkt als ein echtes Gebet angesehen wird, weil er dem Exil aus eigener Kraft nicht entkommen kann, wie es geschrieben steht: „Und Er führte Israel aus ihrer Mitte heraus, denn Seine Barmherzigkeit währt ewig.“ Da dies gegen die Natur ist, kann nur der Schöpfer Israel aus diesem Exil befreien. Da es aber bekanntlich kein Licht ohne Kli gibt, also keine Füllung ohne Mangel, kann er dem Exil nicht entkommen, solange er nicht spürt, dass er sich aus dem Exil nicht selbst befreien kann. Denn obwohl er schreit, „Hol mich aus dem Zustand heraus, in welchem ich bin“, ist es kein wirkliches Gebet, denn woher weiß er, dass er nicht aus eigener Kraft herauskommen kann?
Vielmehr kann dies genau dann gesagt werden, wenn er das Exil spürt, was bedeutet, dass er aus der Tiefe des Herzens beten wird. Es gibt zwei Bedingungen für das Beten aus der Tiefe des Herzens: 1) Seine Arbeit muss gegen seine Natur sein. Das heißt, er will alles nur tun, um zu geben und die Eigenliebe verlassen. Zu diesem Zeitpunkt kann man sagen, dass er einen Mangel hat. 2) Er fängt an, aus der Selbstliebe herauszukommen und übt sich darin, kann sich aber keinen Zentimeter von seinem Zustand entfernen. Zu diesem Zeitpunkt wird er die Hilfe des Schöpfers brauchen und sein Gebet ist echt. Denn er sieht, dass er aus eigener Kraft nichts tun kann. Wenn er dann den Schöpfer um Hilfe anfleht, erkennt er dies an der Arbeit, wie es geschrieben steht: „Und die Söhne Israels seufzten wegen der Arbeit.“ Das bedeutet, dass sie bei ihrer Arbeit, Dwekut mit dem Schöpfer zu erreichen, nicht aus ihrer Natur herauskommen konnten, also beteten sie aus tiefstem Herzen.
Dadurch werden wir die Frage über den Vers verstehen: „Und ihr Wehklagen über die Arbeit stieg empor zu Gott.“ Das bedeutet, dass die schlimmsten Qualen nur die Arbeit betrafen und keine andere Dinge. Sie klagten über ihre Situation, dass sie die Selbstliebe nicht verlassen konnten, um nur für den Schöpfer zu arbeiten. Das war das Exil, das sie quälte – weil sie sahen, dass sie unter dessen Kontrolle waren.
Daraus folgt, dass sie im Exil in Ägypten Kelim bekamen. Das bedeutet, dass der Schöpfer ihnen helfen wird, aus dem Exil herauszukommen, wie wir oben sagten, dass es kein Licht ohne Kli gibt. Denn nur, wenn man eine echte Bitte erhebt, weil man sieht, dass man nur durch die Hilfe des Schöpfers gerettet werden kann, wird dies als ein wahres Gebet betrachtet.
Folglich erwarben sie im Exil in Ägypten Kelim – das Verlangen danach, dass der Schöpfer ihnen helfen würde, das Exil zu verlassen. Denn wie wir oben sagten, gibt es kein Licht ohne Kli. Und nur wenn wir sehen, dass nur der Schöpfer uns helfen kann, wird dies als ein echtes Gebet betrachtet.
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