Ein Licht in der heutigen Zeit – Artikel über Baal HaSulam

„Ein Licht in der heutigen Zeit“

Zeitungsartikel über Yehuda Ashlag von Rabbi Micha Odenheimer / Zeitung Haarez, 16.12.2004

[Anmerkung der Übersetzer: Der folgende Artikel wurde nicht von einem Mitglied der Kabbala Studiengruppe Bnei Baruch verfasst. Da er jedoch ein sachgerechtes und umfassendes Bild über Rav Yehuda Ashlag (Baal HaSulam) abgibt, haben wir uns für eine Veröffentlichung auf unserer Website entschieden]

Trotz seiner überzeugenden Verbindung der Mystik mit gesellschaftlichen Konzepten wurde der vor 50 Jahren verstorbene Rabbi Yehuda Ashlag bisher kaum auf der Bildfläche des kollektiven Gedächtnisses wahrgenommen – bis vor einigen Jahren, als eine neue Welle der zeitgenössischen jüdischen Spiritualität aufkam – ausgelöst durch Madonna, Demi Moore, Mick Jagger und die Herzogin von York.

Shlomo Shoham, Autor und Kriminologe, der später Preise für seine Forschung erhielt, machte sich eines Tages, Anfang der 50er Jahre auf, um den Kabbalisten, Rabbi Yehuda Ashlag aufzusuchen. „Professor Gershom Scholem war es, der mich auf ihn hinwies“, erzählte mir Shoham. „Scholem war mit der Art Kabbala, die Ashlag vertrat, nicht einverstanden, aber er meinte, ich würde ihn wohl interessant finden, er wäre etwas Kurioses.“ Zu jener Zeit war Ashlag dabei HaSulam (wörtlich „Die Leiter“), seine hebräische Übersetzung und den Kommentar zum Sohar zu drucken – dieses grundlegende, uralte Werk der jüdischen Mystik. Jedes Mal, wenn es ihm gelang, Geld aufzubringen, druckte er Teile seines HaSulam.

„Ich fand ihn in einer verfallenen Bretterbude vor, die eine alte Druckerpresse beherbergte. Einen Setzer konnte er sich nicht leisten und machte deshalb alles allein, Buchstabe für Buchstabe, stundenlang, gebeugt über die Druckerpresse trotz seines fortgeschrittenen Alters – er war Ende sechzig. Er war offensichtlich ein Zadik (Gerechter, rechtschaffener Mann), bescheiden, mit einem strahlenden Gesicht. Er war jedoch eine absolute Randfigur [der Gesellschaft] und lebte in Armut. Später erfuhr ich, dass er so viele Stunden beim Schriftsetzen verbrachte, dass das Blei, welches dabei verwendet wird, seine Gesundheit ruinierte.“

Einige Jahre später, am Abend von Yom Kippur, 1954, starb Ashlag, knapp zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines imposanten Kommentars zum Sohar, dem HaSulam. Die Überlieferung sagt, dass der Sohar Rabbi Shimon Bar Yochai, einem Weisen der Mishna, zugesprochen wird – im Gegensatz zu modernen Gelehrten, die glauben, dass er im 13. Jahrhundert zusammengestellt oder geschrieben wurde.

In allen Schriften gilt er als das grundlegende Werk der jüdischen Mystik, ein anerkanntes Opus – seine Akzeptanz als „Heilige Schrift“ ist fast so verbreitet wie die des Talmuds oder der Tora selbst. Frei gegliedert, als Kommentar zur Bibel, zeichnet der Sohar die Lehren von Rabbi Shimon Bar Yochai und seinen Schülern auf, die im zweiten Jahrhundert durch Palästina wanderten und dabei die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung, Wiedergeburt und die erlösenden Wege des Göttlichen Lichtes enthüllten.

In einem eigentümlichen Aramäisch geschrieben, ist der Sohar poetisch, rätselhaft, undurchsichtig und manchmal träumerisch, und die Meditation über ihn, schuf nach seiner Veröffentlichung die Basis der Kabbala, miteingeschlossen die komplizierten und maßgebenden Lehren von Rabbi Isaak Luria aus Safed, einem Meister der Kabbala aus dem 16. Jahrhundert.

Der „HaSulam“ – Kommentar drückt Ashlags Interpretation der jüdischen Mystik präzise, ursprünglich und systematisch aus – ähnlich dem Stil seiner früheren Bücher, die hauptsächlich Kommentare zur Lurianischen Kabbala sind. Ashlags Version der Kabbala verspricht eine individuelle Veränderung und sogar eine persönliche Erlösung für diejenigen, die sich dem Studium und der Anwendung der Kabbala widmen.

Das Werk hat den Titel HaSulam („Die Leiter“), weil es Schritt für Schritt einen Übergang zwischen Himmel und Erde ermöglicht, ähnlich der Leiter in Jakobs biblischem Traum. Ashlag war überzeugt, dass sein Kommentar, mit der Enthüllung der Geheimnisse des Sohars, es den Gläubigen ermöglichen würde, schrittweise die Stufen der spirituellen Erleuchtung zu erlangen – für einige wenige auch die Transformation ihres physischen Körpers von einem plumpen Material in ein Empfangsgefäß für das Göttliche Licht.

Tod in Unbekanntheit

Ashlag selbst hatte sich jedoch noch leidenschaftlicher einer weitreichenden gesellschaftlichen Vision verschrieben – einer Vision, die aus seinem Verständnis der kabbalistischen Tradition hervorging.

Er verstand die Menschheit als eine vollständige Einheit, die sowohl physisch als auch geistig voneinander abhängig ist, und er war davon überzeugt, dass nur ein wirtschaftliches System, welches dieses erkannt hat, die Menschheit befreien könnte, und eine Ära gemeinsamer Erleuchtung auslösen könnte. In seinem Tagebuch vermerkte Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion, dass, während er bei seinen zahlreichen Treffen mit Ashlag mit ihm über die Kabbala sprechen wollte, dieser jedoch lieber über Sozialismus und Kommunismus diskutieren wollte.

Trotz seiner machtvollen Vereinigung von Mystik und sozialen Ideen, die sein Werk darstellte, blieb Ashlag nur eine Randfigur, und seine Persönlichkeit und seine Ideen wurden kaum im kollektiven Bewusstsein der Juden registriert. Er war eben doch zu revolutionär für die ultraorthodoxe Welt, der er immer noch angehörte. Und seine Ideen waren zu abstrakt und zu universell für die religiös-nationalistische Welt, die sowieso nur mit Ashlags Freund Rabbi Abraham Isaak Kook beschäftigt war. Ashlag wurde auch weitläufig von den akademischen Gelehrten abgelehnt, die unter dem Einfluss von Gershom Scholem standen.

Scholem, bis zu seinem Tod im Jahre 1982 ein einflussreicher akademischer Gelehrter der Kabbala, glaubte, dass Ashlags Vorhaben ein irreführender Versuch war, Lurias Methode mit dem Sohar zu vereinigen. Scholem war ein Gelehrter, für den der Schlüssel zur Auslegung von Gedanken im historischen Zusammenhang liegt. Er glaubte zum Beispiel, dass Lurias kabbalistisches Denken die Folge des jüdischen Exils in Spanien war. Als zionistischer Denker war Scholem von der Macht der Geschichte, neue spirituelle Kräfte auszulösen, berauscht. Darum opponierte er gegen den Versuch Ashlags, Luria und den Sohar auf einen Nenner zu bringen, da beide aus verschiedenen geschichtlichen Epochen stammten. Scholem verstand offensichtlich nicht die radikale, eigenwillige Interpretation der Tradition und den Erfolg des HaSulam-Kommentars, der die poetische Art des Sohars und die Lurianischen Gedankengänge zur Unterstützung seiner neuen Interpretation der Kabbala auf einen Nenner brachte.

Ashlags Kabbala überlebte dank des Einsatzes seiner beiden Söhne, Rabbi Baruch Shalom Ashlag und Rabbi Shlomo Benyamin Ashlag und seines Schülers und Schwiegersohnes Rabbi Yehuda Brandwein, der einige Jahre als Oberrabbiner für die Histradut (Gewerkschaft) fungierte. Alle drei widmeten ihr Leben der Verbreitung seiner Methode und gründeten Schulen, in denen Ashlags Kabbala unterrichtet wurde. Sie veröffentlichten und verbreiteten seine Werke. Alle drei Schüler lebten und starben wie ihr Meister in Vergessenheit. Sie bettelten um Geld, um die Bücher Ashlags zu veröffentlichen, und unterrichteten in den frühen Morgenstunden kleine Gruppen von treuen Studenten.

Geografie der Spiritualität

Und dann änderte sich etwas. Im Laufe der Jahre wurde Ashlags Kabbala  zu einer Kraft, die auf der Karte der jetzigen jüdischen Spiritualität schwer zu ignorieren war. Mir wurde die Reichweite Ashlags neugefundener Bedeutung erst im September dieses Jahres auf dem Flughafen in Neu-Delhi bewusst, als ich in der Hindustani Times in einem Artikel las, dass der Weltstar Madonna dem Grab von Ashlag in Jerusalem während ihres Besuches in Israel einen Besuch abgestattet hat. Madonna ist eine Schülerin von Rabbi Philip Berg, dem Gründer eines Kabbala-Zentrums, das zahlreiche Filialen in Israel, Europa, den Vereinigten Staaten und Südamerika hat. Berg, der ein Schüler Rabbi Yehuda Brandweins war, führte seine spirituelle Wurzel auf Ashlag zurück – obwohl seine Gegner sagen, dass er vom Weg des Meisters abgewichen ist.

Sie haben nicht ganz unrecht: Ashlag war sehr dagegen, durch den Unterricht der Kabbala Geld zu verdienen, und Bergs Zentren, die wie ein modernes Konsortium geleitet werden, verhalfen ihm zu einem Riesenvermögen. Ebenfalls war Ashlag stark gegen die populäre Verbindung von Kabbala mit Magie, obwohl von Anfang an in der jüdischen Mystik ein Hauch von Magie enthalten war – schon im Talmud kann man von Rabbis lesen, die göttliche Namen benutzten, um lebende Wesen zu erschaffen. Und die Fähigkeit der Kabbalisten, sich in die Luft zu erheben, lange Distanzen in einem Augenblick zu überwinden und die Fähigkeit des Gedankenlesens sind allgemein in der jüdischen Legende bekannt. Viele Kabbalisten haben aber ebenfalls die Magie als Missbrauch der Heiligen Kraft für den persönlichen Gewinn verdammt. 

Ashlag hielt die Fokussierung in der Richtung auf Wunder für eine Ablenkung und Verzögerung der wirklichen Herausforderung: der zermürbende und andauernde Kraftaufwand, der nötig ist, um eine spirituelle Metamorphose zu erreichen. Beständig lehnte er Wunderheilungen, Segnungen oder Traumdeutungen ab, die für andere Kabbalisten tägliche Routine waren.

Im Gegensatz zu ihm verkauft Bergs Zentrum „Kabbala-Wasser“, Plakate mit göttlichen Namen und rote geknotete Wollschnürchen, die, als Armbänder getragen, Glück bringen und das Böse abwenden sollen. Angeboten werden auch Kurse wie „Kabbala und Erfolg“, die das Ansehen der Kabbala in ihrem Dienst zur Erreichung materiellen Wohlstands betonen.

Vor kurzem scheint Berg eine andere Grenze überschritten und sich weiterhin von Ashlag getrennt zu haben, indem er nun den Sohar unter Einbeziehung von christlichen Symbolen als den „Heiligen Gral“ bezeichnet. Diese Rhetorik schmiegt sich auf ungemütliche Weise an den klassischen Antisemitismus an. In seiner Einführung zur englischen Übersetzung des Sohars und des Kommentars HaSulam, der von seinem Sohn Rabbi Michael Berg verfasst wurde, erklärt Berg, der Ältere, die Unterdrückung des Sohars durch die Juden als Hauptgrund für das weltweite Leiden und den Antisemitismus:

„Diese Juden waren und sind der schwelende Grund für den Antisemitismus.

Wenn der Heilige Gral verbreitet werden würde, wären Mittelsleute nicht mehr nötig. Gemeinsam mit der Menschheit würden die Juden dann das heiß ersehnte Ziel, die Verbannung des Chaos, erreichen. Der hauptsächliche Faktor, der zum Antisemitismus beiträgt, liegt ungeachtet der Autoritäten bei der Verleugnung der Früchte des Heiligen Grals seitens der Juden. Obwohl diese Verleugnung nur von einigen wenigen Führern stammt, wird die Schuld am weltlichen Chaos allen Juden, einschließlich den unschuldigen, zugeschoben.“

Radikale gesellschaftliche Vision

Trotz seines seltsamen Abweichens von Ashlags Ideen, widmet Berg sich zweifellos unermüdlich der Verbreitung kabbalistischer Texte und Ideen. Hinzu kommt noch seine erlauchte Gesellschaft, die aus Berühmtheiten wie Madonna, Demi Moore, Mick Jagger und seit neuestem auch Sarah Ferguson, Duchess of York, besteht, welche die Berühmtheit von Ashlag auf ein noch nie dagewesenes Niveau erhoben haben. Doch ist dieses Kabbala-Zentrum keineswegs das einzige Mittel, wodurch sich Ashlags Kabbala verbreitet.

Schüler, die Ashlag studieren, treffen sich regelmäßig in Dutzenden von Städten in Israel. In Petach Tikva wird ein unscheinbares Gebäude im Industriegebiet von Tel Aviv um 3 Uhr morgens lebendig, wenn sich dort 150 stark engagierte Studenten zu ihrem täglichen Kabbala-Unterricht treffen. Dieser wird von Rabbi Michael Laitman, einem russischen Einwanderer und engem Schüler von Rabbi Baruch Ashlag geleitet. Das Gebäude ist das Hauptquartier von Bnei Baruch, gegründet von Professor Michael Laitman. Das schäbige Äußere des Gebäudes öffnet sich zu einer großartigen Studierhalle, die mit Hunderten von Ashlags Büchern und einem hochmodernen Broadcasting-System ausgestattet ist, mit dessen Hilfe Kabbala-Unterricht einem nicht nur jüdischen, sondern internationalen Publikum in Hebräisch, Russisch, Englisch, Deutsch und Italienisch über das Internet zugänglich gemacht wird. Obwohl genaue Statistiken nicht erhältlich sind, sagt Bnei Baruch, dass monatlich circa mehrere hunderttausend Besucher weltweit ihre umfangreiche Webseite besuchen.

Vor ungefähr 15 Jahren gründeten Jerusalemer Studenten, Schüler von Mordechai Sheinberger, einem Schüler von Brandwein, eine Ashlag-Kommune „Or Ganuz“ in der Nähe des Berges Meron, wo sie außer dem Studium der Kabbala auch versuchen die radikale soziale Vision ihres Meisters zu verwirklichen. In den letzten Jahren hat Or Ganuz ein weitgehend weltliches Publikum in unterschiedlichen Gegenden wie Karmel und Galiläa mit Kabbala-Lehrern versorgt. In Bnei Brak gründeten Ashlags Enkel Rabbi Akiva Orzel und einige Schüler von Yecheskel Ashlags Vater, Rabbi Shlomo Binyamin, ein Lernzentrum. In der ultraorthodoxen Gemeinschaft von Telshe Stone und in der Altstadt von Jerusalem gibt es ebenfalls aktive und wachsende Ashlag-Zentren.

Plötzlich wurde die akademische Welt aufmerksam. Die Ben-Gurion-Universität im Negev hielt am 26. Dezember 2004 zum ersten Mal zum 50. Todestag von Ashlag eine akademische Feier zu seinen Ehren ab. Diese Konferenz brachte akademische Spitzenleute aus der Welt der Kabbala, wie z. B. Prof. Moshe Idel von der Hebräischen Universität zusammen mit Ashlag-Schülern, unter ihnen Professor Michael Laitman, und Mitgliedern der Ashlag-Familie.

Die erste Doktorarbeit über Ashlags Gedankengut von Tony Lavie wurde 2003 von der Bar-Ilan-Universität akzeptiert. (Lavie veröffentlichte bereits ein Buch mit Gesprächen mit dem inzwischen verstorbenen Prof. Yeshayahu Leibowitz) und ein weiteres Buch mit Gesprächen zwischen Lavie und Rabbi Orzel ist noch für dieses Jahr geplant. An mehreren anderen Doktorarbeiten wird gerade noch gearbeitet.

Prof. Avi Elkayam von der Bar-Ilan-Universität, die diese Konferenz gefördert hat, betrachtet das Aufwachen der akademischen Welt über die Wichtigkeit Ashlags als Korrektur eines geschichtlichen Fehlers. Elkayam sagt: „Es steht bereits fest, dass Scholem zu kurzsichtig war, um die Authentizität Ashlags anzuerkennen. Der Westen zeigt nun ein neues Interesse an der Kabbala, und vieles davon gründet sich auf Ashlags Werk.“ Elkayam glaubt, dass das innere Leben des religiösen Publikums in Israel vor einer bedeutenden Wende steht und Ashlag dabei eine Schlüsselrolle spielt.

„Wie durch die philosophischen Augen seines Sohnes (Zwi Yehuda Kook) gesehen, erschuf Rabbi Isaak Kook einen Mystizismus von Inbesitznahme (des Landes Israel) und Auserwähltheit (des Volkes Israel). Da die Grundfesten, auf denen Gush Emunim (eine Organisation, die teilweise Ideen von Rabbi Kook vertritt) steht, nun zerbröckeln, kann Ashlag eine Alternative anbieten, eine Kabbala, die nicht auf dem Auserwähltsein basiert, sondern auf dem persönlichen Bewusstsein und dem Heilen der Gesellschaft und der Welt. Ashlag ist es möglich, die Grundlage für ein Konzept sozialer Gerechtigkeit anzubieten, welches sich auf die spirituelle Grundlage der Kabbala stützt. Wir sind nun erst am Anfang und müssen vorsichtig sein. Es bedarf eines großen Aufwands, um Ashlags Kabbala wirklich zu verstehen – vier Jahre kontinuierliches Studium von morgens bis abends. Was Ashlag betrifft, so sind wir, die gesamte akademische Welt, erst am Anfang.“

Rabbi Yehuda Ashlag in seiner Jugend. Er studierte unaufhörlich die Tora, doch seine Neugierde und seine kompromisslose Suche nach der Wahrheit führten ihn auch dazu, an sozialistischen und kommunistischen Demonstrationen in Warschau teilzunehmen. (Foto aus dem „HaSulam“ von Rabbi Mordechai Avraham Gottlieb) 

Eine Unterrichtsstunde in Petach Tikva bei Prof. Laitman (mit Genehmigung vom Rabbi Ashlag Forschungsinstitut).

Yehuda Ashlag, geboren 1885 in Warschau, war schon als Kind von der Kabbala fasziniert. Rabbi Avraham Mordechai Gottlieb, dessen Heiligengeschichte von Rabbi Ashlag, ebenfalls „HaSulam“ genannt, unschätzbares Material über sein Leben liefert, berichtet, dass, als Ashlag erst 7 Jahre alt war, ihm ein Kabbala-Buch auf den Kopf fiel, als er im Bett lag.

„Was ist das?“ fragte er seinen Vater.

„Dieses Buch ist für Engel, nicht für Menschen“, antwortete ihm sein Vater. „Wenn es veröffentlicht ist, dann ist es auch für jedermann“, gab der junge Yehuda zurück.

„Aber nicht für Dich“, wie sein Vater augenscheinlich erwiderte.

Der junge Ashlag war von dieser Antwort nicht überzeugt. Noch als Teenager riss er anscheinend Seiten aus dem „Ez Chaim“ („Baum des Lebens“) von Rabbi Isaak Luria heraus, um sie in dem Talmudband zu verstecken, den er gerade lernen sollte. Er wurde im Alter von 19 Jahren zum Rabbi berufen und hatte den Ruf eines ausgezeichneten Kenners des Talmuds. Man gab ihm sofort eine Stelle als Lehrer, und er wurde zu einem Experten in rechtlichen Streitfragen.

Als Student des Chassidismus und der Kabbala war Ashlag auch ein Schüler des Rabbi von Prosov, der zur berühmten Kozker Schule gehörte, und selbst ein Enkel eines der größten Meister des Chassidismus war, „Des Heiligen Juden“. Doch der Prosover Rabbi war nicht sein alleiniger Mentor. In einem Brief an seinen Onkel, dessen Inhalt erst nach seinem Tod seiner Familie und seinen Schülern bekannt wurde, schrieb Ashlag von einem Treffen mit einem mysteriösen Lehrer in Warschau 1918. Der Lehrer, ein wohlbekannter Kaufmann, dessen Identität Ashlag geheim hält, führte ihn in mitternächtlichen Sitzungen drei Monate lang in die Geheimnisse der Kabbala ein, und verschwand, als sein Schüler sich vor Stolz aufblähte. Knapp zwei Monate später trifft Ashlag diesen Lehrer zum letzten Mal wieder. Nach der Enthüllung eines großen Geheimnisses wird der Lehrer sichtbar schwach und stirbt am nächsten Tag. In seiner Trauer vergisst Ashlag buchstäblich fast alles, doch „nach unendlichem Verlangen und tiefer Sehnsucht öffnete sich mein Herz mit übernatürlicher Weisheit wie das Wasser einer immer sprudelnden Quelle“.

Von Ashlag wurde gesagt, dass er unentwegt die Tora studierte, doch haben ihn seine Neugier und die kompromisslose Suche nach der Wahrheit auch abseits seiner Studienschule geführt. Er lernte deutsch und las Hegel, Schopenhauer, Marx und Nietzsche im Original. In den tumultartigen Nachkriegszeiten von 1918 nahm Ashlag an sozialistischen und kommunistischen Demonstrationen auf den Straßen Warschaus teil und nahm regen Anteil an der politischen Entwicklung der Welt.

1921, im Alter von 36, übersiedelte Ashlag, einer plötzlichen Entscheidung folgend, nach Israel. Laut Gottlieb, nach einem Gespräch von Ashlags Schüler mit der Frau des Meisters, Rivka Roize, war Ashlag überzeugt, dass er nur in Israel spirituelle Herausforderungen finden würde. Bliebe er in Polen, würde er, von Gott weggenommen, sterben, da seine Arbeit dort beendet war. Seine Abreise war so überstürzt, dass er gezwungen war, einige seiner Kinder bei Verwandten in Warschau unterzubringen und seine Frau, die auf der Reise nach Palästina ein Kind gebar, in der Tschechoslowakei zurückzulassen; sie war erst einige Monate später wieder bei ihm.

Nachdem er in Israel angekommen war, brachte er seine Kinder in einem Einwanderungsheim in Jaffa unter und ritt auf einem Esel nach Jerusalem. Wie ein Pfeil, der auf sein Ziel zusteuert, ging er in die Richtung des Beit-El-Lehrhauses in der Altstadt, das seit Jahrhunderten ein Kabbala-Zentrum war, welches noch in der sefardischen Tradition unterrichtete und seit 200 Jahren den Lehren des Jemenitischen Kabbala-Meisters Rabbi Shalom Sharabi folgte.

Enttäuschung in Jerusalem

Doch Ashlag war von den Jerusalemer Kabbalisten tief enttäuscht. Nach einem Treffen mit ihnen, welches in Gottliebs „HaSulam“ gedruckt wurde, griff Ashlag dieses sefardische Herangehen scharf an und erklärte es als dem seinigen genau entgegengesetzt. Ashlag bemühte sich, die innere Bedeutung der Kabbala, welche er für das stärkste Mittel für die menschliche Veränderung hielt, zu erschließen und auszudrücken.

Obwohl mehrere Beit-El-Schüler den „Sohar“ und die Lurianischen Werke auswendig kannten, erklärten sie nach Ashlags Aussagen, dass es menschlich unmöglich sei, die Bedeutung der Kabbala zu verstehen, und dass nicht einmal Luria selbst die Bedeutung der Symbole und Vorgänge verstehen würde, die er beschreibt und vom Propheten Elia als Offenbarung erhielt. „Um Gotteswillen“ riefen sie als Antwort auf seine Fragerei aus, wie Ashlag sich erinnert, „es gibt keine innere Bedeutung! Das sind nur Worte, wie sie geschrieben und an uns weitergegeben wurden. Nichts weiter.“ Durch Meditation und Wiederholung dieser heiligen Worte, die für menschliches Verständnis absolut unerreichbar waren, erhofften die Beit-El-Kabbalisten, einen spirituellen Fortschritt zu erreichen und eventuell den Messias hervorzubringen. Ashlag hielt diese Beit-El-Kabbalisten für Narren und berichtet, dass er nach dem Treffen mit ihnen von feurigem Eifer gepackt wurde. Dieser Geist erweckte in ihm die Aufgabe, die ihn bis an sein Lebensende beschäftigen sollte: „Die Kabbala in einem solchen Ausmaß zu enthüllen, dass es bekannt werden wird, dass es Weisheit in Israel gibt.“

„Für Ashlag ist die Kabbala weder dämonisch, mystisch noch magisch, sondern logisch. Sie folgt einer wissenschaftlichen Gedankenlinie“, sagt Prof. Elkayam. „Eine der neuartigen Behauptungen von Ashlag ist, dass das Judentum eine spirituelle Wissenschaft hat – die Kabbala.“ Und diese spirituelle Wissenschaft ist in vollem Ausmaß für die Menschheit bestimmt.

In der Lurianischen Kabbala wird das „Zerbrechen der Gefäße“ als eine kosmische Katastrophe bezeichnet, die vor der Erschaffung der Welt erfolgte. Gott versuchte Licht in die von ihm gemachten Gefäße fließen zu lassen, aber diese waren zu klein und unflexibel, um es erhalten zu können. Die Gefäße zerbrachen, und Funken Göttlichen Lichtes fielen bis in die dunkle Welt der „Schalen“ („Klipot“) – die grundlegende Form in der materiellen Welt. Das Zerbrechen der Gefäße und das Eingeschlossensein des Göttlichen Lichtes innerhalb der Schalen, macht die Korrektur (Tikun) notwendig – die kosmische Korrekturarbeit, welche die Seele verrichten muss. Durch unser Bewusstsein, unsere Absicht und unsere guten Taten können wir die Gefäße reparieren und die Funken nach oben erheben.

„Es besteht ein allgemeines Verständnis, dass die Kabbala etwas Mystisches ist, das sich mit spirituellen Welten und ähnlichem beschäftigt“, sagt Rabbi Avraham Brandwein, Sohn von Rabbi Yehuda Brandwein und selbst ein Schüler der Ashlag-Kabbala. „Seine Einstellung aber war das Gegenteil, nämlich, dass alles einen praktischen Aspekt hat und Teil dieser Welt, dieser Welt der Handlungen, ist. Zum Beispiel interpretiert er das Zerbrechen der Gefäße und deren Reparatur in Bezug auf die menschliche Gesellschaft so: „Die menschliche Gesellschaft reparieren“ bedeutet, eine Garantie zu geben, dass jeder bekommt, was er braucht und gibt, was ihm möglich ist. Alle Ungerechtigkeiten und gesellschaftlichen Unterschiede sind dadurch entstanden, weil Menschen mehr bekommen, als sie brauchen. Das verdirbt sie und die Welt. Der Reichtum, der vom Himmel fließt, ist ausreichend, und wenn die Verteilung gerecht wäre, dann könnte jeder sorgenlos leben.

Im Gegensatz zur bisherigen Kabbala und dem Chassidismus, die Wert auf Frömmigkeit und einzelne, mit Absicht ausgeführte, Taten legten, um die Funken wieder zu erheben, setzte Ashlag Probleme wie soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der kabbalistischen Korrektur (Tikun).

Sechs Jahre nach seiner Ankunft veröffentlichte Ashlag seine ersten Werke der Kabbala – einen Kommentar zu Lurias Haupabschnitten im „Baum des Lebens“, genannt „Panim Meirot uMasbirot“, in welchem er die grundlegende Sprache und diejenigen Begriffe einführt, die er sein ganzes Leben zur Interpretation der Kabbala benutzen wird. Dr. Boaz Huss von der Ben-Gurion-Universität, nannte das Wesentliche seiner neuen Denkweise „Ashlags radikale Verlagerung des Schwerpunktes in der Bedeutung der Kabbala“, und sie liegt in seiner neuen Konzentration auf die unglaublich vielschichtige Lurianische Erzählung, in der berichtet wird, dass die Geschichte der kosmischen Schöpfung und Erlösung sich um ein und dieselbe Achse drehen: die Transformation der Menschheit vom selbstzerstörenden Egoismus zum Altruismus, der jeden Einzelnen in eine Empfangsfrequenz für das Göttliche Licht verwandelt.

Von Anbeginn hat der Chassidismus bei der Interpretation der Tradition der Kabbala die ethische Seite hoch und die mystische heruntergespielt, wie Avi Bernstein, ein Bar-Ilan-Student, der an Ashlag für seine Doktorarbeit arbeitet, bemerkte. Doch war Ashlag der erste, der zeigte, wie die innere Logik der lurianischen Kabbala in all ihren mannigfaltigen Einzelheiten ein Vehikel für die ethische Transformation werden kann.

Ashlags Kabbala verschärft die dialektische Natur des Vorganges, den Luria beschreibt. Gottes Wille, das Wesen Seines Lichtes, ist es, Freude und Glückseligkeit zu schenken. Freude, sei es körperliche oder spirituelle, kann jedoch nur verspürt werden, wenn ein Verlangen danach existiert. Daher schaffte Gott „den Willen zu empfangen“, das aus dem Willen bestehende Empfangsgefäß, in welches Sein Licht gegossen werden kann. Der Willen zu empfangen, welcher der eigentlichen Natur der erschaffenen Geschöpfe entspricht, steht jedoch dem Göttlichen Willen zu geben genau gegenüber. Der Wunsch des Geschöpfes zu empfangen entfernt es von Gott und macht die Aufnahme des Lichtes unmöglich. Die einzige Lösung für die Geschöpfe liegt in der Entwicklung eines altruistischen Willens zu geben, Hand in Hand mit ihrem weiterentwickelten Willen zu empfangen. Dieses kann durch das Studium der Kabbala, welche das reinigende und Göttliche Licht durch „den Glauben“ in den Verstand lässt, erreicht werden und ganz besonders durch die Praxis: mit der Entwicklung einer Gemeinschaft, die auf Liebe unter ihren Mitgliedern basiert und einer Gesellschaft, die auf ökonomischer Gerechtigkeit gegründet ist.

Der Hohepriester der Kabbala

Nach seiner Ankunft in Jerusalem im Jahre 1921, versuchte Ashlag ungefähr zwei Jahre unerkannt dort zu leben, und versorgte seine Familie durch körperliche Arbeit tagsüber und nachts schrieb er. Durch die Danksagungen, die am Anfang seines Buches gedruckt wurden, wird es klar, dass, als sein erstes Buch 1927 erschien, sein Genie und seine Frömmigkeit von einigen der bedeutendsten Rabbis erkannt worden war. Rabbi Yosef Chaim Sonnenfeld, der spirituelle und politische Führer der ultraorthodoxen israelischen Gemeinschaft und das Oberhaupt eines rabbinischen Hofes, nannte ihn „den großen Mann, den Hohepriester des Studiums der Kabbala“.

Rabbi Abraham Isaak Kook, der Oberrabbiner von Palästina und politisch auf Kriegsfuß mit dem Antizionisten Sonnenfeld, stimmte ihm im Hinblick auf Ashlag zu: „Ein göttlicher, weiser Mann, ein heiliger Schatz.“ Sogar Rabbi Shaul Dueck, der anerkannte Führer von Jerusalems sefardischen Kabbalisten reihte sich ein, indem er Ashlag „einen göttlichen Kabbalisten“ nannte.

Und doch ergeben diese Danksagungen noch kein vollständiges Bild. Ashlag ist ruhelos, sein starkes Gefühl eine Mission zu haben, führt dazu, dass er nirgendwo hinpasst, und seine radikalen Ansichten rufen Gegner hervor. Durch die Intervention von Sonnenfeld, wird er 1924 zum Rabbi von Givat Shaul in Jerusalem. Jedoch geografisch gesehen bleibt er unbeständig: er zieht noch sieben Mal in seinem Leben um. 1926 reist er nach London, wo er zwei Jahre mit Studieren und Schreiben verbringt. 1928 zieht er wieder nach Givat Shaul, aber nach vier Jahren zieht er wieder um – nach Tel Aviv.

Kurz nach seiner Ankunft in Jerusalem hatte er begonnen eine Gruppe ihm ergebender Studenten zu versammeln; gemäß seinen Anweisungen mussten sie sich ihren Lebensunterhalt durch körperliche Arbeit verdienen. Auf dem Wege zu ihm, zu dem nächtlichen Kabbala-Unterricht in Givat Shaul um zwei Uhr morgens, mussten sie sich durch offenes Gelände mit Wölfen und Banditen durchkämpfen. Doch so sehr diese Gruppe ihm auch ergeben war, blieb sie doch klein. Seine offen vertretene Meinung, dass die Kabbala nicht länger im Geheimen zu studieren ist, zusammen mit der Ansicht, dass nur die Kabbala die Welt vor einer Katastrophe retten kann, und dass kabbalistische Ideen durch Zeitungen verbreitet werden sollten – all dieses machte ihn zu einer umstrittenen Figur in der ultraorthodoxen Welt.

Und nicht nur dort. Im Jahre 1933 versuchte er seine Ideen in Form von Zeitungen zu verbreiten, angefangen mit einer Broschüre, deren Überschrift lautete: „Gewidmet der Verbreitung von Originalberichten über die jüdische Seele, die Religion und die Weisheit der Kabbala an die Menschheit.“ 1940 startete er eine neue Veröffentlichung: die zweiwöchentliche Zeitung „Ha’Uma“ („Die Nation“). Aber seine gerade frisch erschienene Publikation wurde von der britischen Mandatspolizei sofort wieder verboten, und Ashlag wurde angeklagt, kommunistische Ansichten zu verbreiten. Das Wichtigste in der Tora ist die Aussage „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – und er übersetzte dies als einen göttlichen Befehl, eine neue Welt zu erschaffen, die auf einer radikalen wirtschaftlicher Gleichheit basierte: „Von jedem nach seinen Fähigkeiten erhalten“ und „Jedem nach seinem Bedarf geben“. Er schreibt, dass nur in einer Welt, die von imperialistischer und wirtschaftlicher Ausbeutung befreit ist, Juden und die übrige Menschheit anfangen können, ihr spirituelles Potential zu verwirklichen.

Für Ashlag durfte die Erfüllung seiner Vision sich jedoch nicht verzögern. Die entstehende Möglichkeit der unmittelbar bevorstehenden Gründung eines jüdischen Staates erschien ihm als beste Gelegenheit, die von ihm gesuchte Umwandlung auszulösen. Die Juden sollten aufgrund ihrer göttlichen Erwählung und Leidensgeschichte die Avantgarde der Menschheit sein – die Gründer einer idealen Gesellschaft, deren Vorbild dann schnell auf andere überspringen könnte. Er beginnt, Möglichkeiten zu erforschen, um politische und intellektuelle Führer der zionistischen Arbeiterbewegung zu beeinflussen.

Professor Dov Sadan, Herausgeber der nicht mehr bestehenden Zeitung ‚Davar’, stellt ihn Chaim Arlosoroff, Chaim Nachman Bialik, Yaakov Chazan und David Ben-Gurion vor, mit welchem er eine besondere Verbindung eingeht. „Er fragte mich mehrere Male, ob wir nach der Gründung des Staates Israel eine kommunistische Ordnung einführen könnten“, schreibt Ben-Gurion im Mai 1958 in einem Brief an Rabbi Yehuda Brandwein.

Tief erschüttert vom Holocaust, der Entwicklung von Atomwaffen und der Brutalität des stalinistischen Regimes in der Sowjetunion, arbeitet Ashlag mit einem wachsenden Gefühl der Dringlichkeit an der Verbreitung und Interpretation der Kabbala. Er scheint seine Versuche, die zionistische Führerschaft zu beeinflussen aufgegeben zu haben, samt der Hoffnung auf von Oben gegebene Werte des politischen Kommunismus. Was er allerdings vorschlägt ist eine Art Weltreligion, die auf altruistischer, sozialer Gerechtigkeit gegründet ist, in der jede Kultur ihre eigenen, besonderen, religiösen Traditionen beibehält und dabei hilft, Ausbeutung und Armut auszurotten. Er schreibt während dieser Zeit in seinen meist unveröffentlichten Aufsätzen, dass der Kommunismus ohne eine spirituelle Grundlage potentiell ausbeutender ist, als der schlimmste Kapitalismus, da er, um eine Produktivität zu erreichen, die Angst verwenden muss.

Wie Sherlock Holmes

Die gesamten enormen mentalen Energien Ashlags gehen ein in sein episches Werk, den Kommentar zum „Sohar“, den „HaSulam“. So erinnert sich Rabbi Avraham Brandwein, der zehn Jahre alt war, als Ashlag starb, dass er sah, wie Ashlag nahezu zehn Stunden täglich auf und ab ging und über kabbalistische Ideen nachdachte, wie Sherlock Holmes, der dabei war, einen Fall zu lösen.

Für lange Zeit war Ashlag von einem Gefühl göttlicher Berufung besessen: Seine Seele hatte die Aufgabe, eine kabbalistische Sprache für die heutige Zeit zu erschaffen, eine Ära, in der der „Wille zu empfangen“ zu seiner Endgröße herangewachsen ist und sowohl die letztendliche Erlösung, als auch eine schreckliche Zerstörung zu unmittelbar bevorstehenden Möglichkeiten macht. In einem Brief an seinen Vater 1927, verwendet er mit Überzeugung den Begriff „geschwängert“ (hit´aber) – ein kabbalistischer Begriff von Rabbi Isaak Luria für den Vorgang, bei dem die Seele eines Zadik (Gerechter) aus einer vorherigen Generation eine lebende Person betritt und in ihr lebt, mit dem Ziel, eine große Aufgabe zu verrichten. „Und wisse mit Sicherheit, dass es seit der Zeit des ARI (Rabbi Isaak Luria) bis heute, niemanden gab, der die Methode ARIs von Grund auf verstanden hat. Und siehe da, durch den Willen Gottes wurde ich von der Seele des ARI, seligen Angedenkens, „geschwängert“, und nicht wegen meiner guten Taten, sondern wegen des Göttlichen Willens, aus Gründen, die ich selbst nicht verstehe. Es ist mir nicht möglich, diese Dinge weiterhin zu beleuchten, da es nicht meine Art ist, von Wundern zu sprechen.“

In der „Einführung zum Sohar“, am Anfang seines „HaSulam“ steht in seiner ruhigen Ausdrucksweise die gleiche Aussage abgedruckt: dass seine maßgebliche Interpretation eine neue Ära für die Kabbala markiert, ähnlich dem Erscheinen des „Sohars“ und den Werken von Luria selbst.

Obwohl er nachhaltig kabbalistischen Wunderwerken widersprach und hartnäckig behauptete, dass die menschliche Erlösung sich als das Resultat eines natürlichen Vorganges entfalten muss, vermuteten seine loyalen Schüler, dass ihr Meister, der in fast vollständiger Unbekanntheit arbeitete, sich in Wirklichkeit im Mittelpunkt aller sich entfaltenden Geschehnisse befand, die die Juden und vielleicht sogar die gesamte Menschheit betreffen.

Während des Unhabhängigkeitskrieges saß Ashlag laut Rabbi Avraham Gottliebs „HaSulam“ zusammen mit einigen seiner Schüler täglich vor der Karte Israels und sagte die Schlachtergebnisse voraus, seine „Chassidim waren dabei überzeugt, dass der Kriegsverlauf sich im Inneren ihres Lehrers abspielte“.

Sein Enkel, Rabbi Yecheskel Ashlag erzählte mir, dass er 1953 zusammen mit ihm bei einem Festmahl im Herzlia Hotel in Safed den Abschluss des „HaSulam“ feierte und sein Großvater gerade dabei war, langsam eine selbst komponierte, gefühlvolle Melodie zu singen, als der Besitzer des Hotels, Moshe Perl, aufgeregt ausrief: „An diesem Tisch wurde gerade Stalin umgebracht!“ Wir hielten ihn alle für verrückt, doch auf dem Rückweg vom Hotel hörten wir im Radio, dass Stalin tot war.

Während seiner letzten Lebensjahre war er mehr und mehr davon überzeugt, dass wirklich ein Wendepunkt in der menschlichen Geschichte erreicht wurde. Er betrachtete die Gründung des Staates Israel als ein Zeichen dafür, dass die Erlösung bereits gekommen war, obwohl es in der spirituellen Welt immer einen Zeitunterschied zwischen „dem Geben“ und „dem Erhalten“ gibt. Und bei einer anderen Feier gab er seinen Schülern bekannt, dass die Veröffentlichung des „HaSulam“ ein Hinweis dafür war, im messianischen Zeitalter zu leben. In anderen Generationen war es nur wenigen vergönnt, große Höhen an spirituellem Wissen und eine Verbindung zu Gott zu erreichen, und auch ihnen konnte nicht alles enthüllt werden.

Doch unserer Generation wurde das Geschenk der Interpretation „HaSulam“ beschert, die vollständig erklärt, was der „Sohar“ bedeutet in Begriffen für den einfachen und analytischen Intellekt zum Verständnis für den Durchschnittsmenschen. Und er ist ein klares Zeichen dafür, dass wir im messianischen Zeitalter leben, am Beginn der Generation, von der gesagt wurde: „Und die Erde wird mit dem Wissen über Gott erfüllt, wie das Wasser die Meere bedeckt.“

Neue Chassidische Dynastien

Warum hat es ein halbes Jahrhundert gedauert, bis sich Rabbi Yehuda Ashlags Lehren außerhalb seines kleinen Zirkels seiner ihm nahestehenden Studenten und deren Schüler ausbreitete? Eine Antwort liegt in der Tatsache, dass seine Söhne ihre Wirkungsstätten in Bnei Brak, innerhalb der ultraorthodoxen Welt, hatten, und beide versuchten, eine neue Chassidische Dynastie zu etablieren, und beide behaupteten, der auserwählte Führer zu sein.

1980 studierte ich einige Monate mit Ashlags jüngerem Sohn Rabbi Shlomo Binyamin in seinem Lehrhaus in Bnei Brak. Seine Schüler waren hartgesottene ältere Chassidim, ein paar jüngere Anhänger, darunter Rabbi Akiva Orzel, und eine buntgemischte Gruppe von „Ba’alei Tshuva“ (zeitgenössischen orthodoxen Juden), die jeden Morgen um 5.30 Uhr aus Tel Aviv kamen, um seinem Kabbala-Unterricht beizuwohnen. Rabbi Shlomo, selbst um die siebzig, hatte einige Herzanfälle überlebt, war prägnant, inspiriert, unermüdlich und widmete seine volle Aufmerksamkeit der Arbeit seines Vaters. Er verlor seinen Zeigefinger während Bauarbeiten, und war stolz auf diesen Defekt. Wie sein Vater hielt er viel von körperlicher Arbeit und bestand auf den Gebrauch öffentlicher Transportmittel, wann immer er auf Reisen war. Innerhalb von Bnei Brak wurde seine radikale Hinwendung zur Verbreitung der Kabbala mit Argwohn betrachtet.

Die konservative Veranlagung der ultraorthodoxen Welt ist aber nur eine Erklärung. Andere Anhänger von Ashlag wie Rabbi Yehuda Brandwein, der Rabbiner der Histadrut (Gewerkschaft) lebten und lehrten in einem größeren Umfeld: Brandwein zog unmittelbar nach dem Sechstagkrieg (1967) in die Altstadt Jerusalems. Einer seiner Schüler, der berühmte Rabbi Philip Berg, gründete das erste Kabbala-Forschungszentrum am Ende der Sechziger, und versuchte die größtmögliche Zuhörerschaft zu erwerben. Rabbi Levi Krakovski, Schüler von Ashlag dem Älteren, begann schon 1937 Bücher über die Ashlag-Theorie in Englisch zu veröffentlichen. Sein erstes Buch, an welchem Madonna Interesse zeigte, wurde in Hollywood veröffentlicht. Und dennoch blieben Ashlag und seine Kabbala bis heute im Hintergrund.

Prof. Elkayam nimmt an, dass die neue Beliebtheit von Ashlags Kabbala der weitgehenden kulturellen Umwälzung im Westen zu verdanken ist. Während Hinduismus und Buddhismus die beherrschenden Kräfte in den sechziger und siebziger Jahren darstellten, und der Sufismus gleicherweise in den achtziger Jahren einflussreich war, wird die Kabbala heute, in der Epoche nach dem elften September, die organisierende Kraft westlicher Spiritualität.

„Ashlag gelang es, heutige Gedanken in der Kabbala zu verinnerlichen und zu vereinen“, sagt Dr. Boaz Huss von der Ben-Gurion-Universität. Der Marxismus wird z. B. Teil einer „dialektischen Leiter“ in Ashlags Kabbala und führt das Individuum zur Erleuchtung und der kollektiven Erlösung. „In Ashlags Gedankenwelt wird die Kabbala als Vorbild für den menschlichen Fortschritt angesehen“ und genau dieses macht sie für das heutige Publikum so attraktiv.

„Sein Konzept von Altruismus“, fügt Elkayam hinzu, „berührt eine Saite in der christlichen Welt, die ihre eigene Tradition von Altruismus besitzt.“

Dr. Tony Lavie sieht die einzigartige Anziehungskraft in der Kabbala Ashlags in dem Weg, den sie für die individuelle Verwirklichung anbietet. „Ashlags Methode gibt einem Menschen die Werkzeuge, sich jeder gegebenen Situation bewusst zu werden und zu wissen, wo er spirituell steht.“ Die klare, systematische Eigenschaft von Ashlags Kabbala ist besonders attraktiv für diese immer chaotischere Welt: „Sie liefert eine vollständige, konzeptionelle Struktur für die Psyche. Innerhalb von 10 Jahren wird sich die Tora von Ashlag nicht nur in Israel, sondern auch in der ganzen Welt verbreiten.“

Für Rabbi Laitman gibt es einen metaphysischen Grund für das jetzige Auftauchen von Ashlags Kabbala: „Die Welt ist dabei, die endgültige Größe des Willens zu empfangen zu erreichen. Sehen Sie an, was in China passiert: in den letzten zehn Jahren haben zwei Milliarden Menschen angefangen, sich als Konsument zu sehen, verankert in einer riesengroßen, unbegrenzten, globalen Wirtschaft. Es besteht auf der ganzen Welt eine riesengroße Explosion des Willens zu empfangen.“

Nur eine entsprechende und weitverbreitete Enthüllung der Geheimnisse der Tora kann eine apokalyptische Zerstörung abwenden und Heilung bringen. Die Meinung, dass diese Brutalität und Eigenliebe der heutigen Welt ein Vakuum erzeugen, welches das Verbreiten des kabbalistischen Lichtes, das benötigt wird, anzieht, ist nicht alleine die Idee Ashlags: Der Chabad Chassidismus z. B. benützt ebenfalls diese Idee. In den Schriften von Marx gibt es auch etwas Vergleichbares, dass nur die Grausamkeit des vorangeschrittenen Kapitalismus selbst die Bedingungen für eine Weltrevolution schaffen kann. Ashlags einzigartiger Beitrag scheint zu bestehen in der nahtlosen Vereinigung der Spiritualtät und der normalen Ökonomie, des sozialen Zusammenlebens und der individuellen Persönlichkeit, des intellektuellen Studiums einer abstrakten Methode und der praktischen Art ihrer Umsetzung. Wie weit sein Traum vom Beitrag der spirituellen Tradition des Judentums zur Transformation des menschlichen Bewusstseins und der Gesellschaft gehen wird, bleibt noch abzuwarten.

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