Die Freiheit
Von Yehuda Ashlag
„In Steintafeln gemeißelt (charut al haLuchot) „
Lies nicht „charut“ („gemeißelt“),
sondern „cherut“ („Freiheit“).
Um zu zeigen, dass sie vom Engel des Todes befreit sind.
(Midrash Shemot Rabba, 41)
Diese Worte bedürfen der Klärung, denn wie hängt das Empfangen der Tora mit der Befreiung des Menschen vom Tod zusammen? Und nachdem sie einmal einen unsterblichen, ewigen Körper durch das Empfangen der Tora erhalten hatten – wie konnten sie ihn wieder verlieren? Kann denn das Ewige verloren gehen?
Freiheit des Willens
Um das erhabene Konzept der „Freiheit vom Engel des Todes“ zu verstehen, müssen wir zunächst den Begriff der Freiheit erörtern, wie er normalerweise von der Menschheit verstanden wird.
Es besteht die allgemeine Auffassung, dass die Freiheit ein für alle Lebewesen gültiges Naturgesetz darstellt. Wir sehen, dass Tiere, die in Gefangenschaft geraten, sterben, wenn wir sie ihrer Freiheit berauben. Dies bezeugt, dass die Vorsehung keinerlei Versklavung der Geschöpfe akzeptiert. Nicht umsonst kämpft die Menschheit seit mehreren hundert Jahren darum, ein gewisses Maß an Freiheit für den Einzelnen zu erreichen.
Doch das Konzept, das mit dem Wort „Freiheit“ zum Ausdruck kommt, bleibt unklar, und wenn wir uns mit der Bedeutung dieses Wortes befassen, bleibt fast nichts übrig; denn bevor man nach der Freiheit des Einzelnen fragt, muss man davon ausgehen, dass jeder Einzelne an und für sich über „Freiheit“ verfügt und er aus freiem Willen wählen und handeln kann.
Freude und Schmerz
Wenn wir jedoch die Handlungen eines Menschen untersuchen, stellen wir fest, dass sie zwangsläufig erfolgen. Er wird dazu gezwungen und hat keine Wahlfreiheit. In gewissem Sinne ist er wie ein Eintopf, der auf dem Herd kocht; er hat keine andere Wahl, als zu kochen, denn die Vorsehung hat das Leben zwischen zwei Zügel eingespannt: Freude und Schmerz.
Die Geschöpfe haben keine Wahlfreiheit – sich für den Schmerz zu entscheiden oder die Freude abzulehnen. Der Vorteil des Menschen gegenüber dem Tier besteht darin, dass er ein weit entferntes Ziel anstreben kann; der Mensch kann daher ein gewisses Maß an gegenwärtigem Schmerz für einen zukünftigen Nutzen in Kauf nehmen oder um nach einiger Zeit einen Genuss zu erhalten.
Aber in Wirklichkeit handelt es sich hier nur scheinbar um ein kommerzielles Kalkül, bei dem der künftige Nutzen oder das Vergnügen vorteilhafter erscheint als die Qualen, die der Mensch gegenwärtig auf sich nimmt. Es handelt sich hier lediglich um einen Abstrich – er zieht die Schmerzen und Leiden von dem erwarteten Vergnügen ab und es bleibt ein gewisser Überschuss.
So wird das Vergnügen nur erweitert. Und so kommt es manchmal vor, dass wir leiden, weil das erhaltene Vergnügen nicht den erhofften Überschuss im Vergleich zu den erlittenen Qualen darstellt. Wir haben also ein Defizit, genau wie die Kaufleute.
Letztendlich gibt es hier keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und daher gibt es keine freie Wahl, sondern nur eine Anziehungskraft, die den Menschen zu jedem vorübergehenden Vergnügen hinzieht und ihn vor schmerzhaften Umständen flüchten lässt. Und die Vorsehung führt ihn mit Hilfe dieser beiden Kräfte an jeden beliebigen Ort, ohne den Menschen nach seiner Meinung zu fragen.
Auch die Art des Vergnügens und des Nutzens kann man nicht selbst bestimmen, sondern man folgt dem Willen der anderen und nicht dem eigenen. Zum Beispiel: Ich sitze, ich kleide mich, ich spreche und ich esse. All das tue ich nicht, weil ich so sitzen, reden, mich so anziehen oder essen will, sondern weil andere wollen, dass ich so sitze, mich so anziehe, so rede und so esse. Das alles folgt dem Wunsch und der Laune der Gesellschaft und nicht meinem eigenen freien Willen.
Im Gegenteil tue ich all dies in den meisten Fällen sogar gegen meinen Willen. Denn ich würde mich wohler fühlen, könnte ich mich einfach verhalten, wie ich will, ohne jede Bürde. Aber ich bin in allen meinen Bewegungen mit eisernen Fesseln an die Launen und Sitten der anderen gekettet, die die Gesellschaft ausmachen.
Wo ist also meine Willensfreiheit? Wenn wir davon ausgehen, dass der Wille keine Freiheit hat und wir Maschinen gleichen, die durch äußere Kräfte funktionieren und zu bestimmten Handlungen gezwungen werden, bedeutet das, dass wir alle im Gefängnis der Vorsehung eingesperrt sind, die uns mit Hilfe von Freude und Schmerz nach ihrem Willen schiebt und zieht, wohin auch immer sie es für passend hält.
Es stellt sich heraus, dass es so etwas wie Selbstsucht in der Welt nicht gibt, da hier niemand frei oder auf sich selbst gestellt ist. Ich bin nicht der Eigentümer der Handlung und ich bin nicht der Handelnde, weil ich es sein will. Vielmehr wird an mir gegen meinen Willen und ohne mein Bewusstsein gearbeitet. So werden Belohnung und Bestrafung ausgelöscht.
Und das ist nicht nur für die Religiösen seltsam, die an Seine Vorsehung glauben, sich auf Ihn verlassen und darauf vertrauen, dass Er nur das Beste will. Noch seltsamer ist es für diejenigen, die an die Natur glauben, denn nach dem oben Gesagten sind wir alle ohne Bewusstsein und Verantwortlichkeit in den Ketten der blinden Natur gefangen. Und wir – die auserwählte, mit Vernunft und Wissen ausgestattete Spezies – sollen ein Spielzeug in den Händen der blinden Natur sein, die uns in die Irre führt?
Das Gesetz der Kausalität
Es ist sinnvoll, sich etwas Zeit zu nehmen, um eine so wichtige Sache zu begreifen. Nämlich wie wir mit unserem „Ich“ in der Welt existieren, in der sich jeder als einzigartiges Wesen betrachtet, das aus eigener Kraft und unabhängig von äußeren, fremden und unbekannten Kräften handelt – und worin sich dieses Ich offenbart.
Es gibt eine allgemeine Verbindung zwischen allen Elementen unserer Realität, die durch das Gesetz der Kausalität bzw. Ursache und Wirkung in Bewegung bleibt. Und „wie im Großen so im Kleinen“ bedeutet, dass jedes einzelne Geschöpf aus den vier bekannten Stufen (unbelebt, pflanzlich, tierisch und sprechend) dem Gesetz der Kausalität durch Ursache und Wirkung unterliegt.
Außerdem entsteht jede Form eines bestimmten Verhaltens, das ein Geschöpf in dieser Welt an den Tag legt, durch uralte Ursachen, die es dazu zwingen, genau diese Verhaltensmuster anzunehmen und keine anderen. Dies ist für jeden offensichtlich, der die Wege der Natur von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus und vorurteilsfrei untersucht. In der Tat müssen wir diese Angelegenheit analysieren und sie von allen Seiten beleuchten.
Vier Faktoren
Alles, was in den Lebewesen auftaucht, darf nicht als Erweiterung der Existenz aus Nichtexistenz (Jesh mi Ajn) wahrgenommen werden, sondern als Erweiterung der Existenz aus Existenz (Jesh mi Jesh). Und zwar als ein neues Objekt, das seine frühere Form abgestreift und seine jetzige Form angenommen hat.
Deshalb müssen wir verstehen, dass jede Erscheinung dieser Welt aus dem Zusammenwirken der vier Faktoren hervorgeht.
Sie werden mit Namen bezeichnet:
- Die „Grundlage“.
- Das unveränderliche Verhalten von Ursache und Wirkung in Bezug auf die Eigenschaft der Grundlage.
- Ihre inneren Abläufe entsprechend Ursache und Wirkung, die sich durch den Kontakt mit fremden Kräften verändern.
- Die Abläufe entsprechend Ursache und Wirkung von fremden Dingen, die von außen auf sie einwirken.
Ich werde sie der Reihe nach erläutern.
Der erste Faktor: Die Grundlage, das Ausgangsmaterial
Die „Grundlage“ ist der erste Faktor, mit dem dieses Wesen verbunden ist. Denn „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, und alles, was in unserer Welt auftaucht, ist nicht Existenz aus Nichtexistenz, sondern Existenz aus Existenz. Es ist ein Wesen, das seine frühere Form abgestreift und eine neue Form angenommen hat. Und dieses Wesen, das seine frühere Form abgestreift hat, wird als „Grundlage“ definiert. In ihr liegt das Potenzial, das am Ende seiner Entwicklung offenbart und festgelegt wird. Daher wird die Grundlage eindeutig als dessen Hauptursache betrachtet.
Der zweite Faktor: Ursache und Wirkung, die sich aus sich selbst ergeben
Es handelt sich um ein unveränderliches Verhalten von Ursache und Wirkung, das mit der Eigenschaft der Grundlage zusammenhängt. Nehmen wir zum Beispiel einen Weizenhalm, der im Boden verrottet und viele Weizenkörner sät. Dieser verfaulte Zustand wird als „Grundlage“ bezeichnet; das bedeutet, dass das Wesen des Weizens seine frühere Form abgestreift und eine neue Qualität angenommen hat, nämlich die des verfaulten Weizens, der das Saatgut beinhaltet; es wird als „Grundlage“ bezeichnet und hat überhaupt keine Form. Nachdem der Weizen in der Erde verrottet ist, ist er dazu geeignet, die Form vieler Weizenhalme anzunehmen, die aus dieser Grundlage, der Saat, hervorgehen sollen.
Bekanntlich ist diese Grundlage dazu bestimmt, weder Getreide noch Hafer zu werden, sondern nur ihrer früheren Form zu entsprechen, nämlich dem einzelnen Weizenhalm – auch wenn er sich bis zu einem gewissen Grad in Qualität und Quantität verändert; denn in der früheren Form war er ein einziger Halm, aus dem nun zehn Halme hervorgingen; doch in Geschmack und Aussehen bleibt das Wesen des Weizens unverändert.
Hier gibt es also ein Verhalten von Ursache und Wirkung, das auf die Eigenschaft der Grundlage zurückzuführen ist, die sich niemals ändert. So wird aus Weizen niemals Getreide, und das wird „zweiter Faktor“ genannt.
Der dritte Faktor: Interne Ursache und Wirkung
Dies ist das Verhalten der inneren Ursache und Wirkung der Grundlage, die sich verändert, wenn sie auf fremde Kräfte in ihrer Umgebung trifft. So sehen wir, dass aus einem im Boden verrottendem Weizenhalm viele Halme entstehen, die den ursprünglichen Weizen an Qualität übertreffen.
Es müssen also zusätzliche Faktoren im Spiel sein, die mit der in der Umwelt verborgenen Kraft, also der „Grundlage“, zusammenarbeiten und sich mit ihr verbinden. Und deshalb erscheinen nun die qualitativen und quantitativen Ergänzungen, die in der vorherigen Form des Weizens fehlten. Auf ihn wirken die Mineralien und die Stoffe im Boden, der Regen und die Sonne, indem sie ihre Kräfte beisteuern und sich mit der Kraft der Grundlage verbinden. Und durch Ursache und Wirkung bringen sie die Vielfalt in Quantität und Qualität in dieser Erscheinung hervor.
Wir müssen verstehen, dass dieser dritte Faktor mit der Innerlichkeit der Grundlage verbunden ist, die von der in der Grundlage verborgenen Kraft kontrolliert wird. Letztendlich gehören alle diese Veränderungen zum Weizen und zu keiner anderen Pflanze. Daher bezeichnen wir ihn als internen Faktor. Der dritte Faktor unterscheidet sich jedoch vom zweiten Faktor, der völlig unveränderlich ist. Doch der dritte Faktor verändert sich sowohl qualitativ als auch quantitativ.
Der vierte Faktor: Ursache und Wirkung durch fremde Kräfte
Dies ist das Verhalten von Ursache und Wirkung fremder äußerlicher Einflüsse. Mit anderen Worten, sie haben keinen direkten Bezug zum Weizen – wie Mineralien, Regen oder Sonne – sondern sind ihm fremd, wie benachbarte Pflanzen oder äußere Ereignisse, wie Hagel, Wind usw.
Während des gesamten Wachstums des Weizens wirken diese vier Faktoren auf ihn. Sie bedingen jeden besonderen Zustand, dem der Weizen während dieser Zeit unterworfen ist und bestimmen die Qualität und Quantität jedes Zustandes.
Was wir anhand des Weizens veranschaulichten, gilt für jede Erscheinung in der Welt, auch für Gedanken und Ideen. Wenn wir uns zum Beispiel den Zustand eines bestimmten Menschen vorstellen, wie Religiosität oder Nicht-Religiosität, oder extrem orthodox oder weniger orthodox, müssen wir wissen, dass dieser Zustand im Menschen durch die vier oben genannten Faktoren entstand.
Ererbter Besitz
Die Ursache des ersten Faktors ist die Grundlage, die sein Ausgangsmaterial darstellt. Der Mensch ist eine Existenz, die aus Existenz erschaffen ist, das heißt aus dem Geist seiner Vorfahren. In gewisser Weise ist er also wie ein kopiertes Buch. Das bedeutet, dass sich hier fast alle Dinge wiederholen, die die Väter und Vorväter annahmen und erreichten.
Aber der Unterschied besteht darin, dass dies in einer abstrakten Form geschieht, wie der ausgesäte Weizen, der erst zur Saat taugt, wenn der Halm verrottet ist und seine frühere Form verloren hat. So ist es auch mit dem Tropfen Sperma, aus dem der Mensch entsteht: Er enthält nichts von den Formen seiner Vorfahren, sondern nur deren abstrakte Kraft.
Denn dieselben Ideen, die bei seinen Vorfahren als Konzepte galten, verwandelten sich in ihm in bloße Neigungen. Es sind „Instinkte“ oder „Gewohnheiten“ und man weiss überhaupt nicht, warum man tut, was man tut. Es sind in der Tat verborgene Kräfte, die man von seinen Vorfahren geerbt hat. Wir erben also nicht nur den materiellen, sondern auch den spirituellen Besitz und alle Konzepte, mit denen sich unsere Väter beschäftigten. Von Generation zu Generation.
Daraus ergeben sich die vielfältigen Neigungen, die wir im Menschen finden, wie z.B. die Neigung zu glauben oder zu kritisieren, die Neigung, sich mit dem materiellen Leben zufrieden zu geben oder nach spiritueller, moralischer Ganzheit zu suchen, ein wertloses Leben zu verachten, geizig, nachgiebig, frech oder schüchtern zu sein.
All diese Bilder, die in den Menschen auftauchen, gelten nicht als erworbenes Eigentum, sondern als reines Erbe, das ihnen von ihren Vorfahren mitgegeben wurde. Bekanntlich gibt es im menschlichen Gehirn einen besonderen Ort, an dem sich diese Erbanlagen befinden. Er wird „das verlängerte Gehirn“ oder „Unterbewusstsein“ genannt, und alle Neigungen erscheinen dort.
Aber weil die Konzepte unserer Vorfahren, die sie durch ihre Erfahrungen erwarben, in uns zu bloßen Neigungen wurden, werden sie dem gesäten Weizen gleichgestellt, der seine frühere Form verloren hat. Denn er verbleibt nackt und besitzt nur potenzielle Kräfte, die neue Formen annehmen können. Bei unserem ersten Faktor kleiden sich die Neigungen in Konzepte. Er wird „Grundlage“ genannt. In ihr befinden sich alle Kräfte der einzigartigen Neigungen, die man von seinen Vorfahren erbte und die daher als „Erbe der Vorfahren“ bezeichnet werden.
Einige dieser Neigungen treten in negativer Form auf, die im Gegensatz zu jener der Vorfahren steht.. Deshalb wurde gesagt: „Alles, was im Herzen des Vaters verborgen ist, tritt im Sohn offen zu Tage.“
Der Grund dafür ist, dass die Grundlage ihre frühere Form ablegte, um eine neue Form anzunehmen. Daher ist es naheliegend, dass sie die Konzepte der Vorfahren verliert, so wie der in der Erde verrottende Weizen seine ursprüngliche Form verliert. Alles hängt jedoch immer noch von den anderen drei Faktoren ab, wie ich oben geschrieben habe.
Einfluss der Umwelt
Der zweite Faktor ist ein unveränderliches, direktes Verhalten von Ursache und Wirkung, das mit der Eigenschaft der Grundlage zusammenhängt. Wie wir beim Weizen deutlich machten, beeinflusst die Umgebung, in der die Grundlage ruht (Boden, Mineralien, Regen, Luft und Sonne), die Aussaat durch eine lange Kette von Ursache und Wirkung in einem langen und allmählichen Prozess der Reifung.
Und diese Grundlage nimmt ihre frühere Form des Weizens wieder an, die sich jedoch in Qualität und Quantität unterscheidet. In ihrem allgemeinen Aussehen bleibt der Weizen völlig unverändert und es wächst weder Getreide noch Hafer aus ihm. Aber er ändert sich in der Quantität, da aus einem Halm ein Dutzend oder zwei Dutzend Halme entstehen, und in der Qualität, die besser oder schlechter sein kann als seine frühere Form.
Das ist auch hier der Fall: Der Mensch als „Grundlage“ ist in eine Umgebung bzw. eine Gesellschaft eingepflanzt. Er wird notwendigerweise gleich wie der Weizen von ihr beeinflusst, denn die Grundlage stellt nur eine Rohform dar. So wird er durch den ständigen Kontakt mit der Umwelt und der Gesellschaft allmählich durch eine Kette aufeinanderfolgender Zustände in Form von Ursache und Wirkung geprägt.
Zu diesem Zeitpunkt verändern sich die in seiner Grundlage enthaltenen Neigungen und nehmen die Form von Konzepten an. Wenn jemand zum Beispiel von seinen Vorfahren eine Neigung zum Geiz geerbt hat, entwickelt er im Laufe seines Heranwachsens für sich selbst Konzepte und Ideen, die entschieden zu dem Schluss kommen, dass Geiz für einen Menschen vorteilhaft ist. Obwohl sein Vater großzügig war, könnte er von ihm die negative Neigung zum Geiz geerbt haben – denn die Abwesenheit ist ebenso ein Erbe wie die Anwesenheit.
Wenn man von seinen Vorfahren die Neigung zur Aufgeschlossenheit geerbt hat, baut man sich selbst Konzepte auf und zieht daraus den Schluss, dass es gut ist, aufgeschlossen zu sein. Aber woher kommt die Schlussfolgerung? All das nimmt man unbewusst aus der Umwelt auf, denn diese vermittelt uns ihre Ansichten und Vorlieben in Form von stufenweiser Ursache und Wirkung.
Daher betrachtet der Mensch sie als eigenen Besitz, den er durch sein freies Denken erworben hat. Aber wie beim Weizen gibt es auch hier einen unveränderlichen Teil der Grundlage; nämlich, dass die ererbten Neigungen am Ende so bleiben, wie sie bei seinen Vorfahren waren. Dies wird „zweiter Faktor“ genannt.
Gewohnheit wird zur zweiten Natur
Der dritte Faktor ist ein Verhalten von direkter Ursache und Wirkung, die auf die Grundlage einwirken und sie verändern. Denn da die ererbten Neigungen des Menschen sich durch das Umfeld veränderten, arbeiten diese in die Richtung, die diese Konzepte festlegen. Ein Mensch von sparsamer Natur zum Beispiel, in dem die Neigung zum Geiz durch die Umwelt zu einem Konzept wurde, nimmt Sparsamkeit durch eine verstandesmäßige Definition wahr.
Gehen wir davon aus, dass jemand sich durch dieses Verhalten davor schützt, andere Menschen zu brauchen. Dadurch erwarb dieser Mensch einen Maßstab für Sparsamkeit; und wenn die Angst, andere Menschen zu brauchen, verfliegt, kann er darauf verzichten. Daraus folgt, dass er sich durch die von seinen Vorfahren ererbte Neigung wesentlich zum Besseren verändert hat. Und manchmal schafft man es, eine schlechte Neigung völlig auszurotten. Dies geschieht durch Gewohnheit, die zur zweiten Natur werden kann.
Darin ist die Kraft des Menschen größer als die einer Pflanze. Denn der Weizen kann sich nur in seinem eigenen Teil verändern, während der Mensch sich durch Ursache und Wirkung der Umwelt auch in den allgemeinen Teilen verändern kann. Das bedeutet, er kann eine Tendenz völlig entwurzeln und in ihr Gegenteil verkehren.
Externe Faktoren
Der vierte Faktor ist ein Verhalten von Ursache und Wirkung, das die Grundlage durch Dinge beeinflusst, die ihr völlig fremd sind und von außen auf sie einwirken. Das bedeutet, dass diese Dinge überhaupt nicht mit dem Wachstumsverhalten der Grundlage zusammenhängen und sie direkt beeinflussen. Vielmehr wirken sie indirekt. Zum Beispiel bedingen Finanzen, bestimmte Belastungen oder Starkwinde usw. ihre eigene vollständige, langsame und stufenweise Ordnung von Zuständen durch „Ursache und Wirkung“, die die Konzepte des Menschen zum Guten oder zum Schlechten verändern.
Ich habe also die vier natürlichen Faktoren angeführt, und alle Gedanken und Ideen, die in uns auftauchen, gelten nur als deren Früchte. Selbst wenn jemand den ganzen Tag über etwas nachdenken würde, könnte er diesen vier Faktoren nichts hinzufügen oder sie verändern. Nur an Quantität kann er etwas zufügen: ob großer oder kleiner Intellekt. Aber an Qualität kann er nichts hinzufügen. Denn die vier Faktoren bestimmen zwingend die Art und Form der Idee und der Schlussfolgerung gegen unseren Willen und ohne uns nach der Meinung zu fragen. So sind wir ihnen ausgeliefert wie Ton in den Händen eines Töpfers.
Freie Wahl
Bei der Untersuchung dieser vier Faktoren stellen wir fest, dass unsere Kraft nicht ausreicht, um dem ersten Faktor – der Grundlage – zu trotzen. Wir haben aber dennoch die freie Wahl, uns gegen die anderen drei Faktoren zu schützen; denn die Grundlage verändert sich in ihren einzelnen Teilen und manchmal auch in ihrem allgemeinen Teil durch die Gewohnheit, die sie, wie oben erläutert, mit einer zweiten Natur ausstattet.
Die Umwelt als Faktor
Dieser Schutz bedeutet, dass wir bei der Wahl unseres Umfelds, welches aus unseren Freunden, Büchern, Lehrern usw. besteht, immer etwas hinzufügen können. Es ist wie bei einem Menschen, der von seinem Vater ein paar Weizenhalme geerbt hat, aus welchem er viele Dutzend Halme wachsen lassen kann, indem er das richtige Umfeld für seine Grundlage auswählt: nämlich einen fruchtbaren Boden, der alle notwendigen Mineralien und Rohstoffe enthält, die den Weizen reichlich nähren.
Es geht auch darum, die Umweltbedingungen so zu verbessern, dass sie den Bedürfnissen der Pflanze und dem Wachstum entsprechen. Denn der Weise tut gut daran, die besten Bedingungen zu wählen, um Erfolg zu haben. Der Narr hingegen wird von dem nehmen, was ihm vorgesetzt wird, und so die Aussaat eher zum Fluch als zum Segen wachsen lassen.
Das ganze Lob gilt also der Wahl der Umgebung, in die der Weizen gesät werden soll. Doch sobald er an dem gewählten Ort gesät ist, wird die absolute Form des Weizens nach dem Maß bestimmt, das die Umgebung ihm zu bieten imstande ist.
Was dieses Thema betrifft, gibt es keinen freien Willen, sondern wir werden von den vier oben erwähnten Faktoren gesteuert. Und gezwungenermaßen denken wir und bilden uns unsere Meinungen, so wie diese es uns vorgeben, und wir können weder prüfen noch etwas ändern – genau wie der Weizen, der in seine Umgebung gesät wurde.
Es liegt jedoch in der Freiheit des Willens, zunächst eine Umgebung, Bücher und Lehrer zu wählen, die einem gute Konzepte vermitteln. Tut man das nicht und ist bereit, sich auf jede Umgebung einzulassen, die sich einem bietet, und jedes Buch zu lesen, das einem in die Hände fällt, wird man zwangsläufig in eine schlechte Umgebung geraten; oder man wird seine Zeit mit wertlosen Büchern verschwenden, die reichlich vorhanden und leicht zugänglich sind. Infolgedessen wird man in verdorbene Konzepte gezwungen, die einen sündigen und verdammen lassen. Man wird sicher bestraft werden – nicht wegen böser Gedanken oder Taten, denn da hat man keine Wahl, sondern weil man sich nicht für eine gute Umgebung entschieden hat, denn hier gibt es definitiv eine Wahl.
Daher ist derjenige, der sich bemüht, ständig eine bessere Umgebung zu wählen, des Lobes und der Belohnung würdig. Aber auch hier liegt es nicht an seinen guten Gedanken oder Taten, die ihm ohne seine Wahl zuteil werden, sondern an seinem Bemühen, ein gutes Umfeld zu erwerben, das ihm diese guten Gedanken und Taten bringt. Wie Rabbi Yehoshua Ben Perachya sagte: „Mache dir einen Rav und kaufe dir einen Freund.“
Die Notwendigkeit, eine gute Umgebung zu wählen
Jetzt kann man die Worte von Rabbi Yosi Ben Kisma (Avot, Kapitel 6) verstehen, der einem Menschen, der ihm anbot, in seiner Stadt zu leben und ihm dafür Millionen von Goldmünzen zu zahlen, antwortete: „Selbst wenn du mir alles Gold und Silber und alle Juwelen der Welt gibst, werde ich nur an einem Ort der Tora leben.“ Diese Worte scheinen für unseren einfachen Verstand unvorstellbar, denn wie konnte er Millionen für eine so kleine Sache wie das Leben an einem Ort aufgeben, an dem es keine Toraschüler gibt? Denn er war doch ein großer Weiser, der von niemandem lernen musste. In der Tat, ein Rätsel.
Aber wie wir sehen, ist es eine einfache Sache und sollte von uns allen beachtet werden. Obwohl jeder seine eigene Grundlage hat, werden die Kräfte nur durch die Umgebung, in der man sich befindet, offenbart. Dies ist vergleichbar mit dem Weizen, der in die Erde gesät wurde und dessen Kräfte nur durch seine Umgebung – nämlich Boden, Regen und Sonnenlicht – sichtbar werden.
So ging Rabbi Yossi Ben Kisma zu Recht davon aus, dass nicht nur seine früheren Konzepte kompromittiert würden, sondern auch all die anderen Kräfte, die noch in seiner Grundlage verborgen waren und die er noch nicht in die Tat umgesetzt hat, verborgen bleiben würden, wenn er die gute Umgebung, die er gewählt hatte, verlassen und in eine schädliche Umgebung ginge, in der es keine Tora gibt. Das liegt daran, dass die verborgenen Kräfte nicht der richtigen Umgebung ausgesetzt wären, die sie aktivieren könnte.
Und wie oben klargestellt, misst sich die Herrschaft des Menschen über sich selbst nur in der Wahl seiner Umgebung, wofür er Belohnung oder Strafe erhalten wird. Daher darf man sich nicht wundern, dass ein Weiser wie Rabbi Yosi Ben Kisma das Gute wählte, das Schlechte ablehnte und sich nicht von materiellen oder körperlichen Dingen verführen ließ, wie er dort folgert: „Wenn man stirbt, nimmt man nicht Silber, Gold oder Juwelen mit sich, sondern einzig und allein Tora und gute Taten.“
Und so warnten unsere Weisen: „Mache dir einen Rav und kaufe dir einen Freund.“ Das betrifft auch die Wahl der Bücher, wie wir bereits erwähnten, denn nur in der Wahl seiner Umgebung wird man getadelt oder gelobt. Doch sobald man eine Umgebung gewählt hat, ist man ihr ausgeliefert wie Ton den Händen des Töpfers.
Die Kontrolle des Verstandes über den Körper
Einige externe zeitgenössische Weisen kamen nach der Betrachtung der obigen Angelegenheit und der Feststellung, dass der menschliche Verstand nur einer Frucht entspricht, die aus den Ereignissen des Lebens wächst, zu dem Schluss, dass der Verstand keinerlei Kontrolle über den Körper hat. Vielmehr wird der Mensch nur durch die Ereignisse des Lebens kontrolliert und aktiviert, die in die physischen Sehnen des Gehirns eingeprägt sind. Der Verstand des Menschen gleicht einem Spiegel, der die Formen vor ihm reflektiert. Obwohl der Spiegel diese Formen zeigt, kann er sie weder aktivieren noch bewegen.
Das Gleiche gilt für den Verstand. Obwohl er die Ereignisse des Lebens in all ihren Arten von Ursache und Wirkung sieht und erkennt, ist der er dennoch außer Stande, den Körper zu kontrollieren oder ihn zu bewegen bzw. ihn dem Guten näher zu bringen oder ihn vom Bösen wegzustoßen. Denn das Spirituelle und das Körperliche sind weit voneinander entfernt, und es gibt kein vermittelndes Werkzeug, das den spirituellen Verstand in die Lage versetzen würde, den weltlichen Körper zu aktivieren und zu bedienen, wie bereits ausführlich erörtert wurde.
Aber wo sie klug sind, da stören sie auch. Der Verstand dient der menschlichen Vorstellungskraft so wie das Mikroskop den Augen dient: Nur mit dem Mikroskop erkennen wir winzigste Schädlinge und können uns davon distanzieren.
Das Mikroskop hilft uns also, uns von einem Schaden zu distanzieren, und nicht die Augen, denn sie können den Übeltäter nicht entdecken. Und insofern kontrolliert der Verstand den Körper des Menschen vollständig, um ihn vom Schlechten wegzustoßen und ihn zum Guten hinzuziehen. Überall dort, wo die Eigenschaften des Körpers das Gute oder das Schlechte nicht erkennen, braucht er nur das Wissen des Verstandes.
Da der Mensch seinen Verstand kennt – was eine wahre Schlussfolgerung aus seinen Lebenserfahrungen ist – kann er also Wissen von einer vertrauenswürdigen Person erhalten und es als Gesetz annehmen, obwohl die Ereignisse seines Lebens ihm diese Konzepte noch nicht offenbart haben. Es ist wie bei jemand, der den Rat eines Arztes einholt und ihn befolgt, obwohl er mit seinem eigenen Verstand nichts versteht. So benutzt man den Verstand anderer nicht weniger als den eigenen.
Wie oben dargelegt, gibt es zwei Wege, durch die die Vorsehung dafür sorgt, dass der Mensch das gute, endgültige Ziel erreicht: den Weg des Leidens und den Weg der Tora. Die ganze Klarheit des Weges der Tora rührt daher. Diese klaren Konzepte, die nach einer langen Kette von Ereignissen im Leben der Propheten und Gottesmänner enthüllt und erkannt wurden, gelangen zu einem Menschen, der sie vollständig nutzt, und er profitiert von ihnen, als wären sie Ereignisse seines eigenen Lebens. Man ist also von all den Qualen befreit, die man durchmachen müsste, solange man diesen Verstand nicht selbst entwickeln kann. So spart man sowohl Zeit als auch Schmerz.
Es ist vergleichbar mit einem Kranken, der die Anweisungen des Arztes nicht befolgen will, solange er nicht selbst verstanden hat, wie er geheilt werden kann, und der deshalb selbst ein Medizinstudium beginnt. Er könnte an seiner Krankheit sterben, bevor er sich das nötige Wissen angeeignet hat.
So ist der Weg des Leidens im Vergleich zum Weg der Tora. Jemand, der nicht daran glaubt, dass er die Konzepte der Tora und Propheten einhalten sollte – auch wenn er sie nicht versteht – muss selbst zu diesen Konzepten gelangen, indem er der Kette von Ursache und Wirkung der Ereignisse des Lebens folgt. Es handelt sich um Erfahrungen mit großer Bedeutung, durch die man zur Erkenntnis des Bösen gelangt. Und dies, ohne dass man es selbst gewählt hätte, sondern weil man sich bemühte, ein gutes Umfeld zu schaffen, das zu diesen Gedanken und Handlungen führt.
Die Freiheit des Einzelnen
Jetzt haben wir ein gründliches und genaues Verständnis der Freiheit des Einzelnen erlangt. Dies bezieht sich jedoch nur auf den ersten Faktor, der die ursprüngliche Substanz eines jeden Menschen ist und alle Eigenschaften betrifft, die wir von unseren Vätern und Vorvätern erben und durch die wir uns voneinander unterscheiden.
Denn selbst wenn Tausende dasselbe Umfeld teilen, so dass die anderen drei Faktoren auf sie alle gleichermaßen einwirken, wird man keine zwei Menschen finden, die auch nur ein einziges Merkmal gemeinsam haben. Denn jeder von ihnen entstammt seiner eigenen, einzigartigen Grundlage. Wie bei der Grundlage des Weizens: Obwohl dieser sich durch die drei letztgenannten Faktoren stark verändert, behält er dennoch die ursprüngliche Form des Weizens und wird niemals die Form einer anderen Art annehmen.
Die allgemeine Form der Vorväter geht nie verloren
Jede „Grundlage“ hat also die ursprüngliche Form des Vorvaters abgelegt und sich durch die drei Faktoren, die ihr hinzugefügt wurden, erheblich verändert. Sie nahm eine neue Form an, behält jedoch die allgemeine Form des Vorvaters immer noch bei. Sie wird niemals die Form einer anderen Person annehmen, so wie der Hafer niemals dem Weizen gleichen wird.
Denn jede einzelne Grundlage hat ihre eigene, mehrere hundert Generationen umfassende Abfolge und enthält all deren Konzepte. Sie offenbaren sich in ihr jedoch nicht auf dieselbe Weise wie in den Vorfahren, also in Form von Ideen, sondern nur als abstrakte Formen. Sie existieren im Menschen als abstrakte Kräfte, die „Neigungen“, „Natur“ und „Instinkte“ genannt werden, ohne dass der Mensch ihren Grund kennt oder weiß, warum er tut, was er tut. Daher kann es niemals zwei Menschen mit denselben Eigenschaften geben.
Die Notwendigkeit, die Freiheit des Einzelnen zu bewahren
Wisse, dass dies der einzig wahre Besitz des Einzelnen ist, der weder beschädigt noch verändert werden darf. Denn das Ziel all dieser in der Grundlage enthaltenen Neigungen ist es, sich zu materialisieren und die Form von Konzepten anzunehmen. Dies erfolgt als Ergebnis des Gesetzes der Evolution, das diese Kette kontrolliert und sie immer weiter vorantreibt, wie im Artikel „Der Frieden“ erklärt, und zwar, sobald der Einzelne wächst und Erkenntnis erlangt. Wir lernen auch, dass jede Tendenz dazu bestimmt ist, sich in ein erhabenes und unermesslich wichtiges Konzept zu verwandeln.
Wer also eine Tendenz aus einem Individuum ausrottet und entwurzelt, verursacht den Verlust jenes erhabenen und wundersamen Konzepts, das am Ende der Kette entstehen soll, denn diese Tendenz wird nie wieder in einem anderen Körper auftauchen. Dementsprechend müssen wir verstehen, dass eine bestimmte Tendenz, wenn sie die Form eines Konzepts annimmt, nicht mehr als gut oder schlecht beurteilt werden kann. Denn solche Beurteilungen sind nur möglich, solange es sich noch um Neigungen oder unreife Konzepte handelt. Doch sobald sie die Form echter Konzepte annehmen, wird gut oder schlecht überhaupt nicht erkannt, wie in den folgenden Aufsätzen ausführlich erklärt wird.
Aus dem oben Gesagten lernen wir, welch schreckliches Unrecht jene Nationen begehen, die Minderheiten ihre Herrschaft aufzwingen und sie ihrer Freiheit berauben, ohne ihnen zu erlauben, ihr Leben nach den Neigungen zu führen, die sie von ihren Vorfahren geerbt haben. Sie sind schlichtweg als Mörder zu betrachten.
Selbst diejenigen, die weder religiös sind noch an eine zielgerichtete Führung glauben, verstehen die Notwendigkeit, die Freiheit des Individuums zu bewahren, wenn sie die Systeme der Natur betrachten. Denn wir sehen, wie viele Nationen im Lauf der Generationen untergingen, weil sie ihre Minderheiten und Individuen unterdrückten, welche sich gegen sie auflehnten und ihnen letztendlich den Ruin brachten. Es ist also klar, dass es keinen Frieden in der Welt geben kann, solange wir nicht die Freiheit des Einzelnen berücksichtigen. Ohne sie wird kein Frieden von Dauer sein und der Ruin wird überwiegen.
Damit haben wir das Wesen des Individuums mit äußerster Genauigkeit definiert, nachdem wir alles, was es von der Allgemeinheit nimmt, abgezogen haben. Doch nun stellt sich die Frage: „Wo ist letztlich das Individuum selbst?“ Alles, was wir bisher über das Individuum sagten, wird nur als das von seinen Vorfahren geerbte Eigentum wahrgenommen. Doch wo ist das Individuum selbst – der Erbe und Träger dieses Eigentums – das von uns verlangt, sein Eigentum zu schützen?
Wir haben bisher noch nicht den Punkt des „Selbst“ im Menschen gefunden, der als unabhängige Einheit existiert. Und wozu brauchen wir den ersten Faktor, der einer langen Kette von Tausenden von Menschen entspricht, einer nach dem anderen, von Generation zu Generation, und durch welche das Bild des Individuums als Erbe entsteht? Und wozu dienen die anderen drei Faktoren, nämlich in Bezug auf die Tausende von Menschen, die in derselben Generation nebeneinander stehen? Letztlich ist jedes Individuum nur eine staatliche Maschine – immer bereit, der Öffentlichkeit zu dienen, wie sie es für richtig hält.
Mit anderen Worten, ordnet man sich zwei Arten von Öffentlichkeit unter: Aus der Perspektive des ersten Faktors ist man einer großen Gesellschaft aus vergangenen Generationen untergeordnet, die aufeinander folgten. Aus der Perspektive der drei anderen Faktoren ist man der heutigen Gesellschaft untergeordnet.
Dies ist in der Tat eine universelle Frage. Aus diesem Grund lehnen viele die obige, natürliche Methode ab. Obwohl sie sich ihrer Gültigkeit durchaus bewusst sind, wählen sie stattdessen metaphysische Methoden wie Dualismus oder Transzendentalismus, um sich ein spirituelles Objekt und dessen Sitz im Körper als Seele des Menschen vorzustellen. Diese Seele lehrt und treibt den Körper an; sie ist das Wesen des Menschen und sein „Selbst“.
Möglicherweise beruhigen diese Deutungen das Gemüt. Das Problem ist, dass sie keine wissenschaftliche Lösung dafür bieten, wie ein spirituelles Objekt mit den physischen Atomen des Körpers in Kontakt treten kann, um ihn zu bewegen. All ihre Weisheit und ihre Nachforschungen ließen sie keine ausreichende Erklärung finden, welche die breite und tiefe Kluft zwischen dem spirituellen Wesen und dem körperlichen Atom überbrücken könnte. Daher hat die Wissenschaft aus all diesen metaphysischen Methoden nichts gewonnen.
Der Wille zu empfangen (Razon lekabel) – Existenz aus Nichtexistenz (Jesh mi Ajn)
Um hier auf wissenschaftliche Weise einen Schritt voranzukommen, brauchen wir nur die Weisheit der Kabbala. Denn alle Lehren der Welt sind in ihr enthalten. In Bezug auf spirituelle Lichter und Gefäße (im Kommentar zu „Baum des Lebens“, Zweig 1) lernen wir, dass sich die primäre Neuerung aus der Perspektive der Schöpfung, die Er aus Nichtexistenz erschuf, auf einen einzigen Aspekt bezieht, der als „Wille zu empfangen“ definiert wird. Alle anderen Dinge der gesamten Schöpfung sind keine Neuerungen; es handelt sich nicht um Existenz aus Nichtexistenz, sondern um Existenz aus Existenz. Das bedeutet, dass sie direkt aus Seinem Wesen hervorgehen, so wie das Licht aus der Sonne hervorgeht. Auch hier gibt es nichts Neues, denn nach außen erstreckt sich nur das, was sich auch im Kern der Sonne befindet.
Der Wille zu empfangen ist jedoch eine völlige Neuheit. Vor der Schöpfung gab es so etwas nicht, da Er überhaupt keinerlei Willen zu empfangen hat, da Er allem vorausgeht… von wem sollte Er also empfangen?
Aus diesem Grund ist dieser Wille zu empfangen, den Er als Existenz aus Nichtexistenz extrahierte, ein tatsächliches Novum. Aber alles andere kann man nicht „Schöpfung“ nennen. Daher werden alle Gefäße und Körper, sowohl aus den spirituellen als auch aus den physischen Welten, als spirituelle oder körperliche Substanz betrachtet, deren Natur der Wille zu empfangen zugrunde liegt.
Zwei Kräfte im Willen zu empfangen: Eine anziehende Kraft und eine abweisende Kraft
Wir unterscheiden zwei Kräfte im Willen zu empfangen:
Die anziehende Kraft.
Die abweisende Kraft.
Denn jeder Körper bzw. jedes Gefäß, das als Wille zu empfangen definiert wird, ist in der Tat darin begrenzt, wie viel und welche Qualität es empfangen wird. Daher scheinen alle Quantitäten und Qualitäten außerhalb der eigenen Grenzen gegen die eigene Natur gerichtet zu sein und werden deswegen abgelehnt. So wird der Wille zu empfangen, obwohl er als anziehende Kraft gilt, gezwungenermaßen auch zu einer zurückweisenden Kraft.
Ein Gesetz für alle Welten
Obwohl die Weisheit der Kabbala nichts von unserer körperlichen Welt erwähnt, gibt es dennoch nur ein Gesetz für alle Welten (siehe „Das Wesen der Weisheit der Kabbala“, Abschnitt „Das Gesetz von Wurzel und Zweig“). Bei allen körperlichen Wesen in unserer Welt, also bei allem, was sich in diesem Raum befindet – sei es unbeweglich, pflanzlich, tierisch, ein spirituelles oder ein körperliches Objekt und bei deren ganzen Unterschiedlichkeiten, selbst in den kleinsten Teilchen – handelt es sich um nichts anderes als um den „Willen zu empfangen“. Es ist aus der Perspektive der erschaffenen Schöpfung ihre gesamte besondere Form – in Quantität und Qualität begrenzt. Infolgedessen gibt es in ihm eine anziehende und eine abstoßende Kraft.
Doch alles, was außer diesen beiden Kräften in ihm existiert, wird als eine Gabe Seines Wesens betrachtet. Diese Wohltat ist für alle Geschöpfe gleich und stellt keine Neuerung in Bezug auf die Schöpfung dar, da sich Existenz aus Existenz ausdehnt.
Sie kann auch keiner bestimmten Einheit zugeschrieben werden, sondern nur den Dingen, die allen Teilen der Schöpfung, ob klein oder groß, gemein sind. Jeder erhält von diesem Reichtum entsprechend der Größe seines Willens zu empfangen, und diese Größe definiert jedes Individuum und jede Einheit.
Damit habe ich das Selbst (Ego) eines jeden Individuums auf wissenschaftliche, völlig kritiksichere Weise nachgewiesen, selbst entsprechend dem System der fanatischen Materialisten. Von nun an haben wir keinen Bedarf mehr an diesen lahmen, von Metaphysik durchtränkten Methoden.
Und natürlich macht es keinen Unterschied, ob diese Kraft des Willens zu empfangen Ergebnis und Frucht der Materie ist, das sie durch Chemie hervorbrachte, oder ob die Materie Ergebnis und Frucht dieser Kraft selbst ist. Denn nur durch diese Kraft, die in jedem Wesen und jedem Atom des Willens zu empfangen eingeprägt ist, wird es von seiner Umgebung getrennt und unterschieden. Dies gilt sowohl für ein einzelnes Atom als auch für eine Gruppe von Atomen, die „Körper“ genannt werden.
Alle anderen Wahrnehmungen, in denen es mehr als diese Kraft gibt, stehen in keiner Weise mit diesem Teilchen oder dieser Gruppe von Teilchen in Zusammenhang, sondern nur in Bezug auf das Ganze. Denn das ist die ihnen vom Schöpfer gewährte Wohltat, die allen Teilen der Schöpfung gemeinsam ist, ohne Unterscheidung bestimmter geschaffener Körper.
Jetzt verstehen wir die Angelegenheit der Freiheit des Individuums, entsprechend der Definition des ersten Faktors, den wir als „Grundlage“ bezeichneten. In ihr prägten alle vorherigen Generationen, Väter und Vorväter dieses Individuums, ihre Natur ein. Wie wir erklärten, deutet „Individuum“ also auf nichts anderes hin, als auf die Grenzen des Willens zu empfangen, der in eine Molekülgruppe eingeprägt ist.
Man sieht, dass alle von den Vorfahren ererbten Neigungen in der Tat nur Grenzen des Willens zu empfangen darstellen. Sie hängen entweder mit der anziehenden oder mit der abweisenden Kraft in ihm zusammen, die uns als Tendenz zum Geiz oder zur Großzügigkeit, sich unter die Menschen zu mischen oder als Einsiedler zu leben usw. erscheinen.
Aus diesem Grund bilden sie wirklich das Selbst (Ego), das um seine Existenz kämpft. Wenn wir also auch nur eine einzige Tendenz eines Menschen auslöschen, wird das wie die Abtrennung eines echten Organs von seinem Wesen betrachtet. Es wird auch als ein echter Verlust für die gesamte Schöpfung betrachtet, da es keinen anderen wie ihn gibt, noch wird es jemals wieder jemanden wie ihn auf der ganzen Welt geben.
Nachdem wir jetzt das Recht des Einzelnen entsprechend den Naturgesetzen geklärt haben, wenden wir uns der Frage zu, wie es praktisch umzusetzen ist, ohne die Lehre der Ethik und der Staatskunst zu beeinträchtigen. Und das Wichtigste: wie unsere Heilige Tora dieses Recht anwendet.
Folge dem Kollektiv
Unsere Schriften sagen: „Folge dem Kollektiv.“ Das bedeutet, dass wir verpflichtet sind, überall dort, wo es einen Streit zwischen dem Kollektiv und dem Individuum gibt, nach dem Willen des Kollektivs zu entscheiden. Man sieht also, dass das Kollektiv das Recht hat, dem Einzelnen die Freiheit zu entziehen.
Aber wir stehen hier vor einer anderen Frage, die noch ernster ist als die erste. Es scheint, als werfe dieses Gesetz die Menschheit zurück, anstatt sie zu fördern. Denn der größte Teil der Menschheit ist unterentwickelt und die Entwickelten stellen immer eine kleine Minderheit dar. Daher würden die Ansichten und Wünsche der Weisen und Entwickelten in der Gesellschaft, die immer in der Minderheit sind, nie gehört und berücksichtigt, wenn man immer nach dem Willen der Mehrheit – der Unentwickelten und Rücksichtslosen – entschiede. Damit würde man das Schicksal der Menschheit in Richtung Rückschritt besiegeln, denn sie würde keinen einzigen Schritt vorwärts machen können.
Wie jedoch im Artikel „Der Frieden“, Abschnitt „Notwendigkeit, mit den Naturgesetzen vorsichtig umzugehen“, erläutert wird, sind wir gemäß der Vorsehung verpflichtet, alle Gesetze zu beachten, die den Unterhalt der Gesellschaft betreffen. Denn wir sind von der Vorsehung zu einem sozialen Leben gezwungen. Und wenn wir dies vernachlässigen, wird sich die Natur an uns rächen, unabhängig davon, ob wir die Gründe für diese Gesetze verstehen oder nicht.
Und wir sehen, dass es keine andere Möglichkeit gibt, in der Gesellschaft zu leben, als das Gesetz „Folge dem Kollektiv“ zu beachten, das alle gesellschaftlichen Streitigkeiten in Ordnung bringt. Somit ist dieses Gesetz das einzige Instrument, das der Gesellschaft Nachhaltigkeit verleiht. Aus diesem Grund wird es als eines der natürlichen Mizwot [Gebote] der Vorsehung betrachtet. Und wir müssen es akzeptieren und peinlich genau einhalten, unabhängig von unserem Verständnis.
Dies ist ähnlich wie bei den übrigen Mizwot der Tora: Sie alle entsprechen Naturgesetzen, die von Oben nach unten zu uns gelangen. Ich habe bereits beschrieben („Die Essenz der Weisheit der Kabbala“, „Das Gesetz von Wurzel und Zweig“), dass die gesamte Realität, die in der Natur dieser Welt gesehen wird, nur deshalb existiert, weil Gesetze und Verhaltensweisen der Höheren spirituellen Welten erweitert und übernommen werden.
Jetzt versteht man, dass die Mizwot der Tora Gesetze und Verhaltensweisen abbilden, die in Höheren Welten festgelegt wurden und somit als Wurzeln aller Verhaltensweisen in der Natur unserer Welt gelten. Daher stimmen die Gesetze der Tora immer mit den Gesetzen der Natur in dieser Welt überein wie zwei Wassertropfen. Somit wurde bewiesen, dass das Gesetz „Folge dem Kollektiv“ ein Gesetz der Vorsehung bzw. der Natur ist.
Ein Weg der Tora und ein Weg des Leidens
Doch dies klärt noch nicht unsere Frage nach dem Rückschritt, der sich aus diesem Gesetz ergibt. Aber wir wollen unbedingt Wege finden, um diesen Widerspruch zu beheben. Deswegen ist die Vorsehung aber kein Verlierer, denn sie umschließt die Menschheit auf zwei Wegen: dem „Weg der Tora“ und dem „Weg des Leidens“. Somit sind die kontinuierliche Entwicklung und der Fortschritt der Menschheit in Richtung Ziel ohne Vorbehalte gewährleistet („Der Friede“). In der Tat ist die Befolgung dieses Gesetzes eine natürliche und notwendige Verpflichtung.
Das Recht des Kollektivs, dem Einzelnen die Freiheit zu entziehen
Wir müssen weiter analysieren: Die Dinge sind gerechtfertigt, wenn es um Angelegenheiten zwischen Menschen geht. Dann können wir das Gesetz „Folge dem Kollektiv“ akzeptieren, und zwar durch die Verpflichtung der Vorsehung, uns immer um das Wohlergehen und das Glück der Gesellschaft zu kümmern. Doch die Tora verpflichtet uns, das Gesetz „Folge dem Kollektiv“ auch bei Streitigkeiten zwischen dem Menschen und dem Schöpfer zu befolgen, obwohl diese Angelegenheit scheinbar nichts mit der Gesellschaft zu tun hat.
Die Frage bleibt also bestehen: Wie können wir dieses Gesetz rechtfertigen, das uns verpflichtet, die Ansichten der Mehrheit zu akzeptieren, die bekanntlich unentwickelt ist, und die Ansichten der Entwickelten zu verwerfen, die immer die Minderheit bilden?
Wie wir im zweiten Traktat aufzeigten, wurden Tora und Mizwot nur gegeben, um Israel zu reinigen. Und um in uns den Sinn für die Erkenntnis des Bösen zu entwickeln, das uns bei der Geburt eingeprägt wurde und allgemein als unsere „Selbstliebe“ definiert wird. Es dient dazu, zum absoluten Guten zu kommen, das als „Nächstenliebe“ definiert wird und die der einzige Weg zur Schöpferliebe ist.
Dementsprechend werden die Mizwot zwischen Mensch und Schöpfer als Werkzeuge betrachtet, die den Menschen von der für die Gesellschaft schädlichen Selbstliebe abtrennen. Somit hängen die Streitfragen zu den Mizwot zwischen Mensch und Schöpfer mit dem Problem dem Existenzrecht der Gesellschaft zusammen und fallen ebenfalls in den Rahmen von „Folge dem Kollektiv“.
Jetzt verstehen wir den Unterschied zwischen Halacha [jüdisches Gesetz] und Agada [Legenden]. Denn nur in den Halachot [Plural für Halachah] gilt das Gesetz, „individuell und kollektiv, Halacha [Gesetz] als das Kollektiv“. In der Agada ist das nicht so, denn ihre Angelegenheiten stehen über jenen, welche die Existenz der Gesellschaft betreffen. Sie befassen sich mit dem Verhalten der Menschen in Angelegenheiten, die den Menschen und den Schöpfer betreffen, also mit jenem Teil, in welchem die Existenz und das physische Glück der Gesellschaft keine Bedeutung haben.
Es gibt also keine Rechtfertigung für das Kollektiv, die Meinung des Einzelnen für nichtig zu erklären, und „jeder wird das tun, was in seinen Augen richtig ist“. Doch die Halachot, die sich mit der Einhaltung der Mizwot der Tora befassen, stehen unter der Aufsicht der Gesellschaft, da es keine Ordnung geben kann, außer durch das Gesetz: „Folge dem Kollektiv.“
Für das soziale Leben in der Gesellschaft gilt „Folge dem Kollektiv“
Jetzt verstehen wir den Ausspruch über die Freiheit des Einzelnen. Es stellt sich in der Tat eine Frage: Woher nimmt das Kollektiv das Recht, dem Einzelnen die Freiheit zu nehmen und ihm somit das Wertvollste im Leben vorzuenthalten? Es scheint, als gäbe es hier nur rohe Gewalt.
Doch wie wir oben darlegten, handelt es sich um ein natürliches Gesetz und um ein Dekret der Vorsehung. Und weil die Vorsehung jeden von uns zwingt, ein soziales Leben zu führen, folgt daraus, dass jeder Mensch die Existenz und das Wohlergehen der Gesellschaft sichern muss. Dies kann nur geschehen, indem man sich das Verhalten „Folge dem Kollektiv“ auferlegt und die Meinung des Einzelnen ignoriert.
Dies ist der Ursprung jedes Rechts und jeder Rechtfertigung des Kollektivs, dem Einzelnen gegen seinen Willen die Freiheit zu nehmen und ihn unter seine Autorität zu stellen. Es versteht sich also von selbst, dass das Kollektiv bei Angelegenheiten, die nicht die Existenz des materiellen Lebens der Gesellschaft betreffen, keine Rechtfertigung hat, die Freiheit des Einzelnen in irgendeiner Weise zu rauben und zu missbrauchen. Denn dann wären sie wie Räuber und Diebe, die die rohe Gewalt über jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der Welt stellen, da hier die Verpflichtung des Einzelnen, dem Willen des Kollektivs zu gehorchen, nicht gilt.
Für das spirituelle Leben gilt „Folge dem Individuum“
Was das spirituelle Leben betrifft, ist der Einzelnen somit nicht verpflichtet, sich in irgendeiner Weise nach der Gesellschaft zu richten. Im Gegenteil gilt hier ein natürliches Gesetz, worauf sich das Kollektiv dem Individuum unterzuordnen hat. Und in dem Artikel „Der Friede“ wird klargestellt, dass es zwei Wege gibt, mit welchen uns die Vorsehung umgeben hat, um uns zur Vollendung zu bringen: Einen Weg des Leidens, der uns unbewusst auf diese Weise entwickelt, und einen Weg der Tora und der Weisheit, der uns bewusst auf diese Weise entwickelt, ohne jegliche Qual oder Zwang.
Da es sich bei den am weitesten Entwickelten in der Generation sicherlich um einzelne Individuen handelt, folgt daraus, dass die Menschen keine andere Wahl haben, als sich und ihre körperliche Freiheit der Disziplin des Einzelnen zu unterwerfen und den Befehlen und Heilmitteln zu gehorchen, die er ihnen anbietet, wenn sie sich von den schrecklichen Qualen befreien und eine bewusste und freiwillige Entwicklung annehmen wollen, was der Weg der Tora ist.
Wir sehen also, dass in spirituellen Angelegenheiten die Autorität des Kollektivs außer Kraft gesetzt ist und das Gesetz gilt, sich nach dem (entwickelten) Individuum zu richten. Denn bekanntlich bilden die entwickelten und gebildeten Menschen in jeder Gesellschaft immer eine sehr kleine Minderheit. Daraus folgt, dass der Erfolg und das spirituelle Wohlergehen der Gesellschaft in den Händen der Minderheit liegen.
Daher ist das Kollektiv verpflichtet, alle Ansichten der Wenigen sorgfältig zu bewahren, damit sie nicht aus der Welt verschwinden. Denn sie müssen sicher sein, im vollen Vertrauen darauf, dass die wahren und gereiften Ansichten niemals in den Händen des herrschenden Kollektivs liegen, sondern in den Händen der Schwächsten, das heißt in den Händen der unmerklichen Minderheit. Denn jede Weisheit und alles Wertvolle kommen in kleinen Mengen auf die Welt. Deshalb sind wir angehalten, die Ansichten aller Individuen zu bewahren, da das Kollektiv nicht in der Lage ist, sie auszusortieren.
Kritik bringt Erfolg, mangelnde Kritik führt zu Dekadenz
Wir müssen noch hinzufügen, dass die Wirklichkeit uns einen extremen Gegensatz zwischen den physischen Dingen und den Konzepten und Ideen in Bezug auf das obige Thema vor Augen führt. Denn die soziale Einheit, die die Quelle jeder Freude und jedes Erfolges sein kann, bezieht sich besonders auf die Körper und die körperlichen Dinge in den Menschen, und jegliche Trennung ist die Quelle jedes Unglücks.
Bei Konzepten und Ideen ist es jedoch umgekehrt: Vereinheitlichung und mangelnde Kritik werden als Quelle jedes Misserfolgs und als Hindernis für jeglichen Fortschritt und intellektuelle Befruchtung angesehen. Denn die richtigen Schlüsse zu ziehen, hängt vor allem von der Vielfalt der Meinungsverschiedenheiten und Ansichten ab. Je mehr Widersprüche zwischen den Ansichten bestehen und je mehr Kritik es gibt, desto mehr nehmen Wissen und Weisheit zu, wodurch alle Dinge besser geprüft und geklärt werden können.
Degeneration und Versagen der Intelligenz sind nur auf das Fehlen von Kritik und Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen. Es ist also offensichtlich, dass der gesamte physische Erfolg ein Maß für die Einheit der Gesellschaft ist. Und Trennung und Uneinigkeit unter ihnen sind die Basis für den Erfolg von Intelligenz und Wissen. Wenn die Menschheit ihr Ziel in Bezug auf den Erfolg der Körper erreicht, indem sie sich auf die Stufe der vollkommenen Liebe zu anderen bringt, werden sich alle Körper in der Welt zu einem einzigen Körper und einem einzigen Herzen vereinen, wie im Artikel „Der Frieden“ beschrieben. Erst dann wird das ganze Glück, das der Menschheit zugedacht ist, in seiner ganzen Herrlichkeit offenbar werden.
Aber wir müssen darauf achten, die Ansichten der Menschen nicht zu sehr einander anzunähern, sodass Uneinigkeit und Kritik unter den Weisen und Gelehrten ein Ende finden. Denn die Liebe zum Körper bringt natürlich eine Annäherung der Ansichten mit sich. Und wenn Kritik und Meinungsverschiedenheiten verschwinden, wird auch jeder Fortschritt in den Konzepten und Ideen enden und die Quelle des Wissens in der Welt wird versiegen.
Dies ist der Beweis für die Verpflichtung, mit der Freiheit des Individuums in Bezug auf Konzepte und Ideen vorsichtig zu sein. Denn die gesamte Entwicklung der Weisheit und des Wissens basiert auf dieser Freiheit des Individuums. Wir sind verpflichtet, sie sehr sorgfältig zu bewahren, und zwar in der Weise, dass jede Form in uns, die wir als „individuell“ bezeichnen, was die besondere Kraft eines einzelnen Menschen ausdrückt, allgemein als Wille zu empfangen bezeichnet wird.
Das Erbe der Vorfahren
Alle Einzelheiten der Bilder, die dieser Wille zu empfangen enthält, haben wir als die Grundlage oder den ersten Faktor definiert. Er umfasst alle von den Vorfahren ererbten Neigungen und Gewohnheiten, die wir uns als eine lange Kette von Tausenden von Menschen vorstellen, die einst lebten und übereinander stehen. Und jeder ist ein wesentlicher Tropfen seiner Vorfahren, der jedem Menschen alle spirituellen Besitztümer der Vorfahren in das „Unterbewusstsein“ legt. So besitzt das Individuum in seinem Unterbewusstsein sämtliche spirituellen Hinterlassenschaften aller Vorfahren und Ahnen, die diese Kette bilden.
So wie sich die Gesichter aller Menschen unterscheiden, so unterscheiden sich auch deren Ansichten. Es gibt keine zwei Menschen auf der Erde, deren Ansichten identisch sind. Denn jeder Mensch hat einen großen und erhabenen Besitz, der ihm von seinen Vorfahren hinterlassen wurde und von dem die anderen keinen Funken haben.
Daher werden all diese Besitztümer als Eigentum des Einzelnen betrachtet, und die Gesellschaft wird ermahnt, deren Geschmack und Geist zu bewahren, damit sie nicht durch ihre Umgebung verwässert werden. Vielmehr sollte jeder Einzelne die Vollkommenheit seines Erbes bewahren. Dann bleiben Widersprüche und die Gegensätzlichkeit zwischen ihnen für immer bestehen, wodurch Kritik und Fortschritt der Weisheit auf ewig gesichert sind. Dies ist der ganze Gewinn der Menschheit und ihr wahrer ewiger Wunsch.
Nachdem wir nun in einem bestimmten Maß festgestellt haben, dass der Egoismus des Menschen, der als eine Kraft und ein Verlangen zu empfangen gilt, den wesentlichen Punkt des Seins darstellt, ist uns auch der ursprüngliche Besitz eines jeden Körpers klar geworden, den wir als „Erbe der Vorfahren“ definierten. Gemeint sind alle potentiellen Neigungen und Eigenschaften, die durch Vererbung in seine Grundlage gelangten, die die erste Substanz eines jeden Menschen darstellt, also den ursprünglichen Samen seiner Vorväter.
Wir fanden die Tür, um die Absicht unserer Weisen zu klären, indem sie sagten, dass sie durch den Empfang der Tora vom Engel des Todes befreit wurden. Wir müssen jedoch noch mehr über den Egoismus und das oben erwähnte Erbe der Vorfahren erfahren.
Zwei Aspekte: A) Potentielle Kraft, B) Verwirklichende Kraft
Erstens müssen wir verstehen, dass dieser Egoismus, den wir als die Kraft des Willens zu empfangen definierten, zwar das eigentliche Wesen des Menschen darstellt, dass er aber in Wirklichkeit keine Sekunde lang existieren kann (Denn es gibt bekanntlich eine Unterscheidung und was wir „potentiell“ nennen, befindet sich im Gedanken, bevor es verwirklicht wird). Denn das, was wir „potentiell“ nennen, existiert nur in unseren Gedanken; das heißt, dass wir es nur durch unsere Gedanken festlegen können.
Aber tatsächlich gibt es keine reale Kraft in der Welt, die schläft und untätig ist, denn die Kraft existiert nur dann wirklich, wenn sie sich in Handlungen zeigt. Genauso wenig kann man von einem Kleinkind behaupten, es sei sehr stark, wenn es nicht einmal das leichteste Gewicht heben kann. Stattdessen kann man sagen, dass dieses Kleinkind große Stärke zeigen wird, wenn es heranwächst.
Doch die Kraft, die wir im erwachsenen Menschen finden, ist bereits in den Organen und dem Körper des Kleinkinds vorhanden, jedoch verborgen und nicht offensichtlich. Es ist wahr, dass wir in unserem Verstand die Kräfte festlegen, die dazu bestimmt sind, sich zu manifestieren, da der Verstand sie umsetzt. Aber im realen Körper des Kleinkinds gibt es keine Kraft, die sich in seinen Handlungen manifestieren würde. Denn in den Handlungen des Kleinkinds enthüllte sich keine Kraft.
So ist es auch mit dem Appetit. Wenn die Organe nichts aufnehmen können, weil man satt ist, wird diese Kraft im Körper des Menschen nicht realisiert. Aber dennoch existiert diese Kraft des Appetits verborgen im Körper. Nach einiger Zeit, wenn die Nahrung verdaut ist, taucht sie wieder auf wird von einer potentiellen zu einer verwirklichenden Kraft.
Und dieses Gesetz – eine Kraft zu bestimmen, die sich in Wirklichkeit noch nicht gezeigt hat – gehört auch zum Prozess eines sich entwickelnden Gedankens. In Wirklichkeit existiert sie jedoch nicht, denn im Zustand der Sättigung spüren wir sehr deutlich, dass die Kraft des Appetits verschwunden ist, und wenn man danach sucht, wird man sie nicht finden.
Es zeigt sich, dass wir ein Potenzial nicht als etwas darstellen können, das an und für sich existiert, sondern nur als Prädikat. Sobald also eine Handlung in der Realität stattfindet, manifestiert sich die Kraft zu diesem Zeitpunkt in der Handlung.
Dennoch finden wir hier im Wahrnehmungsprozess notwendigerweise zwei Dinge: ein Subjekt und ein Prädikat, die potenzielle und die verwirklichende Kraft, wie die Kraft des Appetits, die das Subjekt ist, und das Bild der Nahrung, das das Prädikat und die Handlung darstellt. In Wirklichkeit sind sie jedoch eine Einheit. Niemals wird die Kraft des Appetits in einem Menschen auftauchen, ohne dass er sich die Speise vorstellt, die er essen möchte. Es handelt sich also um zwei Hälften ein und derselben Sache. Die Kraft des Appetits muss sich in das Bild der Speise kleiden, da Enthüllung nur durch Einkleidung in ein Bild erfolgt. Wir sehen, dass Subjekt und Prädikat hier als zwei Hälften desselben Dings dargestellt werden, deren Erscheinen und Verschwinden gleichzeitig stattfinden.
Der Wille zu empfangen, den wir als Egoismus dargestellt haben, existiert in einer Person nicht als begehrende Kraft, die in Form eines passiven Prädikats empfangen möchte. Er bezieht sich vielmehr auf das Subjekt – er kleidet sich in das Bild von Dingen, die er als begehrenswert erachtet. Wie die Kraft des Appetits, die sich in das Bild einer begehrenswerten Speise kleidet und deren Handlung in Form der Speise erscheint, in die sie sich kleidet. Wir nennen diese Handlung „Verlangen“, es ist die Kraft des Appetits, die sich in der Handlung der Vorstellung offenbart.
So verhält es sich mit unserem Thema, dem allgemeinen Willen zu empfangen, der das eigentliche Wesen des Menschen ausmacht. Er erscheint und existiert nur, indem er sich in die Form von Objekten kleidet, die man haben möchte. Denn dann existiert er als Subjekt und als nichts anderes. Wir nennen diese Handlung „Leben“. Es ist die Lebenskraft des Menschen, das heißt, dass sich die Kraft des Willens zu empfangen in die gewünschten Objekte kleidet und darin wirkt. Und das Maß der Offenbarung dieser Handlung ist das Maß seines Lebens, wie wir anhand der Handlung, die wir „Verlangen“ nennen, erklärt haben.
Zwei Schöpfungen: A) Der Mensch, B) Eine lebende Seele
Aus den obigen Ausführungen können wir den Vers verstehen: „Und Gott, der Herr, formte den Menschen aus dem Staub der Erde und blies in seine Nase den Odem des Lebens, und der Mensch wurde eine lebendige [Chaya] Seele [Nefesh].“ Hier finden wir zwei Schöpfungen: Den Menschen selbst und die lebendige Seele selbst.
Der Vers besagt, dass der Mensch am Anfang als Staub aus der Erde erschaffen wurde, als eine Ansammlung von Elementen, in denen das Wesen des Menschen – sein Wille zu empfangen – liegt. Diese Kraft, der Wille zu empfangen, ist in jedem Element der Wirklichkeit vorhanden, wie wir oben erklärten. Außerdem gingen alle vier Stufen aus ihm hervor: 1) unbelebt, 2) pflanzlich, 3) tierisch, 4) sprechend.
In dieser Hinsicht hat der Mensch keinen Vorteil gegenüber einem anderen Teil der Schöpfung. Das ist die Bedeutung der Worte „Staub von der Erde“.
Doch diese Kraft, die Wille zu empfangen genannt wird, kann nicht existieren, ohne sich in ein gewünschtes Objekt zu kleiden und zu handeln, und diese Handlung wird „Leben“ genannt. Der Mensch wird solange als leblos und tot betrachtet, bis er die menschlichen Formen des Empfangens von Genüssen erlangt, die sich von denen anderer erschaffener Wesen unterscheidet. Denn sein Wille zu empfangen hat keinen Ort, in den er seine Handlungen – die Manifestationen des Lebens – kleiden kann.
Das ist die Bedeutung des Verses „und blies in seine Nase den Odem des Lebens“, was die allgemeine, für den Menschen geeignete Form des Empfangens ist. Das Wort Nishmat [Lebensatem] kommt von dem Wort Shamin [den Boden für ihn bereiten], was wie „Wert“ ist. [Und der Ursprung des Wortes „Atem“ wird aus dem Vers (Hiob 33:4) verstanden: „Der Geist Gottes erschuf mich, und der Atem des Allmächtigen gab mir Leben“, und siehe den Kommentar des MALBIM dort]. Das Wort „Seele“ [Neshama] hat die gleiche syntaktische Struktur wie die Wörter „fehlend“ [Nifkad], „angeklagt“ [Ne’esham] und „angeklagt“ [Ne’eshama – weiblicher Begriff von Ne’esham].
„Und blies in seine Nase“ bedeutet, dass Er eine Seele [Neshama] und eine Wertschätzung des Lebens in seine Inneres einflößte. Es ist die Summe der Formen, die es wert sind, in seinem Willen zu empfangen empfangen zu werden. Denn damit fand diese Kraft – also der Wille zu empfangen, eingeschlossen in seine Elemente – einen Ort, in den sie sich kleiden und handeln kann; das sind jene Formen des Empfangens, die der Mensch vom Schöpfer erhalten hat. Und diese Handlung wird „Leben“ genannt, wie wir oben erklärt haben.
Und der Vers endet: „und der Mensch wurde eine lebendige Seele“. Das bedeutet, dass, da der Wille zu empfangen durch die Maßnahmen dieser Formen zu wirken begann, sich das Leben sofort in ihm manifestierte und er „eine lebendige Seele wurde“. Vor dem Erreichen dieser Formen zu empfangen jedoch – und obwohl die Kraft des Willens zu empfangen in ihm eingeprägt war – wird er immer noch als lebloser Körper ohne Leben betrachtet, da er keinen Ort hat, an dem er erscheinen und sich in Handlungen manifestieren kann.
Wie wir oben gesehen haben, ist das Wesen des Menschen zwar nur der Wille zu empfangen, aber es wird dennoch als die Hälfte eines Ganzen aufgefasst, da es sich in eine reale Form kleiden muss. Aus diesem Grund sind das Wesen und das Bild des Besitzes, das es beschreibt, buchstäblich eins, denn sonst könnte es nicht einmal einen Augenblick lang existieren.
Wenn sich also die Maschine des Körpers auf ihrem Höhepunkt befindet, das heißt in seinem mittleren Alter, steht sein Ego in seiner ganzen Größe aufrecht, die ihm bei der Geburt eingeprägt wurde. Daher spürt der Mensch in sich ein großes und mächtiges Maß an Willen zu empfangen. Er sehnt sich nach großem Reichtum, viel Ehre und allem, was ihm in den Weg kommt. Das liegt an der Vollkommenheit des menschlichen Egos, das Formen von Strukturen und Konzepten anzieht, in die es sich kleidet und durch die es sich selbst aufrechterhält.
Aber nachdem die Hälfte seines Lebens vorbei ist, beginnen die Tage des Niedergangs. Ihrem Inhalt nach sind dies die Tage des Sterbens. Der Mensch stirbt nämlich nicht in einem Augenblick, so wie er sein Leben nicht in einem Augenblick erhalten hat. Vielmehr schwindet seine Kerze – sein Ego – allmählich, und mit ihr sterben die Bilder der Besitztümer, die er empfangen will.
Er beginnt, viele Dinge aufzugeben, von denen er in seiner Jugend geträumt hatte, und er verzichtet allmählich auf große Güter, je nachdem, wie er im Laufe der Jahre verfällt. Und wenn er schließlich alt ist und der Schatten des Todes über seinem ganzen Wesen schwebt, befindet sich der Mensch in „Zeiten ohne Anreiz“, da sein Ego verkümmert ist. Nur ein winziger Funke bleibt übrig, verborgen vor dem Auge – eingekleidet in irgendeinem Besitz. Daher gibt es in diesen Tagen keinen Reiz und keine Hoffnung auf ein Bild des Empfangens.
Wir haben also bewiesen, dass der Wille zu empfangen und das Bild des Objekts, das empfangen werden soll, ein und dasselbe sind. Ihre Manifestation, ihre Größe und die Länge ihres Lebens sind gleich.
Jedoch in der Zeit des Verfalls des Lebens gibt es einen signifikanten Unterschied in der Art des Loslassens. Dieses Loslassen ist nicht das Ergebnis einer Sättigung, wie ein Mensch, der vom Essen satt wurde, sondern ein Ergebnis der Verzweiflung. Wenn das Ego in den Tagen des Niedergangs zu sterben beginnt, spürt es seine eigene Schwäche und den nahenden Tod. Deshalb lässt der Mensch los und gibt die Träume und Hoffnungen seiner Jugend auf.
Man beachte sorgfältig den Unterschied zu dem Loslassen aus Sättigung, das keinen Kummer verursacht und auch nicht „teilweiser Tod“ genannt werden kann. Es gleicht vielmehr einem Arbeiter, der sein Werk vollendet hat. Deshalb ist das Loslassen aus Verzweiflung voller Schmerz und Leid und kann daher als „teilweiser Tod“ bezeichnet werden. Und verstehe dies gut.
Freiheit vom Engel des Todes
Nach all dem, was wir gelernt haben, verstehen wir nun wirklich die Worte unserer Weisen, als sie sagten: „Charut – in Stein [gemeißelt], sprich nicht Charut, sondern Cherut [Freiheit], denn sie sind vom Engel des Todes befreit worden.“
In den Artikeln „Matan Tora“ und „Arvut“ wurde erklärt, dass sie vor der Gabe der Tora auf sich nahmen, auf jegliches Privateigentum in dem Maße zu verzichten , wie es in den Worten „ein Königreich von Priestern“ zum Ausdruck kommt, und sie nahmen das Ziel der gesamten Schöpfung an, sich an Ihn durch die Angleichung an Seine Form anzuhaften: Wie Er gibt und nicht empfängt, so werden auch sie geben und nicht empfangen. Dies ist die letzte Stufe der Dwekut [Anhaftung], ausgedrückt in den Worten „ein heiliges Volk“, wie es am Ende des Artikels „Arvut“ geschrieben steht.
Ich gab bereits zu verstehen, dass das Wesen des Menschen, also sein Egoismus, der als Wille zu empfangen definiert wird, nur eine halbe Sache ist und nur existieren kann, wenn er sich in ein Bild des Besitzes oder in die Hoffnung auf Besitz kleidet. Nur dann ist unsere Materie vollständig und kann „Wesen des Menschen“ genannt werden, und nicht anders.
Als die Kinder Israels bei diesem heiligen Anlass mit vollkommener Dwekut belohnt wurden, waren ihre Empfangsgefäße völlig jeglichen weltlichen Besitzes entleert und Ihm in gleichwertiger Form angehaftet. Das bedeutet, dass sie kein Verlangen nach irgendeinem Besitz hatten. Sie nutzen ihr Verlangen nur in dem Maße, in dem sie Zufriedenheit schenken konnten, so dass ihr Schöpfer sich an ihnen erfreuen würde.
Und da sich ihr Wille zu empfangen in ein Bild dieses Objekts gekleidet hatte, hatte er selbst sich in dieses Objekt gekleidet und sich mit ihm zu einer vollständigen Einheit verbunden. Daher waren sie sicherlich vom Engel des Todes befreit, denn der Tod ist notwendigerweise die Abwesenheit der Existenz von etwas. Aber solange es auch nur einen Funken gibt, der zu seinem eigenen Vergnügen existieren will, kann man sagen, dass dieser Funke nicht existiert, weil er abwesend geworden und gestorben ist.
Wenn es aber keinen solchen Funken im Menschen gibt, sondern alle Funken seines Selbst sich in das Schenken von Zufriedenheit an ihren Schöpfer kleiden, wird er weder abwesend noch stirbt er. Denn selbst wenn der Körper stirbt, ist er nur in Bezug auf die Selbstwahrnehmung tot. Denn in sie ist der Wille zu empfangen gekleidet und nur in ihr kann er existieren.
Wenn er jedoch das Ziel der Schöpfung erreicht hat und der Schöpfer an ihm Gefallen findet, weil Sein Wille erfüllt ist, wird dem Wesen des Menschen, das sich in Seine Zufriedenheit kleidet, die vollkommene Ewigkeit gewährt. So wurde der Mensch mit der Freiheit vom Engel des Todes belohnt. Dies ist die Bedeutung der Worte des Midrash (Midrash Rabbah, Shemot, 41): „Freiheit vom Engel des Todes“. Und in der Mishna (Avot, Kapitel 6): „In Steintafeln gemeißelt (charut al haLuchot)„. Lies nicht „charut“ („gemeißelt“), sondern „cherut“ („Freiheit“). Denn niemand ist frei, wenn er sich nicht mit dem Studium der Tora beschäftigt.
überarbeitet, EY, 21.04.2024
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