Kabbala Chronik

Ha Uma – Das Volk

Im Israel des Jahres 1940 (damals Palästina genannt) war eine kabbalistische Publikation ein ungewöhnliches Unterfangen. Die Weisheit der Kabbala war für beinahe zwei Jahrtausende verborgen und nur einigen wenigen zugänglich. Doch am 5. Juni 1940 entschied Rabbi Yehuda Ashlag (1884-1954), einer der bekanntesten Kabbalisten des zwanzigsten Jahrhunderts, dass es Zeit für eine Veränderung war. Rav Ashlag, der wegen seines maßgebenden Sulam Kommentars (Leiter) im Buch Sohar auch Baal HaSulam (Herr der Leiter) genannt wurde, veröffentlichte damals die erste kabbalistische Zeitung der Geschichte unter dem Titel Das Volk (HaUma).

Das Volk war zwar für jedermann gedacht, doch trotz Baal HaSulams Anstrengung waren Sprache und Ausdruck für die meisten Leser zu komplex. Dennoch war Baal HaSulams Handeln höchst unorthodox, wenn nicht sogar revolutionär. Doch Baal HaSulam war nicht der einzige, der sich um eine Enthüllung der Kabbala für die Öffentlichkeit bemühte. Der erste Oberrabbiner Israels, Rav Avraham Kook (1865-1935), unterstrich ebenfalls, dass die Generation reif und bereit für die Weisheit der Kabbala sei.

Baal HaSulam stellte sich eine globale Gesellschaft vor, die in Übereinstimmung mit der Höheren Kraft auf Teilen und gegenseitigem Geben beruhte. In der Kabbala gilt die Höhere Kraft als Synonym für das „allumfassende Naturgesetz des Gebens“. Ashlag vertrat die Auffassung, dass je länger wir die Gründung einer solchen Gesellschaft aufschöben, umso mehr Schwierigkeiten über die Menschheit hereinbrächen. Wendeten wir bewusst die Spielregeln der Natur auf die menschliche Gesellschaft an, könnten wir unvorstellbare Höhen erreichen; wir würden Ewigkeit und Vollkommenheit erlangen und im Einklang mit der Höheren Kraft sein.

Das war die wesentliche Botschaft von Das Volk. Leider war Baal HaSulams Generation doch noch nicht ganz bereit dafür. Und nach der ersten Auflage untersagte die britische Behörde jede weitere Veröffentlichung, da sie darin fälschlicherweise eine Unterstützung des Kommunismus vermutete.

Seither sind viele Jahre vergangen, doch die Realität beweist die Richtigkeit von Ashlags Prophezeiungen. Seine Vorhersagen betreffend den Zerfall der USSR, die wachsende Entfremdung unter den Völkern und den Menschen, die Globalisierung oder die atomare Bedrohung bewahrheiteten sich voll und ganz. Die gute Nachricht ist: Die Veröffentlichung der Kabbala wurde ebenso zu einer unumstößlichen Tatsache.

Rambam (Maimonides) schrieb darüber, dass, als sich zu Zeiten Babylons die ganze Menschheit dem Götzendienst verschrieben hatte, nur ein einziger Mann nicht dieser Strömung folgte. Sein Name war Abraham. Er überlegte und suchte, bis er die Wahrheit gefunden hatte: Dass nur Einer die Welt lenkte. Dadurch wurde ihm bewusst, dass er die ewige Wahrheit des Lebens erkannt hatte und diese Erkenntnis nun mit der Welt teilen müsse. Seit damals verfügt die Welt über eine Methode, die diese Wahrheit enthüllt. Diese Methode trägt heute den Namen Kabbala. Wenn wir unsere Herzen öffnen, wird sie uns lehren, warum Dinge so geschehen, wie sie es tun und wie man sie verbessern kann.

Vergangenheit

Im ersten Kapitel von Die Mächtige Hand beschreibt Rambam die Zeiten, als es für die Menschen nur eine lenkende Kraft in der Welt gab. Als die Menschen dies vergaßen, kannte niemand mehr die Wahrheit und man begann zu glauben, dass viele verschiedene Kräfte in der Welt wirkten, jede für ein bestimmte Aufgabe – Nahrung, Fortpflanzung, Reichtum, Gesundheit etc. Doch man verstand nicht mehr, wie sich all diese Kräfte in einen einzigen Kreislauf einfügten und denselben Regeln des Erscheinens und Verschwindens, Leben und Tod, gehorchten. Durch das Beobachten der Natur entdeckte Abraham, dass es wahrlich nur eine einzige Kraft gab und alle anderen Dinge Teile ihrer Manifestation waren.

Er begann seine Erkenntnisse zu verbreiten. Abraham stellte sich der Herausforderung, eine Lehrmethode zu entwickeln, die im krassen Gegensatz zu den damaligen Auffassungen stand. Es war der Prototyp der Lehre der Kabbala (aus dem Hebräischen lekabel – empfangen). Heute lehrt uns die Kabbala, wie wir diese einzige lenkende Kraft enthüllen und dadurch endlose Freude und Vergnügen empfangen können.

Abrahams Entdeckung war kein Zufall; es war der perfekte Zeitpunkt, um dem ausbrechenden Egoismus entgegenzutreten, der den Zustand der Liebe und Einheit, der bis dahin unter den Menschen geherrscht hatte, zu zerstören drohte. Das meint die Bibel mit den Worten „Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte“ (Genesis 11:1).

Einheit oder Altruismus ist eine mächtige Kraft – sie kann unbesiegbar machen. Bis zum Zeitpunkt des Turmbaus zu Babel war dies allen klar. Jeder wusste um diese Kraft und lebte mit ihr im Einklang. Die Menschen nahmen sie als Teil ihres Lebens wahr; sie mussten nicht an ihrer Verbindung arbeiten, da sie der Eigennutz noch nicht voneinander getrennt hatte. Das meint die Bibel mit „gleicher Sprache“ und „gleichen Worte“.

Sobald die Menschen aber ihren Egoismus zu entwickeln begannen, wollten sie ihr mächtigstes Instrument – Einigkeit – zu ihrem eigenen Vorteil nützen. Der Herr sprach daraufhin: „Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle… Jetzt wird für sie nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen“ (Genesis 11:6).

Um die Menschheit vor ihrem eigenen Egoismus zu retten, gibt es zwei Wege: Die Menschen auseinander zutreiben und so einen katastrophalen Konflikt der Eigeninteressen zu verhindern, oder die Menschen zu lehren, ihren Egoismus zu überwinden.

Die letztere Möglichkeit hatte einen entscheidenden Vorteil: Wenn sie lernten, sich trotz ihres wachsenden Egoismus zu verbinden, würden die Menschen ein tieferes Bewusstsein von sich und ihrem Schöpfer erlangen. Doch dazu würden sie den Schöpfer studieren müssen, da ihr ursprünglicher Zustand der Einheit unter ihrem neu entstandenen Egoismus zusammengebrochen war.

Aus diesem Grund enthüllte sich der Schöpfer gegenüber Abraham. Und daher wurde Abraham zu solch einem begeisterten Verbreiter dieser Methode. Er wusste: Entweder würde er die Menschen lehren, oder sie würden sich weiter voneinander entfernen und in alle Winde zerstreut werden.

Wie wir sowohl aus der Bibel als auch aus dem althebräischen Text, Midrash Raba, Parasha 38, wissen, verschmähten die Babylonier Abrahams Angebot. Er flüchtete aus Babylon und begann zu lehren, während er „von Stadt zu Stadt, und von Königreich zu Königreich wanderte, bis er das Land Israel erreichte“ (Maimonides, Die Mächtige Hand, Kapitel 1).

Trotz vieler Mühsal und Erschwernis bekamen Abrahams Lehren Unterstützung; und jene, die ihn unterstützten, halfen ihm, das Wissen mit anderen zu teilen und neue Schüler anzuwerben. Mit der Zeit wurde aus einem einsamen Kämpfer ein Volk – das Volk Israel. Israel, so erklärt der große Kabbalist Ramchal im Kommentar zu den Schriften ist eine Kombination von zwei Worten; Yashar (direkt) und El (Schöpfer). Unter dem Volk Israel versteht man jene, die einen Wunsch im Herzen tragen; so zu sein wie der Schöpfer, vereinigt durch Altruismus und gegensätzlich zu ihren babylonischen Zeitgenossen.

Der Zusammenbruch des Turmes zu Babel war eigentlich nicht das Ende der Geschichte sondern vielmehr der Anfang. Der Egoismus der Menschen wuchs weiter, obwohl ihn die Menschen überwinden hätten können und so eine tiefere Erkenntnis erlangen würden. Für jene, die Egoisten bleiben wollten, bedeutete dies eine weitere Entfremdung. Neue Völker entstanden und neue Technologien entwickelten neue Waffen. Diese dienten den Völkern zum Schutz voreinander oder um sich gegenseitig zu unterjochen.

Doch für jene, die ihr Ego überwinden wollten, war eine Weiterentwicklung ihrer Lehrmethode notwendig. Hier kam Moses zum Einsatz. Wie im Fall Babel musste man dem zunehmenden Egoismus durch Flucht entkommen. Doch der Pharao war nicht einfach ein böser König. Er brachte Israel eigentlich näher zum Schöpfer (zumindest jene, die das wollten). In der Kabbala bedeutet der Pharao den Inbegriff des Egoismus. Der einzige Weg, ihm zu entkommen, ist die Vereinigung – sie macht den Menschen unbesiegbar und bringt ihn näher zum Schöpfer. Um den Pharao zu besiegen, kam Moses nach seiner Flucht nach Ägypten zurück und einte die Menschen mit derselben Idee, wie es Abraham vor ihm tat – und verhalf den Menschen noch einmal zur Flucht.

Doch diesmal besiegte Israel einen noch größeren und mächtigeren Egoismus. Der Pharao war nicht wie König Nimrod von Babel; er konnte nicht durch einen einzigen entschlossenen Mann vernichtet werden. Es würde ein ganzes geeintes Volk brauchen, ihn zu überwinden. Als systematische Lehrunterlage für das ganze Volk dienten die Fünf Bücher Moses‘ (Pentateuch), welche eine Umarbeitung der Lehren Abrahams darstellten.

Obwohl Moses’ Tora einen wichtigen Schritt vorwärts bedeutete, da sie ein ganzes Volk in Kontakt zum Schöpfer brachte, war der Weg noch nicht zu Ende. Das Ende würde erst erreicht, wenn die ganze Welt in Berührung mit dem Schöpfer käme; wenn die Welt die gleiche Verbindung erführe, wie sie schon die alten Babylonier vor dem Ausbruch des Egoismus empfanden. Das Ende des Weges würde erreicht, wenn die gesamte Menschheit zurückgewänne, was sie einst besaß und schließlich verlor. Dies ist sehr wichtig, da man nur zurückgewinnen kann, was man schon hatte/kannte. Tatsächlich ist dies das Ziel der Schöpfung: Uns zu lehren, was oder wer der Schöpfer ist, und uns auf ihn zurückzubesinnen.

Gegenwart

Die „Gegenwart“ begann vor ca 2000 Jahren, als das Buch Sohar geschrieben und schließlich wieder verborgen wurde, und Israel ins letzte Exil ging. Genau wie in der Vergangenheit Abraham und Moses wirkten, wirken in der Gegenwart ebenfalls zwei große Männer: Rabbi Shimon Bar-Yochai (Rashbi) and der Heilige Ari (Rabbi Isaac Luria). Rashbis Buch Sohar ist ein Kommentar zur Tora. Wie Moses die Worte Abrahams dem ganzen Volk erklärte, genauso erläutert das Buch Sohar die Worte von Moses. Daher steht an vielen Stellen, dass das Buch Sohar dazu bestimmt sei, in der Zeit des „Messias“ am „Ende der Tage“ in Erscheinung zu treten. Dazu schreibt Rabbi Yehuda Ashlag, dass das Wiederauftauchen des Buches Sohar ein Beweis für die angebrochene Zeit des Messias sei.

Diese Phase der Annäherung an den Schöpfer unterschied sich wesentlich von der ersten. Es war eine Zeit des zarten Wachstums, als die Kabbala in schwach beleuchteten Räumen von kleinen unscheinbaren Gruppen verfeinert und verbessert wurde. Daher wurden die zwei signifikantesten Werke dieser Periode, Rashbis Sohar und Aris Baum des Lebens rasch wieder verhüllt. Sie tauchten Jahre später wieder auf, der Sohar sogar erst Jahrhunderte später.

Wie immer ist das einzige Gegengift zum wachsenden Egoismus die Einheit. Heute muss sich die gesamte Menschheit verbinden und vereinen. Die Selbstsucht hat ein solches Ausmaß erreicht, dass die Menschheit unwiderruflich verloren ist, wenn sie sich nicht auf die Einheit besinnt.

Zukunft

Die „Zukunft“ begann um 1990. 1945 prognostizierte Yehuda Ashlag, dass die letzte Phase in der spirituellen Entwicklung der Menschheit 1995 beginnen sollte. Ähnlich schrieb der Vilna Gaon (GRA) in seinem Buch Die Stimme der Turteltaube, dass diese Phase 1990 begänne. Viele anderen Kabbalisten machten gleichartige Voraussagen, was den Schluss zulässt, dass die Zukunft bereits begonnen hat und es an der Zeit ist, den Egoismus zu bezwingen und sich zu vereinigen.

Die gesamte Menschheitsgeschichte besteht aus Kämpfen gegen den Egoismus und Bemühungen, sich trotzdem zu vereinigen. Heute sind sich die meisten Wissenschafter einig, dass die menschliche Ichbezogenheit und das Missverstehen der Naturgesetze die Gründe für die Verkehrtheit dieser Welt darstellen. Baal HaSulam beschrieb dies bereits in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, doch seine Worte verhallten im Wind. In den letzten Jahren wurde es aber immer offensichtlicher, dass die Welt sich erst zum Besseren wenden würde, wenn wir uns  selbst ändern. Tatsächlich ruinieren wir unseren Planeten und unsere Gesellschaft auf so viele Arten, dass eine Lösung unerreichbar erscheint. Wir werden sie nur finden, wenn wir den menschlichen Egoismus in Altruismus umwandeln.

Im Artikel „Frieden in der Welt“ schreibt Baal HaSulam, dass im Falle einer Einigung jeder einzelne Mensch den Schöpfer persönlich im wahrsten Sinne des Wortes erfahren wird. Es steht geschrieben: „Sie sollen mich alle erkennen, vom Kleinsten bis zum Größten“ (Jeremiah 31:34).

Die Weisheit der Kabbala wurde als eine Methode vorbereitet, mit der man die richtigen Beziehungen unter den Menschen und damit auch zum Schöpfer aufbauen kann. Baal HaSulam schreibt in der Einführung zum Buch Sohar, dass wir das Schöpfungsziel erreichen, sobald wir fähig werden, die Kabbala in unser Alltagsleben zu integrieren.

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