Unterschied zwischen Kabbala und Religion

Von Dr. Michael Laitman

Die Religion glaubt, dass der Schöpfer sein Verhalten dem Menschen gegenüber abhängig von seinen Handlungen ändert, und die Wissenschaft Kabbala besagt, dass die höchste Kraft unveränderlich ist, und die Handlungen des Menschen sie nicht verändern, wohl aber den Menschen selbst. Daher beginnt er, die Höchste Lenkung anders wahrzunehmen. Wenn er sich zur Nachahmung und zur Ähnlichkeit mit dem Schöpfer hin verändert, dann empfindet er Ihn als gütiger gegenüber sich selbst. Wenn er sich in einen größeren Widerspruch und Gegensatz zwischen den eigenen Eigenschaften (des Empfangens) und den Eigenschaften des Schöpfers (des Gebens) begibt, empfindet er, dass der Schöpfer ihm gegenüber negativer eingestellt ist.

Auf die Unveränderlichkeit der Beziehung des Schöpfers zu seinen Geschöpfen verweisen viele Aussagen kabbalistischer Texte: „Ich ändere meinen Namen nicht“, „Gut und Gutes tuend“, „Das Höchste Licht befindet sich in vollkommener Ruhe“ usw. Daher bezeichnet man das „Gebet“ als Selbstgericht, die Selbstanalyse – wenn sich der Mensch nicht an den Schöpfer wendet, sondern über sich selbst richtet, sich selbst gegenüber dem höchsten unveränderlichen Universum analysiert. (Siehe die „Einführung in die Lehre der Zehn Sefirot“, Baal HaSulam, über den Weg zum Ziel der Schöpfung. Während sich der Mensch verändert, korrigiert er sich selbst in Bezug auf den unveränderlichen und absoluten Schöpfer).

In dieser Sichtweise auf sich und den Schöpfer besteht der Unterschied zwischen Kabbala und Religion. Obwohl auch die Religion zu einer gewissen Veränderung des Menschen aufruft, ist sie gänzlich auf Bitten und Gebete zum Schöpfer aufgebaut. Und darin ähneln die Weltreligionen den Praktiken, die höchsten Kräfte der Natur gut zu stimmen. Der Grund dafür, warum die Kabbala nicht von den Religionen akzeptiert wird, liegt in der Überzeugung der Massenreligion, dass der Mensch den Schöpfer nur zu bitten hat, und der Schöpfer dem Menschen dann sein Gesicht zuwenden wird. Das heißt, dass der Gläubige davon überzeugt ist, dass man daran glauben muss, dass der Schöpfer existiert und herrscht, und man den Schöpfer nur bitten muss, damit sich etwas ändert, und dass man sich nicht selbst verändern muss.

Unter Veränderungen und Arbeit an sich selbst wird das äußere Ausführen anständiger Taten verstanden, hauptsächlich die Hilfe aus Mitleid. Aber keineswegs die Veränderung der Natur hin zur Nachahmung des Schöpfers. In der Überzeugung der Veränderung der göttlichen Beziehung zum Menschen entsteht Neid: zu wem verhält sich der Schöpfer mit größerer Liebe, wer ist „auserwählter“ vor Ihm? Es entsteht ein Antagonismus, nicht nur unter Menschen, sondern auch unter Konfessionen. Bei Mitgliedern welcher Konfession ist der Schöpfer „mehr geneigt“, auf Gebete zu antworten?

Kabbala aber glaubt, dass der Schöpfer unveränderlich ist, und dass der Mensch es im Verlauf seiner Korrektur verdienen wird, dasselbe unveränderliche Verhalten des Schöpfers als „besser“ zu sehen. Deshalb wird jemand, der in seiner Korrektur weiter ist, die Handlungen des Schöpfers immer mehr rechtfertigen. Weil die Kabbala behauptet, dass man nicht beten, sondern sich ändern soll, zieht sie den Hass der Religiösen auf sich, weil sie sich der Scheinheiligkeit beschuldigt fühlen.

Zum richtigen Verständnis des Verhältnisses der Kabbalisten zum Schöpfer kann man sich ein kabbalistisches Gebetbuch anschauen, wo es keine gewöhnlichen Worte gibt, die Gefühle der Menschen ausdrücken, sondern Bezeichnungen von spirituellen Handlungen, die der Mensch durch seine Korrektur ausführen soll, damit er dann das Höchste Licht erhält. Darin liegt die Unterscheidung zwischen dem religiösen Gott und dem kabbalistischen Schöpfer.

Das Erlernen des Aufbaus der Schöpfung in der Kabbala erzeugt beim Menschen eine genaue Vorstellung vom Schöpfer, der sich mit seinen Eigenschaften oben auf der Leiter der spirituellen Eigenschaften befindet, und vom Menschen, der sich unten auf dieser Leiter befindet. Die Stufen der Leiter sind die Stufen der Welten. Das Ziel der Schöpfung liegt im selbständigen Aufstieg, durch den eigenen Willen mit dem Schöpfer zu verschmelzen. Der Aufstieg ist die innere Veränderung der Eigenschaften eines Menschen von der egoistischen Intention in allen seinen Gedanken zur altruistischen Intention. Die Veränderung erfolgt entlang der Stufen der Leiter, wobei jede davon den Grad der Übereinstimmung mit dem Schöpfer charakterisiert.

Natürlicherweise entfernt solch ein detailliertes Studium des Aufbaus der Welt den Menschen von der Vorstellung, dass sich die Bereitschaft des Schöpfers ihm gegenüber abhängig von seinen Bitten ändert. Sogar in unserer Welt gilt, wenn wir uns ein „perfektes“ Elternteil vorstellen, es klar ist, dass das Kind mit keiner Veränderung mehr Liebe hervorrufen kann – sie ist ewig und vollkommen, und ihre äußere Erscheinung, das heißt, das vom „Niedrigen“, „Unteren“ Wahrgenommene, hängt nur von den Zuständen ab, die der Mensch durchlaufen muss, um die ganze Weltschöpfung zu erkennen und um Erfahrungen zu sammeln, um im Verstand und Gefühl dem Schöpfer gleich zu werden.

Aus dem oben Gesagten folgt, dass sogar die Veränderungen, die wir an uns vornehmen können, um das unveränderliche Verhalten des Schöpfers uns gegenüber als gütiger zu empfinden, und von denen wir zuvor gesagt haben, dass sie positiv sind, – keine wirklichen Korrekturen an uns selbst sind, weil wir alle diese Stufen, extreme Zustände, Veränderungen und Gegensätze durchlaufen müssen, um Erfahrungen zu sammeln und um die Möglichkeit zu haben, die ganze Weltschöpfung vom einen zum anderen Rand zu spüren.

Unter der Korrektur des Menschen versteht man nur die Veränderung des Verhältnisses gegenüber dem, was mit ihm geschieht, wenn der Mensch alles, was mit ihm geschieht, als absolut positiv einschätzt und es deswegen auch als solches empfindet, was in ihm das Gefühl der Wonne des Genusses hervorruft. Bis hin zu einem Moment, in dem der Mensch herausfindet, dass sich überhaupt nichts verändert außer sein Verhältnis zu seinem ständigen, unveränderlichen Zustand, in dem er erschaffen wurde und sich von Beginn an und für immer befindet.

Zweifellos führt das Studium der Wissenschaft Kabbala den Menschen notgedrungen weg vom Gebet, weil die Kabbala zu so einem Verständnis der Welt und des Platzes des Menschen in ihr führt. Und in allen religiösen Praktiken ist das Gebet die wichtigste, zentrale Handlung, um die sich zusätzlich alles andere aufbaut. Natürlicherweise entfernt die Lehre der Kabbala, die den Blick des Menschen nur nach innen zur inneren Korrektur richtet, ihn zunehmend von allen äußeren Vorschriften und Bestimmungen jeglicher Konfessionen, die deswegen gegen sie sind.

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