1989/36 Was ist „Denn darin besteht eure Weisheit und euer Verstand vor den Augen der Völker“ in der Arbeit? 

Es steht geschrieben (Deuteronomium 4,6): „So achtet sie [die Gebote] nun und haltet sie ein; denn darin besteht eure Weisheit und euer Verstand vor den Augen der Völker, welche alle diese Gebote hören und sagen werden: ‚Gewiss ist dieses große Volk ein weises und verständiges Volk!'“

Das muss man verstehen, denn man sieht nicht, dass die Völker der Welt sagen, dass Israel ein „weises und verständiges Volk“ ist.

Außerdem geht aus dem Text hervor, dass die Völker die Weisheit und das Verständnis des Volkes Israel sehen werden, speziell wenn sie sie „achten und einhalten“. Sogar innerhalb des Volkes Israel sehen wir, dass die Sekulären die Religiösen verachten, weil sie die Tora achten und die Mizwot [Gebote] einhalten; wie können wir also sagen, dass die Völker der Welt das Volk Israel dafür respektieren werden, dass es sie [die Gebote] achtet und einhält?

Man muss dies in der Arbeit verstehen. Es ist bekannt, dass in der Arbeit der Mensch selbst eine kleine Welt ist, die aus allen Völkern der Welt besteht. Und da jedes Volk sein eigenes bestimmtes Verlangen hat, da es bekanntlich sieben Eigenschaften der Kedusha [Heiligkeit] gibt und ihnen sieben Eigenschaften der Tuma’a [Unreinheit] entgegengesetzt sind, und jede Eigenschaft aus zehn besteht, gibt es also insgesamt siebzig Völker. Und dann gibt es Israel.

Die siebzig Völker wollen die Eigenschaft von Israel beherrschen, denn Israel will, dass all ihre Handlungen um des Schöpfers willen geschehen. Yashar-El [direkt zum Schöpfer] bedeutet, dass alle Handlungen Israels um des Schöpfers willen geschehen. Aber die Völker der Welt in einem Menschen wollen vor allem, dass all ihre Handlungen nur zu ihrem eigenen Vorteil sind. Den bösen Trieb nennen wir „Völker der Welt“ und den guten Trieb „Israel“.

Die Reihenfolge der Arbeit besteht darin, dass, wenn der Mensch nur um des Schöpfers willen arbeiten will, der böse Trieb, der aus den Völkern der Welt besteht, kommt und sich mit all seiner Kraft widersetzt. Jedes einzelne Volk lässt den Menschen denken, dass er seinen Weg gehen soll, entsprechend der Wurzel der Verlangen dieses Volkes. Mittels intellektueller und vernünftiger Argumente machen sie den Menschen glauben, dass sie Recht haben.

Jedes Mal, wenn sie sehen, dass der Mensch ihnen nicht zuhören will, liefern sie stärkere Argumente und deutlichere Beweise dafür, dass sie Recht haben. Sie sind sich sicher, dass der Mensch ihren Argumenten nichts entgegenzusetzen haben wird. Und sie sind sich sicher, dass sie die Klügsten der Welt sind, da sie mit ihrem Verstand und ihrer Vernunft erkennen, dass der Verstand des Menschen ihnen nur dumme Antworten geben kann, die gegen ihren Intellekt und ihr Wissen nichtig sind. Dann wird der Mensch natürlich gezwungen sein, den Weg der Völker der Welt zu gehen und den Götzendienst zu verrichten – eine Arbeit, die ihm und der Heiligkeit fremd ist. Denn „Heiligkeit“ bedeutet, um des Schöpfers willen zu arbeiten, während sie wollen, dass man zu ihrem eigenen Nutzen arbeitet. Und all ihre Sicherheit liegt darin, dass sie klug sind und mit Verstand sprechen.

Doch wie kann ein Mensch dann sein Böses überwinden, wenn sein Böses mit Vernunft, Weisheit und Wissen spricht und sich für die Klügsten in der Welt halten? Sie sind sich ihrer Argumente so sicher und glauben, dass der Mensch für immer unter ihrer Herrschaft verbleiben wird.

Man muss wissen, dass die Kraft der Kedusha [Heiligkeit] der Glaube ist, der sich über dem Verstand befindet. Wenn sie also mit ihren Argumenten kommen und zeigen, wie recht sie haben, sollte man ihnen nicht sagen, dass ihre Argumente falsch sind. Stattdessen sollte der Mensch den Völkern der Welt in sich sagen: „Wisset, dass alles, was ihr sagt, wahr ist. Aus der Sicht der Vernunft habt ihr recht, und ich habe euch nichts zu erwidern. Aber uns wurde die Arbeit über dem Verstand gegeben, weshalb wir über dem Verstand glauben müssen, dass ihr falsch liegt. Und da die Arbeit im Glauben über dem Verstand sein muss, danke ich euch sehr für eure richtigen Argumente! Denn man kann nicht sagen, dass ein Mensch sich über den Verstand erheben kann, wenn er nicht über Verstand und Intellekt verfügt.” Nur dann kann man sagen, dass er sich über den Verstand erhebt.

Denn wenn es keinen Verstand gibt, dann kann man sich auch nicht über den Verstand erheben. „Über den Verstand“ bedeutet, dass dieser Weg wichtiger ist als der Weg innerhalb des Verstandes. Wenn es aber keine andere Möglichkeit gibt, als ihm zu sagen: „Geh diesen Weg!“, kann man nicht behaupten, dass er den Weg des Glaubens über dem Verstand wählt. Deshalb ist es gerade durch die Kraft des Glaubens über dem Verstand möglich, die Ansichten der Völker der Welt im Menschen zu besiegen.

Jetzt kann man die Frage verstehen, was es bedeutet „denn es ist deine Weisheit und dein Verstand in den Augen der Völker“? Die Schriften sagen: „Beobachtet sie und haltet sie ein“. Wir haben gefragt: Was bedeutet „sie beobachten und sie einhalten“?

Nach dem oben Gesagten, wonach die ganze Kraft, die der Mensch gegen die Argumente der Völker aufbringt, die mit vernünftigen Einwänden behaupten, dass ihr Weg – innerhalb des Verstandes – der Weg der Wahrheit sei, kann er ihnen nur mittels Glauben über dem Verstand antworten. Über dem Verstand zu stehen wird als „Tat“ bezeichnet, da wir ihnen keine Antwort innerhalb des Verstandes geben. Wenn man darauf also nicht mit dem Verstand antwortet, nennt man das „Ausführender Seines Wortes“.

Das ist die Bedeutung von „Du, o Herr, rettest Menschen und Tiere“. Unsere Weisen kommentieren: „Dies sind diejenigen, die in ihrem Verstand schlau wie Menschen sind und sich selbst wie Tiere verhalten.“ Das heißt, sie erheben sich über den Verstand, als hätten sie keinen, und besiegen damit die Völker der Welt in ihrem Herzen.

Wie es (Midrash Rabba, Prediger, S. 12) über den Vers heißt: „Ich sprach zu mir selbst bezüglich der Söhne der Menschen“. Dies sind seine Worte: “‘Bezüglich der Söhne der Menschen’, betreffen die Worte, die die Gerechten sagen. Und warum hat Gott sie erschaffen? Um ihnen das Maß ihrer Gerechtigkeit zu zeigen, damit sie erkennen, dass sie Tiere sind, um den Völkern der Welt zu zeigen, dass Israel Ihm wie ein Tier folgt.’”

Man muss verstehen, warum man den Völkern der Welt zeigen muss, dass Israel Ihm wie ein Tier folgt. Nach dem oben Gesagten sind mit den Völkern der Welt die Völker der Welt im Herzen des Menschen gemeint. Ihnen muss gezeigt werden, dass die Tatsache, dass der Mensch um des Schöpfers willen arbeitet und nicht um seiner selbst willen, nicht innerhalb des Verstandes geschieht, denn dieser will mit uns darüber streiten, wer Recht hat. Vielmehr machen wir alles mit dem Glauben über dem Verstand. Wir handeln dabei wie ein Tier, ohne Sinn und Verstand. Deshalb “Völker der Welt“, glaubt nicht, dass wir jemals auf eure Ansichten hören werden, denn für uns befindet sich alles über dem Verstand.

Deshalb bitten wir den Schöpfer, dass Er uns von Oben hilft, alle Antworten zu finden, die wir brauchen. Eure Fragen sind zwei Fragen, die „Wer“ und „Was“ heißen. Wir glauben im Vertrauen auf die Weisen, dass wir um die Hilfe des Schöpfers bitten müssen, und Er wird uns gewiss helfen, wie die Weisen sagten: „Wer kommt, um sich zu reinigen, dem wird geholfen.“ Das heißt, Er wird uns helfen, Ihm über dem Verstand zu folgen, um den Völkern der Welt zu zeigen, dass Israel Ihm wie ein Tier folgt. Das ist die Bedeutung der Arbeit: „Beobachtet sie und haltet sie ein; denn darin besteht eure Weisheit und euer Verstand vor den Augen der Völker.“

Das bedeutet, dass, wenn ihr die Ebene der Tat bewahrt, die über dem Verstand steht, und ihr nicht von diesem Weg abweicht, ihr sicherlich erfolgreich sein werdet, euch aus der Herrschaft der Völker der Welt zu befreien, und die Völker der Welt in euch werden sich der Heiligkeit unterordnen, wie geschrieben steht: „Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen.“ Die Weisen sagten: „Mit deinen beiden Neigungen“, was bedeutet, dass sich auch der böse Trieb zum Guten wenden wird. Daraus folgt, dass die „Völker der Welt“ des Menschen, die als „böser Trieb“ bezeichnet werden, ebenfalls zu Dienern des Schöpfers werden.

Dann werden die Völker der Welt im Menschen sehen, dass auch sie einst mit dem Guten belohnt wurden. Denn die ganze Weisheit, mit der die Völker der Welt besiegt und in die Kedusha aufgenommen werden konnten, bestand im Glauben über dem Verstand, der „haltet sie  ein“ heißt. Die ganze Weisheit in der Eigenschaft Israels liegt gerade darin, wie ein Tier zu handeln, und das war ihre gesamte Weisheit.

Das ist die Bedeutung der Worte: „Wenn sie alle diese Gesetze hören, werden sie sagen: ‚Wie ist doch dieses große Volk ein so weises und verständiges Volk.'“ Das heißt, wenn die Völker der Welt einmal in die Kedusha aufgenommen werden, „mit ganzem Herzen, mit beiden Neigungen“ und der böse Trieb, der die Völker der Welt symbolisiert, auch in die Kedusha eintritt, dann sehen sie, dass die ganze Weisheit Israels darin liegt, dass sie die Gebote gehört haben, die als Tat bezeichnet werden.

Dann sind sie ein weises und verständiges Volk, denn all ihre Weisheit wurde nicht durch Forschen und Verstand erlangt. Im Gegenteil, sie wurden gerade dadurch mit Weisheit belohnt, weil sie Ihm wie ein Tier folgten. Das bedeutet, dass sie gerade durch das „Tun“, das „Arbeiten über dem Verstand“ genannt wird, mit Weisheit belohnt wurden. Deshalb werden sie ein „weises und verständiges Volk“ genannt, weil sie Ihm wie ein Tier und nicht mit Wissen folgten. Dies ist die ganze Weisheit des Volkes Israel.

Bezüglich des Handelns, das „über dem Verstand“ genannt wird, muss man die Worte verstehen (Midrash Tanchuma): „‚Und es wird geschehen, weil,‘ wie der Vers sagt, ‚warum sollte ich mich in den Tagen des Bösen fürchten, die Schuld meiner Fersen wird mich umgeben (umschließen).‘ Denn es gibt unter ihnen einfache Mizwot, die die Menschen nicht achten, sondern sie unter ihre Fersen werfen, was bedeutet, dass sie einfach sind. Deshalb fürchtete David den Tag des Gerichts. Er sagte: ‚Herr der Welt, ich fürchte mich nicht vor den schweren Mizwot; was ich fürchte, sind die einfachen Mizwot.'“

Man muss die Bedeutung von einfachen und schweren Mizwot in der Arbeit verstehen. „Einfach“ bedeutet, dass es unwichtig ist. Die Tatsache, dass der Mensch über dem Verstand arbeiten soll, bedeutet, dass der Mensch keine Wichtigkeit darin sieht und diese Arbeit für ihn wie Staub schmeckt. Das wird „Shechina [Göttlichkeit] im Staub“ genannt. Das heißt, dass der Mensch die Last des Himmelreichs über dem Verstand auf sich nehmen muss. Demnach befindet sich diese Arbeit „im Staub“.

Dennoch muss der Mensch die Mizwot einhalten, gute Taten vollbringen und die Tora studieren, damit der Schöpfer diese Arbeit aus dem Staub erhebt, aus ihrer Niedrigkeit – so wie wir beten, dass der Herr die Shechina aus dem Staub erhebt, wie es geschrieben steht: „Der Barmherzige, Er wird für uns die gefallene Hütte Davids erheben.“ Der Grund, warum sie sich in der Niedrigkeit befindet, ist die Verhüllung, die der Schöpfer gemacht hat, um Raum für die Wahl zu geben. Das heißt, damit der Mensch arbeiten kann um zu geben, was „Dwekut [Anhaftung] mit dem Schöpfer“ genannt wird. Deshalb wurde ihm diese Arbeit in Form der Verhüllung des Angesichts gegeben.

Daher besteht das Herzstück unserer Arbeit darin, Gefäße des Gebens zu bilden, und zwar durch die Vorbereitung, die wir während der Arbeit zur Zeit der Verhüllung machen. Wir haben Gefäße des Empfangens vom Schöpfer, und auf diesen Kelim [Gefäße] erfolgte eine Korrektur, damit sie nicht benutzt werden. Denn sie verursachen eine Trennung, da sie in gegensätzlicher Form zum Schöpfer sind. Daher wurden die Tora und die Mizwot gegeben, durch die der Mensch die Gefäße des Gebens erhalten kann.

Angesichts dieser Arbeit erscheinen alle Verleumder und Ankläger und sagen: „Wir sind damit einverstanden, dem Schöpfer zu dienen, aber dem Ziel, das du durch das Befolgen der Tora und Mizwot erreichen willst, stimmen wir nicht zu.“ Sie bringen dem Menschen viele Argumente und Gedanken, die ihn glauben lassen, dass es sich nicht lohnt, für diesen Zweck zu arbeiten. Wenn man also nicht damit einverstanden ist, das Ziel zu ändern, um Gefäße des Gebens zu erhalten, dann lassen sie den Menschen die Tora und Mizwot zu diesem Zweck nicht befolgen, und all seine Handlungen sind mit großen Anstrengungen verbunden.

Sobald der Mensch das Ziel vergisst und beginnt, wie die Allgemeinheit zu arbeiten, das heißt, um eine Belohnung für die Arbeit zu erhalten, hat er wieder Stärke, sie einzuhalten und mit Kraft zu arbeiten, denn dann ist das Ziel der Arbeit dem Willen des Menschen nicht entgegengesetzt. Aber sobald er mit der Arbeit beginnt, nachdem er das Ziel vergessen hat und schließlich wieder erwacht und in Tora und Mizwot arbeiten will, um Gefäße des Gebens zu erhalten, erheben sich die Argumente der Kundschafter erneut gegen ihn und lassen ihn den Geschmack von Staub in dieser Arbeit schmecken. Dann fällt es ihm wieder schwer, voranzukommen. Das nennt man „einfache Mizwot„. Das heißt, man arbeitet mit dem Ziel, Gefäße des Gebens zu erhalten, nämlich um des Schöpfers willen und nicht um seiner selbst willen. Es gibt Grund zur Furcht bei dieser Arbeit, denn er hat viele Widersacher.

Anders verhält es sich mit „schweren Mizwot„, also mit dem, was für den Menschen wichtig ist. Wenn der Mensch arbeitet, um eine Belohnung zu erhalten, betrachtet er es als eine schwere Angelegenheit, da er seinen eigenen Nutzen verlieren würde, wenn er Tora und Mizwot nicht einhielte. Aber wenn die Belohnung und der Verlust um des Schöpfers willen sind, ist das für einen Menschen nicht so wichtig.

Deshalb ist der Mensch hier geringschätzend, wenn er sich selbst betrachtet und sagt: „Da ich auf jeden Fall nichts verlieren werde“, denn er glaubt, dass er nichts für sich selbst erhalten wird, weil Tora und Mizwot in erster Linie für den Schöpfer und nicht zum Eigennutz eingehalten werden müssen. Wer wird dann von seiner Arbeit profitieren? Nur der Schöpfer. Und dadurch nimmt der Mensch die Arbeit leicht und vernachlässigt sie. Deshalb sagt sich der Mensch oft: „Ich sollte mir keine Mühe machen, mich in der Arbeit anzustrengen. Wenn es mir leicht fällt, kann ich arbeiten. Aber wenn es Störungen gibt, habe ich keine Kraft, mich zu überwinden.“

Das liegt daran, dass die Arbeit lo liShma [nicht für Ihren Namen] nicht wichtig genommen wird und es sich daher nicht lohnt, sich dafür anzustrengen. Und was hat der Mensch davon, wenn er in liShma [für Ihren Namen] arbeitet? Deshalb hält der Mensch es für das Beste, zu schlafen und sich von all diesen Dingen auszuruhen, da sie ihm nichts als Verzweiflung und Unzufriedenheit bringen. Das nennt man „einfache Mizwot„, „die die Menschen nicht achten, sondern sie unter ihre Fersen werfen“.

David sagte dazu: „Warum sollte ich in den Tagen des Bösen die Sünde meiner Fersen fürchten“, die einfachen Mizwot, die ein Mensch missachtet? Wenn der Mensch in die Arbeit des Gebens eintreten will, fürchtet er sich davor, dass er sie vielleicht nicht einhalten kann. Das heißt, bei der Erlangung der Gefäße des Gebens kann nur der Schöpfer helfen. Denn Er gab dem Menschen die Gefäße des Empfangens, also muss man Ihn um die Gefäße des Gebens bitten.

Das heißt, so wie ein Mensch es genießt, zu seinem eigenen Nutzen zu arbeiten, wird er große Wichtigkeit und Freude an der Arbeit um des Schöpfers willen haben. Er wird spüren, dass es ein großes Privileg für ihn ist, dem König zu dienen. Und das erreicht der Mensch durch: „Beobachtet sie und haltet sie ein; denn darin besteht eure Weisheit und euer Verstand vor den Augen der Völker.“

korrigiert, EY, 27.12.2023

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar