1986/08 Über die Hilfe, die von Oben kommt

Rabash, 1986/08, korr EY, 12.1.2024

Die Weisen sagten (Sukka, 52): „Rabbi Shimon Ben Lakish sagte: ‚Der Trieb des Menschen überwältigt ihn jeden Tag und sucht ihn zu töten, so wie es heißt: ‚Der Frevler beobachtet den Gerechten und sucht ihn zu töten.‘ Wenn der Schöpfer ihm nicht helfen würde, würde er ihn nicht überwinden, wie es heißt: ‚Der Herr wird ihn nicht in seine Hand geben und ihn nicht verdammen, wenn er gerichtet wird.'“

Und im Heiligen Sohar (WaJishlach, Punkt 10) steht geschrieben: „Rabbi Chiskija sagte: ‚Wen dem so ist. warum steht dann geschrieben: ‚Und Jakob wurde allein gelassen‘? Wo waren all die Heere der Engel von denen du sagst, dass sie ihn umgaben und mit ihm kamen?‘ Rabbi Jehuda sagte: ‚Er brachte sich selbst in Gefahr, weil er nachts allein blieb und die Gefahr mit seinen Augen sehen konnte. Da sie nur kamen, um ihn vor einer unsichtbaren Gefahr zu schützen, die nicht mit bloßem Auge zu erkennen ist, trennten sie sich von ihm.‘ Dann sagte er: ‚Ich bin all der Barmherzigkeit und all der Wahrheit, die Du Deinem Diener erwiesen hast, nicht würdig.‘ Dies waren die heiligen Engelscharen, die ihn umgaben und sich von ihm trennten, weil er sich in offensichtliche Gefahr begeben hatte. Rabbi Yitzhak sagte: ‚Deshalb trennten sich die Engel von ihm, um ihn allein zu lassen mit jenem Beauftragten von Esau, der in höchster Autorität zu ihm kam.'“

Dementsprechend stellt sich die Frage: „Wann haben sich die Engel von ihm getrennt?“ Sie trennten sich von ihm, als er sich selbst in Gefahr begab. Das heißt, erst brachte er sich selbst in Gefahr, und dann trennten sich die Boten von ihm. So heißt es: „Und Jakob wurde allein gelassen.“ Das heißt, sobald sie ihn sehen konnten, trennten sie sich. Wir sollten sagen: „Wie einer kommt und einer geht“.

Wir sollten verstehen, warum die Boten nicht kamen, um ihn im Angesicht der offensichtlichen Gefahr zu bewachen. Es ist, als würden wir sagen, dass sie nicht in der Lage sind, ihn vor einer echten und offensichtlichen Gefahr zu schützen. Wenn das so ist, wann können sie ihn dann bewahren – wenn die Gefahr nicht offensichtlich ist? Wenn die Gefahr nicht offensichtlich ist – wer weiß dann, dass es da eine Gefahr gibt, vor der man sich bewahren muss? Das heißt, für wen sollte sie offensichtlich sein, für den Menschen? Wenn die Boten sehen, dass eine offensichtliche Gefahr besteht, gehen sie, obwohl der Mensch es nicht weiß?

Um das in der spirituellen Arbeit zu erklären, müssen wir zuerst wissen, was genau die Gefahr ist, die dort besteht. Danach werden wir erklären, was eine „offensichtliche Gefahr“ ist. Es ist bekannt, dass die Arbeit auf der rechten Linie beginnt. „Rechts“ bedeutet etwas, das keiner Korrektur bedarf. Das, was der Korrektur bedarf, heißt „links“, wie unsere Weisen sagten: „Wir legen die Tefillin [Gebetsriemen] links an, wie es geschrieben steht: ‚Und es soll ein Zeichen an deiner Hand sein.'“ – Yadcha [deine Hand]. Unsere Weisen sagten: „Die Linke stößt weg und die Rechte zieht näher.“

Aus diesem Grund, wenn ein Mensch darin angeleitet wird, auf den Wegen der spirituellen Arbeit zu wandeln, fängt er mit rechts an, denn die Rechte stellt keine Gefahr für das spirituelle Leben dar, da er immer hinzufügen kann, weil die rechte Linie Chessed [Gnade] genannt wird. Das bedeutet, dass der Mensch die Tora und die Mizwot [Gebote] schätzt und sagt, dass der Schöpfer barmherzig mit ihm war, indem er ihm den Gedanken und das Verlangen gab, Tora und Mizwot zu befolgen. Und selbst die einfachste Absicht, d.h., dass er nicht weiß, welche Gedanken er bei der Ausführung von Mizwot und Tora denken soll, sondern einfach nur weiß, dass er das Gebot des Schöpfers befolgt, der uns durch Moses befohlen hat, reicht aus, um ihn zu verpflichten, die Tora und Gebote nach seinen Möglichkeiten zu befolgen, und das ist ausreichend für ihn.

Deshalb dankt und lobt er bei jeder Handlung, die er in der Tora oder den Mizwot befolgt, dem Schöpfer dafür, dass Er barmherzig mit ihm war und ihm den Gedanken und das Verlangen gegeben hat, die Tora und die Gebote zu befolgen. Er dankt und lobt also bei jeder Mizwa [Einzahl von Mizwot] dem Schöpfer dafür, dass Er ihn mit einem Halt in Tora und Mizwot belohnt hat, ganz gleich, wie viel. Vielmehr lernt er in der Zeit, in der es sein Körper es zulässt, und er bemüht sich, die Mizwot zu halten, so viel er kann. Er ist glücklich, dass er den Willen des Schöpfers erfüllen kann, der anderen Menschen wie ihm nicht gegeben wurde, was bedeutet, dass der Schöpfer ihnen nicht das Verständnis und das Verlangen gegeben hat, die Gebote des Schöpfers zu halten.

Jemand, der auf diesem Pfad wandelt, wird trotzdem nicht als auf der rechten Linie wandelnd angesehen, denn wenn es nur eine Linie gibt und ein Mensch keinen zweiten Pfad sieht, ist es unmöglich zu sagen, dass dies die „rechte Linie“ genannt wird. Wir können nur dann von „rechts“ sprechen, wenn eine weitere Linie vorhanden ist. Dann kann ich sagen, dass eine „rechts“ und eine „links“ ist.

Wenn ein Mensch also angeleitet wird, auf dem Weg des Schöpfers zu wandeln, wird ihm gesagt: „Wisse, dass der Schöpfer nichts von dir will, sondern nur, dass du Tora und Mizwot in völliger Einfachheit befolgst. Das ist ausreichend für dich. Du hast keinen Bedarf an großen Absichten wie die großen Gerechten. Vielmehr verlangt der Schöpfer von den Menschen, dass sie Tora und Mizwot nach ihrem Verständnis befolgen, jeder nach seiner Eigenschaft, d.h. nach seinen angeborenen Talenten. Man kann von einem Menschen nicht verlangen, sich mit Tora und Mizwot genauso zu befassen wie Menschen mit großen Talenten oder mit großem Mut, sondern jeder nach der Eigenschaft, mit der er geboren wurde.

Es ist so, wie der heilige ARI sagt: „Es gibt keinen Tag, der dem anderen gleicht, keinen Augenblick, der dem anderen gleicht und keinen Menschen, der dem anderen gleicht, und die Milch (Chelbona) wird nicht korrigieren, was der Weihrauch (Levona) nicht korrigieren kann.“ Das heißt, jeder Mensch soll sich selbst und die Eigenschaften, mit denen er geboren wurde, korrigieren. Man muss nicht mehr tun als die Kraft und der Verstand, mit denen er geboren wurde, leisten kann. 

Daraus folgt, dass ihm nicht gesagt wird, dass er noch Mängeln in der Arbeit suchen muss. Wenn er Tora und Mizwot in völliger Einfachheit hält, ist das eine großartige Sache, denn er befolgt die Gebote des Königs. Der Mensch sollte seine Arbeit in aller Einfachheit berechnen und schätzen. Wenn er also betet und einen Vers oder einen Segensspruch sagt, sei es der Segen über die Mizwot oder der Segen über einen Genuss, dann sollte er daran denken, zu wem er spricht. In dem Maße, wie er sich vorstellt, vor wem er steht, wird er sich beim Sprechen des Segens und beim Beten anders fühlen. Auch wenn er die Bedeutung der Worte nicht kennt, ist das sehr wichtig, denn es kommt nicht darauf an, was er sagt, sondern zu wem er spricht!

Er sollte deshalb beim Einhalten einer Mizwa, wie dem Tragen von Zizit [Gebetsschal], daran denken, dass es einige Juden auf der Welt gibt, denen es nicht vergönnt war, ein Zizit zu tragen, aber ihm wurde das Privileg zuteil, das Gebot des Schöpfers zu halten. Wie dankbar muss er dem Schöpfer dafür sein. Deshalb, so einfach sein Glaube an die Größe Gottes auch sein mag  und dass er das große Privileg hat, den Willen Gottes zu tun, sagt er deshalb den Segen „Baruch Ata Hashem“ (Gepriesen seist Du, Herr), das heißt, er preist den Herrn und drückt Ihm seinen großen Dank dafür aus, dass Er ihm diese Möglichkeit gegeben hat, die anderen Menschen nicht gegeben wurde.

Deshalb sagt er nach seinem einfachen Verstand, nach seinem Glauben an die Größe des Schöpfers und daran, dass es ein großes Privileg ist, dass er tun kann, was der Schöpfer will, aus diesen Gründen den Segensspruch: „Gesegnet seist du, o Herr.“ Das heißt, er segnet den Schöpfer und dankt ihm dafür, dass er ihn belohnt und ihm gegeben hat, was er anderen Menschen nicht gegeben hat.

Wenn er einen Segen über Genüsse spricht, dankt er dem Schöpfer auch dafür, dass er ihn mit dem Glauben belohnt hat, dass der Schöpfer ihn mit den Genüssen versorgt hat, damit die Menschen Freude haben können – anders als andere Menschen, die nicht den Verstand haben zu glauben, dass der Schöpfer ihnen all die Dinge gegeben hat, an denen sich die Menschen erfreuen können. Und ebenso sagt ein Mensch während des Shmone Esre (Achtzehn-Gebet) am Morgen: „Baruch Ata Hashem, She’lo Asani Goy“ („Gesegnet seist du, Herr, dass du mich nicht zu einem Nichtjuden gemacht hast“), und dankt damit dem Schöpfer, dass er ihn zu Israel gemacht hat.

Daher sehen wir, dass wir dem Schöpfer auch für die kleinsten Dinge, die wir an Kedusha [Heiligkeit] haben, danken und sie als groß ansehen müssen. Auch wenn wir nicht fähig sind, dessen Wert richtig einzuschätzen, müssen wir dennoch daran glauben. Ich hörte von Baal HaSulam, der einmal sagte, dass, so sehr wir auch die Bedeutung der Tora und der Mizwot im Aspekt liShma [um Ihretwillen] verstehen, in Wahrheit lo liShma [nicht um Ihretwillen] viel wichtiger ist, als wir liShma schätzen.

Das bedeutet, dass wir die Zufriedenheit, die der Schöpfer aus unserem Verlangen, Seinen Willen zu tun, zieht, nicht zu schätzen wissen. Und jede Handlung, die unten, in dieser Welt, ausgeführt wird, bewirkt eine Erweckung oben, in der Höheren Welt, wie es im Heiligen Sohar heißt: „Eine Handlung unten erweckt eine Handlung oben.“ Da der Mensch noch nicht damit belohnt wurde, in den Palast des Königs einzuziehen und die Lichter zu erlangen, die durch die Arbeiten der Unteren erneuert werden, müssen wir glauben, dass dies so ist.

Das heißt, wenn ein Mensch in die Synagoge kommt und dort einen Vers für den Schöpfer sagt, ist diese Handlung unermesslich, denn zu diesem Zeitpunkt vollbringt der Mensch eine Handlung, und der Handlung ist nichts hinzuzufügen. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Handlung vollkommen ist und sie vor dem Schöpfer so geschätzt wird, als ob sie mit allen Absichten der vollkommenen Gerechten ausgeführt wurde. Das heißt, man sagt ihm, dass es Gerechte gibt, die der Handlung einzig und alleine Absichten hinzufügen, aber an der Handlung selbst gibt es nichts hinzuzufügen, wie bereits erwähnt, und über die Handlung wird gesagt: „Du sollst nichts hinzufügen und nichts wegnehmen“.

Ihm wird jedoch gesagt, dass die Arbeit an den Absichten nicht für ihn ist, dass sie nur für einige wenige Auserwählte ist. Wenn dies also seine Vollkommenheit ist, setzt er seine ganze Energie darauf, das zu bewahren, was er durch seine Erziehung erhalten hat. Er weiß, dass er nur die Quantität beibehalten muss. Was hingegen die Qualität  angeht, d.h. die Absichten zu verbessern –, nämlich die Gründe, die ihn zum Einhalten von Tora und Mizwot veranlassen –, weiß er, was ihm in seiner Erziehung gesagt wurde, dass er im Allgemeinen diese Welt und die kommende Welt für seine Arbeit im Einhalten von Tora und Mizwot erhalten wird. Das wird „eine einzige Linie“ genannt und nicht die „rechte Linie“, denn da ist noch kein „links“, von dem wir sagen können, dass diese Linie „rechts“ heißt, da es kein „rechts“ ohne „links“ gibt.

Auf diese Weise besteht keine Gefahr, dass er das spirituelle Leben der Kedusha [Heiligkeit] verlieren könnte. Er schreitet vielmehr immer weiter voran, denn seine Berechnungen werden am Handeln gemessen, und jeden Tag kommen neue Handlungen hinzu. Deshalb macht er immer Fortschritte, denn er kann sehen, dass er jeden Tag neue Handlungen hinzufügt. Wenn er zum Beispiel zwanzig Jahre alt wird, weiß er, dass er bereits sieben Jahre lang Tora und Mizwot erfüllt hat. Und wenn er das dreißigste Lebensjahr erreicht, hat er siebzehn Jahre Tora und Mizwot erworben.

Daraus folgt, dass dieser Weg gesichert ist und keine Gefahr für sein spirituelles Leben besteht, da er eine Grundlage hat, auf die er schauen und seine Fortschritte messen kann. Daher gilt dieser Weg als sicher und es besteht keine Gefahr für sein spirituelles Leben. Das heißt, auf diesem Weg wird er nicht von seiner Stufe abfallen oder jemals verzweifeln, weil er sehen könnte, dass er in seiner Arbeit nicht erfolgreich ist. Stattdessen wird er immer in Frieden sein. Sein einziges Bedauern in der Arbeit wird sein, dass es ihn schmerzt, dass andere Menschen um ihn herum dem Schöpfer nicht so dienen wie er. Das ist sein einziges Bedauern in der Arbeit. Er selbst aber stellt fest, dass er viel Grund zur Freude hat, dass er Gott sei Dank Besitz von Tora und Mizwot hat.

Wenn ihm jedoch gesagt wird, dass es einen anderen Weg gibt, der „linke Linie“ genannt wird, was bedeutet, dass der Mensch auf diesem Weg sieht, dass er sich, obwohl er sich mit Tora und Mizwot befasst, trotzdem während der Arbeit korrigieren muss, und dass die Korrektur nicht auf dem Handeln liegt, sondern dass er die Absicht korrigieren muss, d.h. mit welcher Absicht er tut, was er tut, nämlich den Grund, der ihn dazu bringt, Tora und Mizwot zu halten. Dies wird bereits als ein gefährlicher Weg angesehen.

Das ist aus zwei Gründen so: 

1.) Ihm wird gesagt, dass es wahr ist, dass es unmöglich ist, ohne Belohnung zu arbeiten. Vielmehr braucht jeder Mensch, der irgendeine Arbeit verrichtet, ob groß oder klein, einen Treibstoff, der ihm Kraft zum Arbeiten gibt. Wenn ihm gesagt wird, dass die Belohnung darin besteht, dass er dem Schöpfer Zufriedenheit bringt, was bedeutet, dass „Sein Wunsch nur darin besteht, dem Schöpfer etwas zu geben“, versteht der Körper diesen Grund nicht als ausreichend, um ihm Kraft zum Arbeiten zu geben, denn er ist gegen die menschliche Natur, weil die Substanz des Menschen der Wille ist, zu empfangen, um zu empfangen.

Aus diesem Grund kann der Körper, wenn er in einer Linie arbeitet, was bedeutet, dass die Grundlage seiner Arbeit in dieser Welt darin besteht, dass er in dieser Welt und in der kommenden Welt Belohnung empfangen wird, verstehen, dass es sich für ihn selbst, d.h. um zu genießen und belohnt zu werden, lohnt zu arbeiten.

Wenn ihm jedoch gesagt wird, dass er mit der Absicht und Ausrichtung arbeiten muss, um mit jeder Handlung, die er ausführt, seinem Schöpfer Zufriedenheit zu bringen, ist er in der Arbeit kraftlos, denn dann verlangt sein Körper nach Erklärungen: „Wie kann ich arbeiten und auf viele Dinge verzichten, die der Körper genießen kann, damit der Schöpfer Freude daran hat?“ Auf diesem Weg besteht die Gefahr, dass er sein ganzes spirituelles Leben verliert, auch das, was er sich erworben hat, als er auf dem einzelnen Pfad wandelte.

2.) Der zweite Grund für die Gefahr ist, dass er, selbst wenn er sich jedes Mal überwindet und um des Gebens willen arbeiten will, sieht, dass er sich in der Absicht nicht überwinden kann, sondern immer das Gegenteil sieht. Als er auf einer einzigen Linie arbeitete, sah er, dass er vorankommt. Das heißt, wenn er zehn Jahre lang gearbeitet hatte, dann hatte er zehn Jahre Tora und Mizwot, und wenn er sich zwanzig Jahre in Tora und Gebote befasst hat, dann hat er einen Besitz von zwanzig Jahren.

Aber hier, auf der rechten Linie, ist es genau andersherum. Wenn er drei Jahre lang gearbeitet hat und er nicht in der Lage ist, seine Handlungen mit der Absicht zu geben und nicht zu empfangen auszuführen, dann ist er gebrochener und niedergeschlagener. Das heißt, er hat keinen Besitz, obwohl er drei Jahre lang in die Arbeit investiert hat. Wenn er fünf Jahre lang gearbeitet hat und so weiter, ist es noch schlimmer. Je mehr er sich in der Arbeit angestrengt hat, desto schlechter sieht er sich.

Aber Baal HaSulam sagte, dass wir in Wahrheit einerseits sagen können, dass der Mensch in der Erkenntnis des Bösen der Wahrheit näher gekommen ist. Bevor er mit der Arbeit begann, dachte er, er würde sein Böses überwinden können. Es ist so, wie unsere Weisen sagten (Sukka, 52): „Dem Frevler erscheint der Böse Trieb wie eine Haaresbreite, dem Gerechten aber wie ein hoher Berg.“

Andererseits muss ein Mensch die Wahrheit sehen, wie sie ist, das heißt, dass sich sein Böses dadurch keinen Zentimeter bewegt hat, und das könnte ihn in die Gefahr bringen, zu verzweifeln, denn er würde sagen, dass Lo liShma [nicht um Ihretwillen] wertlos ist, da das Wesentliche der Arbeit darin besteht, dem Schöpfer Zufriedenheit zu bringen, und er sieht, dass er nicht in der Lage sein wird, sich zu überwinden. Es stellt sich heraus, dass er, wenn er auf der linken Linie wandelt, vielleicht, Gott bewahre, völlig vom spirituellen Leben abgestoßen wird, denn er ist in liShma bereits gescheitert.  Er findet sich dann in einer Situation wieder, in der er weder hier noch dort einen Halt in der Kedusha hat.

Aus diesem Grund werden die Menschen [zunächst] nur auf einer einzelnen Linie geleitet. Wenn sie sich jedoch aus eigenem Antrieb regen und von sich aus den Drang verspüren, die Wahrheit zu suchen, ob der Weg, den man ihnen gewiesen hat, für immer der richtige ist, oder ob es nur so war, weil sie am Anfang ihrer spirituellen Praxis standen, und ihnen deshalb nicht den linken Pfad offenbart hat, auf dem sie sich selbst korrigieren müssen, damit all ihre Handlungen um des Himmels willen sind.

Das ist so, wie Maimonides (am Ende der Hilchot Teshuva) sagt: „Die Weisen sagten: ‚Man sollte sich immer mit Tora befassen, auch in lo liShma, denn von lo liShma kommt man zu liShma. Deshalb lehrt man Kinder, Frauen und Ungebildete, aus Ehrfurcht zu arbeiten und Belohnung zu empfangen. Bis sie Wissen erlangen und sich viel Weisheit aneignen, werden sie Stück für Stück in dieses Geheimnis eingeweiht und mit Leichtigkeit an diese Angelegenheit gewöhnt, bis sie Ihn erlangen und aus Liebe verstehen.“

Deshalb müssen wir sowohl auf der rechten als auch auf der linken Linie wandeln. Das bedeutet, dass selbst wenn der Mensch weiß, dass es eine Wahrheit namens liShma gibt, hat die Linie, auf der er wandelte, jetzt einen neuen Namen empfangen und heißt „rechte Linie.“ Aber was bringt es uns, dass wir jetzt die eine Linie „rechte Linie“ nennen? Die Erklärung ist, dass jetzt eine Absicht auf der rechten Linie ist. Das heißt, durch die Änderung des Namens „eine Linie“ in „rechte Linie“ wird eine besondere Absicht mit diesem Namen verbunden, die es bei der Bezeichnung „eine Linie“ nicht gab. Deshalb ist es auch verboten, die linke Linie aufzuheben und auf der rechten Linie zu wandeln, denn es gibt kein rechts ohne links. Wir müssen also sagen, dass er, als er in einer einzigen Linie wandelte, nicht wusste, ob es einen anderen Weg gibt. Aber jetzt, wo die linke Linie ihm gegenüber liegt, wird die eine Linie „rechte Linie“ genannt.

Das bedeutet, dass er die Vollkommenheit, die er jetzt empfängt, nicht deshalb empfängt, weil er ohne Mängel wandelt, sondern weil er sich vollkommen und glücklich mit seiner Arbeit fühlt, so wie vorher, als er in der linken Linie gearbeitet hat, aber aus einem anderen Grund. Hier, in der rechten Linie, ist die Vollkommenheit, weil er sieht, dass er ein einfacher Mensch ist und weiß, dass es einen wahren Weg gibt, das heißt, dass man sich mit des Schöpfers Willen befassen muss, aber er sieht, dass er weit davon entfernt ist. Das heißt, sein Körper lässt es nicht zu, dass er sich vor dem Schöpfer vollkommen annulliert, sodass seine einzige Richtung im Leben das Geben ist. Und doch sieht er, dass der Schöpfer ihm die Kraft gegeben hat, einen gewissen Kontakt mit der Heiligkeit zu haben, und andere haben diese Kraft nicht. Daraus folgt, dass er dem Schöpfer dafür dankt und ihn preist. Daraus folgt, dass er sich in einem solchen Zustand in Vollkommenheit befindet.

Doch jetzt, da er begonnen hat, auf der linken Linie zu arbeiten und verstanden hat, dass die Arbeit des Gebens die Hauptsache ist, fällt es ihm schwer, sich mit weniger zufrieden zu geben. Wenn er arbeiten soll, dann sollte er arbeiten, um Vollkommenheit zu erreichen. Aber sich zu bemühen, um nur mit einem Hauch von heiliger Arbeit belohnt zu werden, dafür hat der Körper keinen Treibstoff. Das heißt, wie es geschrieben steht: „Wo immer ein Mangel an Kedusha ist, da ist Halt für die Klipot [Schalen/unreinen Kräfte].“ Das heißt, die Klipot bringen ihn zum Nachdenken: „Solltest du für eine so geringe Belohnung so hart arbeiten, also einen so geringen Halt in Kedusha haben?“

Daraus folgt, dass die Klipot die Kraft haben, ihn zu einem großen Teil von der Kedusha zu entfernen. Das heißt, es wird ihm nicht gesagt, dass es sich nicht lohnt, sich für die Heiligkeit anzustrengen. „Heiligkeit, das heißt, dem König zu dienen, ist sicherlich eine großartige Sache, aber du kannst selbst sehen, dass du nicht die Kraft dazu hast.“ Er erweckt deshalb die Gefahr, dass er ganz von der Arbeit abfällt, denn jetzt hat der Körper in der Arbeit das Heft in der Hand, da der Mensch selbst seine Unzulänglichkeiten in der Arbeit sehen kann.

Aber in der Arbeit auf einer Linie wusste er, dass dies seine Vollkommenheit war, denn er wurde von Anfang an belehrt, dass liShma für große Menschen ist, die mit großen natürlichen Talenten und guten Eigenschaften geboren wurden und mit großen Kräften, ihren Körper zu überwinden. Das heißt, sie beherrschen sich selbst und können ausführen, was sie wollen, und niemand kann sie aufhalten.

Von dir wird nur das verlangt, was du kannst. Das heißt, du tust, was du kannst, und damit hast du deine Pflicht erfüllt, denn die Tora wurde nicht den dienenden Engeln gegeben, sondern allen Menschen, jedem nach seinen Fähigkeiten.

Sobald er jedoch beginnt, auf der linken Linie zu wandeln, spürt er, dass auch er Dwekut [Anhaftung] an den Schöpfer erreichen und arbeiten sollte, um zu geben, und fortan wird er keine Vollkommenheit in der Arbeit der rechten Linie spüren können, denn die Linke behindert ihm. Hier beginnt die Arbeit des Glaubens über dem Verstand. Er muss glauben, dass die Arbeit in der Kedusha eine sehr wichtige Arbeit ist. Deshalb ist es ihm im Verstand egal, ob er mit wahrer Vollkommenheit oder der Vollkommenheit, die er verdient, belohnt wird. Das heißt, er hat das große Privileg, die heilige Arbeit nicht vollkommen, sondern nur zu einem sehr kleinen Teil zu tun. Er betrachtet es aber als ein großes Glück, dessen Wert er nicht einmal ermessen kann.

Daraus folgt, dass er in der Arbeit, wenn er auf dieser Linie wandelt, die Kedusha so wertschätzt, dass sie ständig an Bedeutung gewinnt. Denn er soll über dem Verstand an ihre Größe glauben, obwohl er sie eigentlich noch gar nicht spürt. Er muss sich sagen: „Der Grund, warum ich über den Verstand hinaus an die Bedeutung der Tora und der Mizwot glauben muss, ist, dass ich noch nicht würdig bin, ihre Bedeutung und Erhabenheit zu spüren, denn es ist bekannt, dass man, solange man noch in Eigenliebe versunken ist, nicht in der Lage ist, die Freude und den Genuss zu empfinden, die in ihnen eingekleidet sind. Aber in Wahrheit werde ich es sehen können, wenn ich würdig bin.“

Der Grund, weshalb er über den Verstand hinaus glauben muss, liegt nicht darin, dass es ihm an dem Licht mangelt, das in Tora und Gebote eingekleidet ist. Der Mangel liegt vielmehr im Kli [Gefäß] des Unteren, das dafür noch untauglich ist. Aber der Schöpfer weiß, wann ich geeignet bin, und wird mich gewiss den Geschmack von Tora und Mizwot spüren lassen. Daraus folgt, dass wir über dem Verstand glauben sollen, nicht weil wir das Gute darin nicht spüren können, denn das Licht ist verhüllt und wir können es nicht erlangen. Wenn dem so ist, was bedeutet dann: „Denn sie sind unser Leben“, was über die Tora und die Gebote gesagt wird? Vielmehr soll er über dem Verstand glauben, solange er seine Gefäße des Empfangens nicht korrigiert hat. Doch wenn er seine Korrektur vollendet hat, werden sich Freude und Genuss in allem Heiligen, mit dem er sich befasst, ausbreiten.

Wenn er deshalb auf der rechten Linie wandelt und über dem Verstand an die Wichtigkeit glaubt, die er der Tora und den Mizwot zuschreibt, kann er auch die kleinste Sache, d.h. sogar eine Berührung, schätzen, d.h. selbst Lo liShma von Lo liShma kann ihm Freude bereiten, denn mit dieser Handlung befolgt er das Gebot des Schöpfers.

Danach muss er jedoch auf die linke Linie wechseln, d.h. die Arbeit kritisch betrachten – ob die Arbeit, die er ausführt, ein Weg ist, um Dwekut an den Schöpfer zu erreichen, wie unsere Weisen sagten: „Ich habe den Bösen Trieb erschaffen; Ich habe die Tora als Gewürz erschaffen“, und er wirklich auf dieses Ziel hinarbeitet. Dies wird als Gefahr für sich selbst angesehen. Wenn er sich auf der linken Linie befindet, besteht seine Arbeit hauptsächlich darin, zu beten, d.h. den Schöpfer anzurufen, ihm von oben zu helfen, wie unsere Weisen so sagten: „Wer kommt, um sich zu reinigen, dem wird geholfen.“

So können wir die Bedeutung der Engel interpretieren, die Jakob umgaben, wie es im Heiligen Sohar heißt, dass die Engel kamen, um ihn zu beschützen, was bedeutet, dass es Hilfe ist, die von oben kommt, um ihn zu unterstützen, damit er seinen Weg fortsetzen kann. Die Hilfe kommt jedoch von oben, wenn der Mensch die Arbeit bereits begonnen hat und auf halbem Weg steht und um Hilfe schreit. Aber bevor er die Arbeit begonnen hat, bekommt er keine Hilfe.

Als Jakob die Arbeit begonnen und sich in Gefahr begeben und den Schöpfer um Hilfe gebeten hatte, wurden Engel geschickt, um ihn zu bewahren, damit er den Krieg, in den er bereits eingetreten ist, gewinnen kann. Anders ist es jedoch, wenn er bereits seine begonnene Arbeit abgeschlossen und Hilfe von den Engeln erhalten hat, und er beabsichtigt, eine neue Arbeit zu beginnen, die als „kleine Vertiefungen“ bezeichnet wird. Der Anfang dieser Arbeit ist Dunkelheit, die als „Nacht“ bezeichnet wird, und dies wird als eine Gefahr betrachtet, die für das bloße Auge sichtbar ist, da anstelle von Dunkelheit, die als die linke Linie bezeichnet wird, sie als Gefahr angesehen wird. Aber er muss alleine beginnen. Und danach, wenn er sieht, dass er es nicht kann, beginnt er um Hilfe vom Schöpfer zu bitten, und dann wird er erneut Hilfe von oben erhalten.

Zusammenfassung

Diese Artikel von Rabash befasst sich mit der spirituellen Arbeit und dem Kampf des Menschen gegen seinen inneren Trieb, wie es in verschiedenen Quellen wie dem Talmud und dem Sohar beschrieben wird.

Rabash erläutert zunächst die Auseinandersetzung zwischen dem menschlichen Trieb und der göttlichen Hilfe, die in der Talmudstelle Sukka 52 und im Heiligen Sohar angesprochen wird. Es wird die Geschichte von Jakob und den Engeln diskutiert, die ihn umgaben, sich aber von ihm trennten, als er sich in offensichtliche Gefahr begab. Diese Trennung symbolisiert, dass himmlische Boten den Menschen nicht in offensichtlicher Gefahr schützen.

Rabash erklärt weiter die spirituelle Arbeit in den Begriffen der rechten und linken Linie. Die rechte Linie repräsentiert die einfache, aufrichtige Befolgung der Tora und Mizwot (Gebote), ohne nach tieferen Absichten zu suchen. Diese Linie wird als sicher angesehen, da sie keine spirituelle Gefahr birgt. Die linke Linie hingegen beinhaltet die kritische Selbstreflexion und das Bestreben, Handlungen mit der richtigen Absicht, nämlich für den Schöpfer, auszuführen. Dieser Weg wird als riskanter angesehen, da er die Gefahr birgt, dass man sein spirituelles Leben verliert, wenn man die eigene Unzulänglichkeit erkennt.

Die Diskussion umfasst auch die Idee von Lohn und Belohnung in der spirituellen Arbeit. Rabash betont, dass die Arbeit mit der rechten Absicht, nämlich um des Gebens willen und nicht um der Belohnung willen, zwar schwierig ist, aber letztlich der wahre Weg zur spirituellen Vollkommenheit ist. Er argumentiert, dass selbst das Arbeiten aus nicht vollkommenen Beweggründen (Lo liShma) wertvoll ist, da es letztlich zu einem höheren spirituellen Zustand (liShma) führen kann.

Zusammenfassend behandelt der Artikel die Natur der spirituellen Arbeit und die Herausforderungen, die mit verschiedenen Ansätzen zu Tora und Geboten verbunden sind. Rabash hebt die Bedeutung der göttlichen Hilfe und die Notwendigkeit des Glaubens und der Hingabe auf dem spirituellen Weg hervor.

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