Rabash, Brief 8

26. Mai 1955, Tel-Aviv, am 48. Tag der Omer-Zählung, einen Tag vor Shavuot

Hallo und alles Gute für meinen Freund…

Als Antwort auf deinen Brief muss ich zugeben, dass ich momentan nichts Schriftliches hinzuzufügen habe. Sondern wie es geschrieben steht: „Sage den Kindern Israel, dass sie ziehen.“[1] Euch ist bekannt, dass „ziehen“ das Gehen von einem Zustand zum zweiten Zustand bedeutet, also die Ortsänderung. Wie Baal Sulam im Sulam Kommentar den Vers „Ein Tag sagt’s dem andern“[2] deutete und dazu schrieb, dass es nicht sein kann, dass ein Tag auf den anderen folgt, ohne dass sich der Zustand der Nacht dazwischen befindet, dass es also in der Mitte eine Pause gibt, sonst gilt dies als ein langer Tag und nicht als ein Tag nach dem andern. Die Arbeitsabfolge ist aber gerade ein Tag nach dem andern. „Und eine Nacht tut’s kund der andern“, was bedeutet, dass es zwischendurch einen Tag gibt, bis hier seine Worte.

Und das ist die Abfolge der Reisen. Fürchtet also keine Zustände, sondern nur wie es geschrieben steht „dass sie ziehen“, geht vorwärts. Aus diesem Grunde muss man immer wieder neuen Strom einfließen lassen, wie … mir in seinem Brief den Vers zitiert hat: „Sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß“[3], und das reiche dem Verstehenden.

Ich offenbare dir hier nebenbei meine Gedanken und meinen Wunsch, obwohl es nicht meine Art ist. Dennoch habe ich den Wunsch und die Lust, dir zu offenbaren, dass mir in den Sinn gekommen ist, über die Menschen von Tiberias nachzudenken und zu wissen, wie sie auf uns schauen, freundlich gesinnt oder herablassend. Ich werde euch in diesem meinen Brief aufschreiben, wie ich mir das Bild der Menschen von Tiberias ausmale, und was ich mir vorstelle. Auch wenn ich das Wesen von Tiberias nicht beschrieben habe, werde ich euch dennoch aufschreiben, was ich denke. Denn momentan befreie ich mich ein wenig von meinen privaten und allgemeinen Sorgen, und ich nehme mir freie Zeit, um den Kopf zu heben und mir das Spiel anzuschauen, welches sich da abspielt. Es ist, als würde ich dort drei Arten von Menschen sehen, drei Formen und Gestalten, eingekleidet in drei Arten von Menschen.

1) Es gibt einen großen Teil, fast den überwiegenden Großteil; der sieht uns, glaube ich, weder negativ noch positiv, weder respektieren sie uns, noch schauen sie auf uns abwertend herab, sondern in Wahrheit sind wir unter jeder Kritik, das heißt, sie denken nichts über uns und nehmen uns nicht wahr, als wären wir überhaupt nicht in dieser unserer Welt auf dem Erdball mit ihnen zusammen. Und auch wenn sie irgendwo irgendwann hören, dass es so etwas gibt wie die Schüler von Rav Yehuda Ashlag seligen Andenkens, interessiert es sie nicht; sie sorgen sich den ganzen Tag um ihren Unterhalt, sowohl hinsichtlich der Leidenschaft, als auch hinsichtlich des Strebens nach Ehre und hinsichtlich der Spiritualität. Sie haben keinerlei Bedürfnis, auf solche Trivialitäten wie uns zu schauen, die wir nur eine Handvoll von Menschen sind, insbesondere wenn sie gehört haben, dass es in dieser kleinen Handvoll einen Disput gibt, denn „eine Handvoll sättigt den Löwen nicht“, d.h. die Handvoll ist zu klein und unwichtig in ihren Augen, dass es ihnen seelische Sättigung und Befriedigung geben würde, uns in ihre Köpfe und ihre Gedanken zu lassen, um über uns gut oder schlecht zu urteilen. So minderwertig sind wir in ihren Augen, einfach unter jeder Kritik, dass es sich für sie nicht lohnt, auch nur einen Augenblick ihrer Zeit mit uns zu vergeuden. Auch wenn ich denke, dass der Löwe uns in alle möglichen Schubladen steckt, aber es ist nichts von alledem, sondern wie oben beschrieben.

Die zweite Gruppe sind die Menschen, die uns respektieren, und bei denen wir bereits Platz in ihrer Welt einnehmen. Diese schauen auf uns wie auf Menschen, die einen Wert und eine Form und einen Rang haben, und sie tun uns bereits den größten Gefallen, indem sie uns Raum und Zeit in ihrem Kopf und in ihrer Freizeit zuweisen. Sie interessieren sich für und verfolgen aufmerksam unsere Positionen und Tätigkeiten, um zu sehen und zu entscheiden, ob wir wirklich gute und ehrliche Menschen sind, um sich über uns ein kritisches Urteil zu bilden, ob es an uns etwas gibt.

Wenn sie darüber nachdenken, dann sehen sie, dass sich da letzten Endes eine Handvoll Menschen an einem Ort um einen Anführer versammelt hat, um heldenhaft und über das Menschenmögliche hinaus allen zu trotzen, die sich gegen sie erheben, und natürlich sind diese Menschen mutig und resolut; sie sind entschieden, nicht zurückzuweichen; sie sind Kämpfer ersten Grades, die im Krieg gegen die Neigung bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen bereit sind; ihre einzige Absicht ist, den Kampf für die Herrlichkeit Seines Namens zu gewinnen.

Doch mit all den Überlegungen, die sie angestellt haben, beginnen sie, auf sich zu schauen, auf der Grundlage ihrer Vorurteile und Neigungen hinsichtlich ihrer Verlangen und Streben nach Ehre; dann müssen sie sich untereinander einigen – auch wenn es bei ihnen untereinander große Entfernungen und Verschiedenheit der Formen gibt und sie sich niemals, unter keinen Umständen auf eine Meinung einigen können. Es kann sogar vorkommen, dass sie einander hassen und es nicht im selben Raum aushalten, und der eine den anderen am liebsten lebendig verschlingen möchte; gegen uns jedoch einigen sie sich und beschließen mit voller Stimme und geeinter Sprache, dass es sich für sie nicht lohnt, sich mit uns zu verbinden.

Vom inneren Willen zu genießen bestochen, wie es heißt: „Bestechung macht die Weisen blind“[4], beginnen sie sofort, das Gegenteil von dem zu sehen, was sie zuvor von uns gedacht haben. Nach allem Löblichen und den guten Eigenschaften, die sie in uns zuvor gesehen haben, [als sie dachten], dass es angemessen und lohnenswert sei, jedem von uns Respekt zu zollen, vollstrecken sie nun, nach der Entscheidung, die sie getroffen haben, ihr Urteil mit großer Leidenschaft und großem Eifer, denn wir verpesten ihnen die Luft mit unseren Ansichten: Einerseits sehen sie, dass die Wahrheit mit uns ist, andererseits bedrückt sie unser Weg.

Sie haben sodann keinen anderen Weg, sich zu befreien, als uns auszumerzen, und unseren Namen von der Erde zu tilgen. Sie investieren Energie und Kraft, um uns in die vier Himmelsrichtungen zu zerstreuen, und sie schmieden Komplotte, wie sie Hindernisse und Stolpersteine auf unseren Wegen auslegen können, und nutzen legitime und illegitime Mittel; auch wenn diese Mittel dem Geiste der Tora und der Menschlichkeit zuwider sind, stört sie das nicht, weil sie sehen, dass es für ihren Willen zu empfangen keine Zukunft geben wird, wenn wir irgendwelche Macht haben sollten, oder wenn sich unsere Ziele an die einfachen und ehrlichen Menschen verbreiten würden, denn dann würden wir die Kraft haben, ihnen die Wahrheit zu zeigen.

Dies ist wiederum schlecht für sie. Es wäre für sie lohnenswerter, zu tun, was ihr Herz begehrt – und gleichzeitig „Gesicht der Generation“ zu bleiben, einflussreiche geistige Führer. Dafür schmieden sie Komplotte, um unsere Zukunft zu zerstören und zu ruinieren, und sagen: „Je schneller desto besser“; es ist einfacher und schöner, sie zu erniedrigen, während sie noch keimen, auf dass keine Erinnerung von ihnen bleibe.

Wir müssen ihnen jedenfalls den Gefallen zurückgeben, und ihnen tausendfach gratulieren, dafür, dass sie uns respektieren und unseren Standpunkt wertschätzen, indem sie wenigstens sagen, dass es etwas gibt, was man widerrufen muss. Das heißt man soll das nicht so sehen, dass sie uns wie Staub ignorieren, sondern wir sind jedenfalls etwas Reales für sie, im Gegenteil zu Menschen der ersten Sorte, die uns nicht registrieren und nicht für wichtig halten, und die überzeugt sind, dass es sich nicht lohnt, dem Aufmerksamkeit zu schenken, was sich um uns herum abspielt. Sie sind unbeeindruckt von unserer Schwäche, die sich darin äußert, dass wir denken, dass sie unsere Handlungen beobachten, weswegen wir uns davon abhalten, bestimmte Dinge zu tun, die ihnen vielleicht nicht gefallen würden. Dies bringt uns oftmals dazu, das Kampffeld zu räumen, aus Angst vor den Menschen der ersten Sorte. In Wahrheit jedoch würde es keiner von ihnen merken und etwas von uns denken. Vielleicht ist dies, wie es geschrieben steht: „und sollt fliehen, da euch niemand jagt“[5]. Wir sollten uns also über Menschen der zweiten Sorte freuen, die zumindest über uns witzeln, uns verunglimpfen und erniedrigen und sich über uns ärgern, also wie oben gesagt, dass wir real sind, und sie nehmen es nicht auf die leichte Schulter, denn sie beschließen, unseren Namen von der Erde zu tilgen.

Und zur dritten Sorte – dort finde ich Menschen, die uns Gutes und Frieden wünschen, aber sie sind wenige, wie in „die kleinste Mehrzahl sind zwei“. Ich bezeichne sie mit der Abkürzung BShMA, also B-Sh-M-A, in der heiligen Sprache (Hebräisch) heißen sie Bosem (Duft, Parfum), und in der Übersetzung (Aramäisch) – BoSMA, denn die Übersetzung ist Achoraim (Rückseite). Das bedeutet, dass sie des Lichts von Panim (Vorderseite, Gesicht) würdig werden sollen, dass all ihre Taten in Kedusha (Heiligkeit) sein mögen, was die „heilige Sprache“ heißt.

Was soll ich tun, um diejenigen in Tiberias zu beschreiben und zu zeichnen, die uns lieben? Dann fühle ich, dass Tiberias eine blühende Stadt ist, und die eben beschriebene dritte Sorte, eingekleidet in zwei Körper, sind vermischt im Wirbelwind und wandern umher zwischen allen Verlangen und Meinungen, die in andere Körper eingekleidet sind, die der ersten und der zweiten Sorte, und es fällt mir schwer, sie zu finden. Es ist, als befänden sie sich in einem großen Haufen von Heu und Stroh; wie kann man darin zwei teure Perlen finden, die zwischen Weizen sind, bedeutungslos in einer überwältigenden Mehrheit. Auch wenn es Gesetz ist, dass „eine Kreatur sogar in einem Tausend zählt“, müssen sie dennoch standhaft bleiben und wie Kraniche schreien, dass sie eine lebendige Kreatur sind.

Daraus müssen wir die Allegorie verstehen, die unsere Weisen bringen: Dass Heu und Stroh und Weizen sich streiten, für wen das Feld gesät wird. Die Argumente von Heu und Stroh hören sich so richtig an, dass es unmöglich ist, sie zu überzeugen; manchmal fürchtet man, der Weizen würde unter dem Druck von Heu und Stroh einknicken. Das Stroh und das Heu sagen: „Sind wir nicht etwa die Mehrheit, und seid ihr, Weizen, doch so nichtig angesichts unserer Größe; wir sind von einem großen Wuchs und wurden geboren, bevor ihr auf die Welt kamt; als ihr also noch inexistent wart, waren wir bereits groß und ausgeformt; unsere Größe ist für jedes Auge sichtbar, und von weitem versetzen wir das Auge in Erstaunen angesichts der Schönheit, die wir jedem Feld verleihen. Ihr Weizen dagegen seid[6] so klein und verborgen, und nur mit besonderer Aufmerksamkeit, wenn man sich euch nähert, kann man euch sehen. Zwangsläufig muss euer Unvermögen der Grund dafür sein. Wir dagegen geben müden Menschen Platz und Zuflucht, die sich des Weges verirren und keinen Platz haben, um ihren Kopf zu betten. Wir nehmen sie unter uns auf, und bedecken sie vor Winden und Raubtieren, dass sie sie nicht sehen mögen. Und wem bringt ihr Genuss?“

„Wenn jedoch die Erntezeit kommt, wissen alle, für wen das Feld gesät wurde“, da Heu und Stroh sich nur dem Vieh zum Fraß eignen und keine Hoffnung für sie besteht, mehr Bedeutung zu erlangen, als sie jetzt haben. Der Weizen dagegen kann nach einigen Korrekturen, wenn er also gebrochen, mehrmals gesiebt, mit Wein und Öl vermischt und in das Feuer gegeben wird, auf den Tisch der Könige kommen und als Opfer dem Herrn gebracht werden. Und der einzige Verdienst, der dem Stroh und dem Heu angerechnet werden kann, ist, dass die dem Weizen gedient haben, dass sie ihn großgezogen und genährt haben; dass sie also die Nahrung aus der Erde genommen und dem Weizen überbracht haben. Dass der Weizen auf dem Rücken des Heus und des Strohs ritt, war ihnen ein Joch und eine Bürde, und ihr Wert ist der eines Knechtes, der einem König dient, und einer Sklavin, die ihrer Herrin dient.

Vor der Ernte jedoch, also vor dem Abschluss, kann man die Korrektheit und Aufrichtigkeit der Wirklichkeit nicht klarstellen, wenn man sie für sich sieht, sondern jeder für sich, das heißt, jeder argumentiert nach seinem Gefühl. Und die Wahrheit zu berücksichtigen, ohne darauf Acht zu nehmen, ob es eine gewisse Minderwertigkeit oder ein unangenehmes Gefühl mit sich bringt, ist keine einfache Sache. [Dies kann] nur jemand, der jede Sache in eine Vielzahl von Details aufspaltet, bis er die Objektivität und die Wahrhaftigkeit der Sache ans Licht bringt. Dafür braucht man jedoch eine Gabe des Himmels, um nicht im Netz der Selbstliebe gefangen zu werden und nicht vom Strom mitgerissen zu werden, der die Allgemeinheit trägt.

Folglich fällt es mir schwer, euch zu finden, wenn ihr allein seid, ohne jegliche Vermischung mit den Verlangen und Meinungen anderer, denn alle verbergen euch, wie oben im Beispiel mit dem Weizen erörtert.

Doch ich weiß mir Rat, wie im obigen Beispiel mit der Erntezeit. Nur in der Nacht, nach Mitternacht, wenn der Nachtwind weht und den Heu- und Strohhaufen verstreut, und alles auf dem Feld flach liegt, wie tote Körper, also auf den Betten im Tiefschlaf – dann begeben sich die zwei Weizen auf die Suche, und zerbrechen ihre Herzen vor dem Vater im Himmel, und begeben sich in die Flammen der Tora bis zum Morgenlicht, bis die Stunde des Gebets kommt. Zu dieser Zeit geht ihre Seele heraus, während sie die Worte des lebendigen Gottes sprechen. Ich denke, dass diese Zeit passend ist, um sich mit den teuren Perlen zu vergnügen, die wie brennende Flammen lodern, um mit der Allgemeinheit Israels zu verschmelzen, mithilfe des Felsens der Erlösung, und möge der Schöpfer dabei helfen.

Ich will noch einige wenige Dinge bezüglich der Liebe niederschreiben. Es ist bekannt, dass es kein Licht ohne ein Gefäß gibt, für jeden Genuss muss es also irgendeine Verkleidung geben, in die sich des Licht des Genusses einkleiden kann. Wenn zum Beispiel ein Mensch etwas Respekt erringen möchte, also von den Menschen respektiert werden möchte, dann besteht sein erster Schritt in den Kleidern, dass er sich also respektabel kleidet, wie unsere Weisen sagten: „Rabbi Yochanan nannte seine Kleider: ‚Meine Ehrenden’“. Dann muss der Mensch also eine Summe an Mühen investieren, um an teure Kleider zu kommen, und auch danach, wenn er die Kleider bereits hat, ist ihm eine große Schuld auferlegt, sie vor Defekten und Schäden zu bewahren. Er muss sie also täglich von Staub reinigen, und wenn sie irgendeinen Fleck haben oder dreckig geworden sind, dann muss er sie waschen und bügeln. Vor allem aber muss er sie vor dem größten Schädiger bewahren – den Motten. Auf Jiddisch heißen sie Mol, das ist eine Art Kleinmücke, die man nicht sehen kann. Das erste Gebot ist, den Kontakt zu alten Kleidern zu vermeiden. Es gibt außerdem ein wunderbares Heilmittel namens Naphthalin, und diese Arznei bewahrt sie (die Kleider) vor Schädlingen namens Mol. Wenn der Mensch also die Kleidung hat, dann ist er bereit, in ihr das Licht des Genusses zu empfangen, eingekleidet in die ehrbaren Kleider.

So ist dies auch in Bezug auf die Liebe: Um des Lichtes der Liebe würdig zu werden, ist man auch darauf angewiesen, eine Kleidung zu finden, damit sich das Licht in diese einkleiden kann. Auf diese Kleidung muss man nach denselben Regeln Acht geben, sie also vor dem „Staub“ der üblen Nachrede bewahren, vor allem aber vor dem Schädling namens „Mol“(Moil bedeutet auf Jiddisch Mund/Maul, ein Wortspiel); dies sind gut aussehende Menschen, die schön sprechen, von denen man denkt, sie hätten sich bereits „beschnitten“ im Bund der Vorhaut und Bund der Sprache, die das Herz verseucht; in ihnen befindet sich jedoch der Schädling, der euch schaden kann, doch man kann sich vor ihm nicht in Acht nehmen, weil er ansehnlich und schön ist.

Aus diesem Grund ist diese Mücke so klein, sodass es unmöglich ist, diesen Schädling ohne besondere Aufmerksamkeit zu bemerken, der von diesen Beschnittenen kommt, die die teure Kleidung kaputt machen können. Es ist außerdem bekannt, dass diese Motte (Mol) am meisten Kleidern aus Wolle (Hebräisch: TzeMeR) schadet, das heißt, Buchstaben MeReTz (Hebräisch: Energie], sie zerstören also die Energie in der Arbeit. Jetush (Hebräisch: Mücke) kommt von „Vajitosh (und er verließ) Gott, der ihn gemacht hatte“[7], oder in Aramäisch: „Und er hörte auf, dem Gott zu dienen, dem er gedient hatte“.

Er ist üblich, dass jemand, der ein teures Kleidungsstück aus Wolle besitzt, es davor bewahrt, mit anderen Kleidern in Kontakt zu kommen. Man muss also darauf achten, dass es nicht mit den „alten Anhängern“ in Berührung kommt, die die Energie wie oben gesagt kaputt machen, weil sie nicht mehr zur Arbeit fähig sind; deswegen sind all ihre Worte nur darauf ausgerichtet, die Energie zu beschädigen. Auch wenn jemand dabei eine feste Kleidung der Liebe besitzt, wie ein Baum, also ein standfestes Individuum ist, auch dann muss man sich von diesem Mol in Acht nehmen. Wenn dieses Mol in den Bau eindringt, kann er auch Schaden zufügen, wie wir sehen, wenn ein Baum zerbröselt und verfault, wenn Mol in ihn eindringt.

Und das einzige Heilmittel ist Naphthalin, vom Wort Neftoley, welches Onkelos als Tefila (Gebet) interpretiert, also zum Schöpfer zu beten, dass diesem Schädling der Zugang zur Kleidung verwehrt wird.

Bei Ehrenkleidern muss man darauf achten, dass wenn Hahnfedern darauf sind, man diese entfernt, und auch, keine Orte zu betreten, an denen es Hahnfedern gibt. In Bezug auf die Kleidung des Lichtes der Liebe erklärt sich das wie folgt: Das Wort Notzot (Hebräisch: Federn) kommt von Nitzim (Zank), also von Hahnenkämpfen, also von Gesängen und Sprechchören von Menschen, die noch im Exil sind, die vom Pfad der Wahrheit fliehen und von der Selbstliebe versklavt sind. All ihre Sprechchöre und Lobpreisungen, die sie während des Torastudiums und des Gebets zeigen, erwecken Streit in eurer Seele, bis ihr beginnt, einen Krieg eurer Ansichten auszufechten, mit wem die Wahrheit und die Gerechtigkeit ist, und dies beschädigt und beschmutzt eure Kleidung, die Liebe in sich beherbergen kann. Es ist also an euch, euch nicht an Orte mit Hahnenfedern zu begeben, um danach keine Arbeit damit zu haben, euch von diesen Federn zu reinigen.

Wir sehen also, dass wenn Menschen, die sich bemühen, Kleider des Lichtes der Ehre zu erlangen, und auf diese Kleider nicht gebührend Acht geben, dass dann, wenn sie hinausgehen, sich die Äußeren sofort an ihren Kleidern festklammern, wenn sie sehen, dass diese Kleider nicht schön, angemessen und dem menschlichen Respekt entsprechend sind. Außenstehende Menschen müssen also sehen, dass er ihre Herrschaft akzeptiert und dass er ihnen untersteht, so sehr, dass er große Anstrengungen unternehmen muss, um Kleider zu erlangen und sie zu bewahren, sowie auch in der Mode, also in ihrer Form und der Art, wie sie zu tragen sind, alles genau gemäß dem Geschmack dieser Menschen, deren Herrschaft er untersteht. Dies bedeutet, dass er gerade für jene, von denen er Ehre erlangen möchte, mit großen Anstrengungen arbeiten muss, um in ihren Augen Gefallen zu finden, damit sie ihm das Licht des Genusses schenken mögen, welches in die Kleider der Ehre gekleidet ist.

Wenn er ihnen nicht zufriedenstellend zu Diensten ist, Gott behüte, dann kann es für ihn zu unangenehmen Folgen führen. Nicht nur, dass sie ihm kein Licht der Ehre schenken werden, um welches er sie ersucht, sondern im Gegenteil werden ihn alle verhöhnen und erniedrigen und ihm das Gefühl von Minderwertigkeit geben. Das Minderwertigkeitsgefühl wird ihn erst in die Traurigkeit und dann zur Trägheit führen, und danach wird er fühlen, dass die ganze Welt für ihn düster geworden ist, und dass er keine Hoffnung in der Welt sieht, dass er auch etwas Genuss beziehen könnte; und nur eine Lösung findet er für sich – nach Hause zu gehen, ins Bett zu steigen, sich flach niederzuwerfen und bitter zu flehen, in der Hoffnung, dass sein Gebet angenommen werden würde, in der Hoffnung also, dass der Engel des Schlafes, der ein Sechzigstel des Todes ist, ihm das Licht des Genusses des Schlafs schenken möge. Dies bedeutet, dass er nur auf diesen Genuss hoffen kann.

Wenn aber, Gott behüte, sich der Schlafengel nicht seiner erbarmt und er kein Heilmittel für sich sieht, dann findet er in der Bitterkeit seiner Seele keine andere Lösung, als den Genuss aus einem Heilmittel zu schöpfen, das unter verzweifelten Menschen verbreitet ist, die ihre Schwermut zu überwinden suchen. Sie kämpfen gegen den Selbsterhaltungstrieb, überwinden ihn, beziehen Genuss aus dem Engel namens „Selbstmord“, sie fühlen also, dass nur dieser Engel sie der Wehmut ihrer Seele zu entreißen vermag. Und es ist offensichtlich, dass der Genuss von diesem Engel nur mit viel Leid und großem und schrecklichen Seelenkampf errungen werden kann.

Deswegen: „der Weise hat seine Augen in seinem Kopf“[8], und er weiß und sieht im Voraus, was er erlangen und erreichen kann, wenn er die Gesetze und Bedingungen seiner Zeitgenossen nicht einhält; also ist er gezwungen, sich in alles zu fügen, was die äußeren Menschen ihm auferlegen, und einzuhalten, was sie von ihm fordern. Anderenfalls werden sie ihn sofort in dieser Welt bestrafen; die Belohnung und die Strafen werden also in dieser Welt offenbart und bedürfen keines Glaubens über dem Wissen. Um die Kleidung zu erlangen, die das Licht des Genusses der Liebe einkleiden soll, und die aus sehr empfindlichen Stoff gemacht ist – wie vorsichtig und wie außerordentlich behutsam und mit welch besonderer Aufmerksamkeit müssen wir sie vor den Äußeren bewahren, dass sie sich daran nicht festklammern und diese teure Kleidung nicht ruinieren mögen, die buchstäblich mit Mühen und Blut gekauft und erlangt wurde.

Nun werde ich euch erklären, wie und auf welche Weise ich beginne, die Kleidung der Liebe zu erlangen.

Um passende Kleidung herzustellen, muss zuerst das Tuch gewebt werden. Man nimmt also Fäden und verwebt sie auf die Kette und Schuss – Weise miteinander. Durch Kette und Schuss entsteht ein Tuch. Also ziehe auch ich den Schussfaden in den Kettfaden. Nima (Aramäisch: „Faden“ oder auch „sagt“) kommt von den Worten: „Sage ein Wort darüber“, Shti (Schuss) kommt von Tashi (Vergesslichkeit), wie in „Den Fels, der dich gezeugt hat, hast du vergessen“[9]. Dies bedeutet, dass ich beginne, mit der Kraft der Erinnerung zu handeln, und gleich kommt in mir die Erinnerung hoch, dass mein Freund schlecht von mir geredet hat, dass diese Reden ihn später zu schlechten Taten mir gegenüber geführt haben, und dieser Faden (oder „Spruch“) zieht die Freundschaft, und die Kameradschaft, und die Brüderlichkeit. Und dann kommt mir der Kettfaden in den Sinn, dass ich gehört habe, dass der Freund Gutes von mir gesagt hat, und ihn dies zu guten Taten brachte, die wohl schmeckend (Aravim, Wortspiel mit Erev, Kettenfaden) und süß für meinen Gaumen waren. Ich höre und sehe also, dass mein Freund sich von seinen Geschäften abwendet, und nur zu meinem Wohl denkt und handelt, auf dass ich süße Genüsse haben möge. Diese zwei Fäden (oder Sprüche) verweben sich also bei mir, sodass ich nicht weiß, was ich entscheiden und was ich sagen soll, ob die Wahrheit gemäß dem Schussfaden oder gemäß dem Kettfaden ist.

Es ist bekannt, dass alles, was sich in unserer Welt befindet, sich in positiver und negativer Form manifestiert: Rechts und links, Wahrheit und Lüge, Licht und Dunkelheit, Israel und die Völker, Heiliges und Weltliches, Schmutz und Reinheit, Böse und Gut. Grund dafür ist, dass man den Geschmack des Guten nicht unterscheiden kann, wenn man den bitteren Geschmack des Bösen nicht fühlt. Dazu sagten die Weisen: „Um die Bösen zur Rechenschaft zu ziehen und um den Gerechten reichen Lohn zu geben“[10]. Para (Rechenschaft) kommt von „Para (lasse los/zerstreue) das Haar der Frau“[11]. Dies bedeutet, dass man von den Bösen Hilfe erhalten kann, um den Geschmack und das wahre Gefühl für den guten Lohn der Gerechten zu bekommen.

Während ich also ein Kleidungsstück webe, stehe ich nun erstaunt da, in Erwartung des Urteils, welches die Armut des Verstandes, die in mich eingekleidet ist, herausbringen wird. Da ich gerade damit beschäftigt bin, ein Kleidungsstück der Liebe zu weben, damit darin das Licht des Genusses weilt, bin ich bereits mit der Sache in Berührung und voreingenommen; also entscheide ich gemäß den Worten des Webens, wie die Tora uns andeutete: „Bestechung macht die Weisen blind“. Wenn dem so ist, dann ist mir nicht mehr wichtig, ob die Wahrheit hier der Sache gemäß ist, sondern mir ist das Ziel wichtig, welches ich momentan anstrebe, während ich die Kleider der Liebe webe. Damit habe ich die entscheidende mittlere Linie. Das bedeutet, dass das Ziel stets dasjenige ist, was zwischen rechts und links die Entscheidung fällt.

Sobald ich die oben genannte Kleidung bereits habe, fangen gleich die Funken der Nächstenliebe an, in mir zu leuchten, und das Herz beginnt, sich zu sehnen und mit meinen Freunden zu vereinigen, und mir scheint, als würden meine Augen meine Freunde erblicken, und als würden meine Ohren ihre Stimmen vernehmen, und [als würde] mein Mund mit ihnen sprechen; als würden meine Arme sie umarmen, als würden meine Füße in Liebe und in Freude mit ihnen im Kreise tanzen. Ich verlasse meine physischen Grenzen und vergesse, dass es einen großen Abstand zwischen mir und meinen Freunden gibt, und das ausgestreckte Land von vielen Kilometern kann uns nicht trennen, als würden meine Freunde in meinem Herzen stehen und alles sehen, was sich dort abspielt. Ich fange an, mich meiner kleinlichen Taten gegenüber meinen Freunden zu schämen. Ich verlasse dann einfach die physischen Gefäße, sodass es in meinen Augen erscheint, als gäbe es keine andere Wirklichkeit in der Welt als mich und meine Freunde. Und danach wird auch das „Ich“ aufgehoben und in der Gesamtheit der Freunde vertilgt und aufgenommen, bis ich da stehe und verkünde, dass es keine Wirklichkeit in der Welt gibt – nur die Freunde.

Ich muss es kurz halten, da der Feiertag kommt.

Euer Freund Baruch Shalom Ashlag

[1] Exodus 14:15

[2] Psalmen 19:3

[3] Klagelieder 3:23

[4] 5. Mose 16:19

[5] 3. Mose 26:17

[6] Plural gemäß dem Originaltext, Anm. Ü

[7] 5. Mose 32:15

[8] Prediger 2:14

[9] 5. Mose 32:18

[10] Sprüche der Väter 5:1

[11] 4. Mose 5:18

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