Baal HaSulam, Brief 25, Gleichnis über den Sohn eines Reichen im Keller

London, im Jahr 5687 (1927)

Lieber Freund und unser Lehrer,

möge seine Kerze immer leuchten.

… Und du schriebst, dass du die neuen Worte der Tora, die ich dir schrieb, nicht verstehst. Dennoch hätten sie dir verständlich sein sollen, und wenn dein Weg gerade wird, wirst du sie sicherlich verstehen, denn deshalb schrieb ich sie dir.

Und das, was du über den Ausspruch: „Vorsätzliche Vergehen (Sdonot) werden für ihn zu Verdiensten“ erklärt hast, dass er im Moment seiner Rückkehr (Tshuwa) zum Schöpfer klar sieht, dass der Schöpfer ihn hinsichtlich seiner Übertretungen (Awonot) gezwungen hat, und er sich dennoch ganz den Korrekturen hingab, als wären diese Übertretungen aus seinem eigenen Willen hervorgegangen, und dadurch werden die „vorsätzlichen Vergehen“ zu Verdiensten usw.: Du hast das Ziel noch nicht erreicht, denn letztlich machst du aus  „erzwungenen Handlungen (Onsim)“ Verdienste, aber nicht aus „vorsätzlichen Vergehen“. Und noch mehr bist du vom Weg abgewichen bei der Deutung der Sünde (Chet) von Adam haRishon, indem du seiner Seele das Exil aufgrund jener „erzwungenen Handlung (Ones)“ unterstellst, wie oben erwähnt, und hast die „erzwungene Handlung“ als „unabsichtliches Vergehen (Shgaga)“ dargestellt. Und was du erklärt hast, dass es keinen Unterschied macht, ob sich das Kind selbst oder durch die Taten seines Vaters beschmutzt hat, letztlich sei es schmutzig und müsse sich waschen gehen – ich wundere mich sehr! Wie kann Schmutz aus Reinheit hervorgehen?

Doch deine letzten Worte sind zutreffend, nämlich dass du nicht verstanden hast, weil du dich an einen Ort gewagt hast, der nicht deiner ist, und weil du dir angewöhnt hast, dich mit Herden zu beschäftigen, die nicht die deinen sind. Deshalb hast du meine Worte nicht genau verstanden, die nur speziell auf dich allein zielen. Gott gebe, dass diese Worte dir genügen, damit du nicht mehr in fremden Gärten weidest. Denn es steht im Sohar geschrieben: „Ein Mensch darf nicht dorthin schauen, wo es nicht nötig ist.“

Und du hast geschrieben, dass ich Worte zwischen den Zeilen verstecke usw. Es heißt: „Deine Bedürfnisse, mein Volk Israel, sind zahlreich“ (Berachot 29b) usw. Denn keine Stunde gleicht der anderen, und umso mehr „die, die an der Tür umhergehen, hin und her, und die Tore nicht öffnen“, – es gibt kein Ende der Veränderungen ihrer Zustände. Und wenn ich ein Wort der Tora schreibe oder es mündlich sage, damit es wenigstens für einige Monate Nahrung gibt, das heißt, damit es in guten Momenten innerhalb dieser Zeit verstanden wird – was aber soll ich tun, wenn die guten Momente selten sind, oder das Leere gegenüber dem Ganzen überwiegt, und meine Worte vergessen werden?

Und es ist sicher, dass man meine Worte mit intellektuellem, theoretischem Verstand in keiner Weise betrachten kann, denn sie wurden aus den Buchstaben des Herzens gesprochen und zusammengesetzt.

Und bezüglich deines Vergleichs, als ob du eingetreten bist und nicht herauszukommen wusstest, weil du müde warst, dies zu tun, werde ich dir im Allgemeinen sagen, dass derjenige, der aus Liebe umkehrt, das Ziel der Anhaftung (Dwekut) erreicht, das heißt; die höchste Erhabenheit. Und derjenige, der zur Sünde (Chet) bereit ist, befindet sich in der untersten Unterwelt (Sheol). Und dies sind die beiden entferntesten Punkte der gesamten Schöpfung. Auf den ersten Blick wäre es genauer über die „Umkehr“ (Tshuwa) zu sagen, dass sie „Vollkommenheit“ genannt werden sollte, aber dies allein, um zu zeigen, dass alles im Voraus vorbereitet ist, und jede Seele bereits in ihrem ganzen Licht und ihrem Guten und ihrer Ewigkeit ist. Nur aufgrund des „Brotes der Scham” ging die Seele im Geheimnis der Einschränkung (Zimzum) hinaus, um sich in einen schmutzigen Körper zu kleiden, und nur dank ihm kehrt sie zu ihrer Wurzel vor der Einschränkung zurück, mit einem Gewinn aus diesem ganzen schrecklichen Weg, den sie zurückgelegt hat, wobei die Gesamtheit des Lohns die wahre Anhaftung (Dwekut) ist. Das heißt, sie befreite sich vom „Brot der Scham”, denn ihr Empfangsgefäß (Kli) verwandelte sich in ein gebendes Kli, und ihre Form glich sich ihrem Schöpfer an. Und ich habe viel darüber gesprochen.

Und verstehe daraus. Wenn dieses Fallen dem Aufstieg dient, wird es als Aufstieg betrachtet, und nicht als Fallen, denn tatsächlich ist das Fallen selbst der Aufstieg, denn die Buchstaben des Gebets selbst sind mit Fülle (Shefa) gefüllt, und im kurzen Gebet wird die Fülle gekürzt, weil es an Buchstaben mangelt. Denn die Weisen sagten: „Wenn Israel nicht gesündigt hätte, wären ihnen nur die fünf Bücher der Tora und das Buch Josua gegeben worden.“ Und betrachte dies eingehend.

Und womit ist dies vergleichbar? Mit einem Reichen, der einen einzigen Sohn hatte, jung an Jahren. Eines Tages musste der Reiche für viele Jahre weit weg reisen. Und der Reiche fürchtete sich, dass sein Sohn sein Vermögen für schlechte Zwecke verschwenden würde.

Und so erwies er sich als weise und tauschte sein Vermögen gegen Edelsteine, Perlen und Gold. Und er baute einen großen Keller tief in der Erde, und legte dort all sein Gold, seine Edelsteine und Perlen hinein, und auch seinen Sohn setzte er dort hinein.

Und er rief seine treuen Diener und befahl ihnen, seinen Sohn zu bewachen, damit er den Keller nicht verlasse, bis er zwanzig Jahre alt werden würde. Und jeden Tag sollten sie ihm Speisen und Getränke hinunterreichen, aber auf keinen Fall Feuer oder Kerzen. Und sie sollten die Wände prüfen, damit keine Risse vorhanden seien, durch die Sonnenstrahlen eindringen könnten. Und für seine Gesundheit sollten sie ihn jeden Tag für eine Stunde aus dem Keller herausführen und mit ihm in der Umgebung der Stadt spazieren gehen, aber unter strenger Bewachung, damit er nicht entkomme, und wenn er zwanzig Jahre alt würde, dann würden sie ihm Kerzen geben, und ein Fenster öffnen, und ihn herauslassen.

Es ist klar, dass das Leid des Sohnes grenzenlos war, und besonders, wenn er draußen spazieren ging und sah, dass alle jungen Leute essen, trinken und sich auf der Straße freuen, ohne Bewachung und ohne Zeitbegrenzung, während er im Kerker ist, und nur wenige Momente Licht hat, und wenn er versucht hätte zu entkommen, wären sie unbarmherzig auf ihn losgegangen. Und noch mehr war er betrübt und niedergeschlagen, als er hörte, dass sein eigener Vater ihm dieses Leid auferlegt hatte, denn die Diener sind die seines Vaters, die den Befehl des Vaters ausführen. Natürlich denkt er, dass sein Vater der grausamste von allen Grausamen ist, die je waren, denn wer hat je von so etwas gehört?

Am Tag, als er zwanzig Jahre alt wurde, ließen die Diener ihm eine Kerze hinunter, wie es der Vater befohlen hatte, und der junge Mann nahm die Kerze und begann sich umzusehen, und siehe da, was sieht er? Säcke voller Gold und königlicher Schätze.

Erst dann verstand er den Vater, dass er wirklich barmherzig ist, und alles, was er tat, tat er nur zu seinem Wohl, und sofort verstand er, dass die Diener ihn aus dem Keller freilassen würden, und so tat er es. Er verließ den Keller, und es gibt keine Bewachung mehr, keine grausamen Diener, und er ist reich, reicher als alle Reichen des Landes.

Und in der Tat gibt es hier keine Neuigkeit, denn es ist von Anfang an klar, dass er sein ganzes Leben lang ein großer Reicher war, aber seinem Gefühl nach war er arm und elend, sein ganzes Leben lang bis zum äußersten bedrückt, und jetzt in einem Moment hat er ein großes Vermögen erlangt, und ist „aus einer tiefen Grube auf ein hohes Dach“ gestiegen. Und wer kann dieses Gleichnis verstehen? Wer versteht, dass die „vorsätzlichen Vergehen (Sdonot)“ selbst eben der tiefe Keller sind, mit sicherer Bewachung, damit man nicht entkommen kann. Und ich frage mich, ob du das verstehst.

Und von hier ist es klar, dass der Keller und die sichere Bewachung, all dies sind „Verdienste“, und die Barmherzigkeit des Vaters gegenüber seinem Sohn, ohne die er keineswegs die Situation gehabt hätte, reich wie der Vater zu werden. Aber die „vorsätzlichen Vergehen“ – das sind wirkliche „vorsätzliche Vergehen (Sdonot)“, und nicht „unabsichtliche Vergehen (Shgagot)“ und nicht „Zwang von Oben“. Und solange bis er wieder reich wurde, herrschte das erwähnte Gefühl, vollständig und im vollen Sinne – aber nachdem er wieder reich geworden ist, sieht er, dass all dies Barmherzigkeit des Vaters ist, und keine Grausamkeit, Gott bewahre.

Und es muss verstanden werden, dass die ganze Liebesbeziehung zwischen dem Vater und seinem einzigen Sohn von der Anerkennung des Sohnes der Barmherzigkeit des Vaters in Bezug auf den Keller, die Dunkelheit und die sichere Bewachung abhängt, denn eine große Anstrengung und tiefe Weisheit sieht der Sohn im Erbarmen des Vaters.

Auch im Heiligen Buch Sohar wird darüber gesprochen, und es steht geschrieben, dass dem, der die Umkehr verdient hat, die heilige Shechina (göttliche Gegenwart) offenbart wird, wie eine sanftmütige Mutter, die ihren Sohn viele Tage nicht gesehen hat, und sie unternahmen große und viele Handlungen, um einander zu sehen, und beide erlitten große Gefahren und so weiter, und schließlich kam diese Freiheit zu ihnen, auf die sie sehnlichst warteten, und sie verdienten es, einander zu sehen, und dann fällt die Mutter in seine Arme und küsst ihn und tröstet und ermahnt ihn den ganzen Tag und die ganze Nacht, und erzählt ihm von der Sehnsucht und den Gefahren auf dem Weg, die sie bis zu diesem Tag erfahren hat, und wie sie immer bei ihm war, und sich die Shechina nicht wegbewegte, sondern überall mit ihm litt, nur dass er dies nicht sehen konnte.

Und dies ist die Sprache des Sohar: Sie sagt zu ihm, hier haben wir geruht, hier haben uns Räuber überfallen und wir haben uns vor ihnen gerettet. Hier haben wir uns in einer tiefen Grube versteckt usw., und welcher Einfältige würde nicht das Übermaß an Liebe, Anmut und Wonne verstehen, die aus diesen Worten des Trostes hervorbrechen und herausströmen.

Und in der Tat, vor dem Aufeinandertreffen von Angesicht zu Angesicht war dies ein Gefühl des Leidens, schwerer als der Tod, aber im Geheimnis der Plage (Nega, נֶגַע), denn der Buchstabe Ayin ע steht am Ende der Läuterung, aber im Moment des Erzählens der Worte des Trostes, wenn Ayin ע am Anfang der Läuterung steht, ist es natürlich – Vergnügen (Oneg, עֹנֶג). Doch dies sind zwei Punkte, die nur dann leuchten, wenn ihre Existenz in einer Welt gefunden wird. Und stelle es dir umgekehrt vor: einen Vater und einen Sohn, die sich in großer Ungeduld erwarteten, über Tage und Jahre, und schließlich sahen sie einander. Doch der Sohn ist stumm und taub, und sie können sich überhaupt nicht miteinander erfreuen. Und es stellt sich heraus, dass das Wesentliche der Liebe in der Wonne besteht, die von der Hand des Königs gegeben wird.

Yehuda Leib

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