Erläuterung zu „Unbelebt, pflanzlich, tierisch, Mensch“
Von Dr. Michael Laitman, siehe auch Shamati 115
In der Natur unterscheidet man vier Stufen: unbelebt, pflanzlich, tierisch, sprechend (Mensch).
Als unbelebt bezeichnen wir, was keine Freiheit und keine Herrschaft über sich besitzt. Das bedeutet, dass Freiheit mit der Herrschaft über sich selbst beginnt, und mit der Herrschaft über sich beginnt das spirituelle Leben. Derjenige, der nicht über sich selbst herrscht, ist spirituell tot. Einer der Zustände eines ernsthaft zum Schöpfer strebenden Menschen ist jener, in dem er sieht, dass er in nichts Kontrolle über sich hat. Das lässt in ihm eine Bitte, einen Aufschrei zum Schöpfer entstehen, damit dieser ihm die Kraft gibt, sich selbst, den eigenen Egoismus zu beherrschen.
Er bittet darum, dass sein Körper ihm in allem gehorchen möge, aber nicht etwa, um stark zu sein und in dieser Welt alles, was er will, nach eigenem Gutdünken tun zu können. So tun es in unserer Welt starke Menschen, deren ausgeprägter Wille alle anderen beherrscht. In diesem Fall ist der Mensch sogar ein noch größerer Egoist. Alle kleinen Wünsche können sich in ihm als Komponenten zum Dienste eines großen egoistischen Willens versammeln.
Der Weg zum Spirituellen vollzieht sich aber anders. Der Mensch gelangt zu einem Zustand, in dem er alle seine Wünsche dem Schöpfer unterordnen will. Darin besteht seine Freiheit, darin besteht seine Willenskraft und darin besteht seine Herrschaft über sich selbst. Er will, dass die Eigenschaften des Schöpfers über ihn herrschen.
Der Schöpfer herrscht über ihn doch auch so! Der Mensch will aber, dass dies aus seinem eigenen Wunsch heraus geschieht, damit er sieht, weiß, versteht und genießt, dass der Schöpfer über ihn herrscht, damit er vollkommen damit einverstanden ist und den Wünschen und Gedanken des Schöpfers zuvorkommt, wie ein Pferd die Gedanken des Reiters errät, und vorher weiß, wohin er es lenken wird.
So ist der unbelebte Zustand, aber es ist der unbelebte, leblose Zustand der spirituellen Stufe. Der Mensch hat da noch keine Freiheit und keine Herrschaft über sich selbst, um alles zu tun, was er will – in der Bedeutung, sich mit allem einverstanden zu erklären, was der Schöpfer in Bezug auf ihn vorhat. Er kann sich noch nicht der Macht des Herrn unterstellen. Jedoch spürt er bereits, dass er verpflichtet ist, alle Wünsche des Herrn zu erfüllen. Somit ist er zwar noch nicht frei, spürt aber bereits und versteht irgendwie, dass er nicht frei ist und keine Macht über sich besitzt.
Weil jedoch der Schöpfer alle Geschöpfe aus eigenem Interesse erschaffen hat, ist die Natur des Schöpfers in den Geschöpfen abgedruckt, das heißt, jedes Geschöpf tut alles nur für sich, aus rein egoistischen Beweggründen. Alles, was erschaffen wurde, wurde nur dazu erschaffen, alle eigenen Wünsche dem Allerhöchsten zu unterwerfen – dem Willen des Schöpfers. Der Mensch empfindet das, er versteht das. Er weiß, dass der Hausherr in vollkommen anderen Qualitäten existiert – und er selbst noch in den eigenen – und er noch in nichts über sich herrscht.
Pflanzlich stellt jenen Zustand dar, wenn sich bereits der Beginn eines selbständigen Willens abzeichnet, sodass er schon etwas gegen den Willen des Herrn tun kann. Der Mensch erlangt ein Instrument, einen Schirm, eine innere Kraft, und er kann beginnen, mit den eigenen Wünschen zu arbeiten.
Er geht gegen den eigenen Herrn – gegen die eigene Natur, welche der Schöpfer in ihn eingepflanzt hat, gegen den eigenen Egoismus. Er schaut bereits auf die eigene Natur, als vom Schöpfer direkt ausgehend, und ist mit ihr nicht einverstanden. Er will ihr sein Verhalten gegenüberstellen und so auf sie einwirken.
So sagt ein Gast, der am reichlich gedeckten Tisch sitzt, zum daneben sitzenden Hausherrn, dass er das für ihn Bereitete nicht annehmen will, sondern sein eigenes Gesetz des Empfangens einführen will. Das geht dem Wunsch des Schöpfers entgegen. Denn der Hausherr hat doch alles für den Gast zubereitet, damit dieser es direkt empfängt: nimm und genieße!
Ein Mensch, der sich auf der pflanzlichen Stufe befindet, beginnt, gegen den Wunsch des (Haus-) Herrn zu handeln. In etwas kleinem kann er bereits beginnen, etwas nicht für sich zu tun, sondern zu geben. Das ist gegen den Willen zu Empfangen gerichtet, den der Herr ihm bei der Erschaffung einpflanzte.
Der Schöpfer hat in uns einerseits den Willen erschaffen und will ihn auch füllen und andererseits will er von uns, dass wir uns die Eigenschaft des Gebens aneignen. Folglich sind diese beiden Wünsche – Wünsche des Schöpfers. Im eigenen egoistischen Willen verweilend findet er sich trotzdem im Willen des Schöpfers – im direkten. Wenn er sich sodann im altruistischen Willen befindet, wird er sich auch im Willen des Schöpfers befinden, nur im indirekten (entgegengesetzten). Es gibt nichts außer dem Wunsch des Schöpfers, nichts außer Seinem Willen, Seiner Kraft und Seiner Macht über uns – „es gibt niemanden außer Ihm“.
Der Mensch hat aber eine Wahl, nämlich unter welcher Macht, unter welcher Einwirkung, unter welcher Kraft und unter welchem Willen des Schöpfers er sich befinden will. Der Mensch kann eines von beiden wählen. Warum befinden sich aber diese zwei Wünsche des Schöpfers in uns nicht in der gleichen Empfindung? Und tatsächlich ist es so, dass, wenn wir in die spirituelle Welt eintreten und beginnen, entlang der mittleren Linie aufzusteigen, diese zwei Varianten – sich unter der Macht des Egoismus oder unter der Macht des Altruismus zu befinden, gleichwertig werden. Dieser Zustand wird als „Klipat Noga“ bezeichnet, eine Hülle, die sich zwischen dem Geben und dem Empfangen befindet, das heißt, entweder dem einen oder dem anderen zugehörig. Das ist der Mensch.
Der Mensch muss sich einfach zwischen der Eigenschaft des Gebens und der Eigenschaft des Empfangens neutral positionieren. Wenn er sich in einem neutralen Zustand befindet, ist er frei, und dann verfügt er über einen freien Willen und trifft seine Entscheidungen selbst.
An unseren irdischen Pflanzen sehen wir, dass sie sich zwar verändern, wachsen können, ihnen allen jedoch eine Besonderheit eigen ist – keine einzige von ihnen kann sich der Natur der Pflanzen entziehen. Jede Pflanze ist verpflichtet, sich den Gesetzen zu ergeben, die für alle Pflanzen Gültigkeit haben und sie hat keine Möglichkeit, etwas anderes zu tun als das, was alle machen. Sie hat kein eigenständiges Leben und ist Teil des Lebens aller Pflanzen.
Alle Pflanzen haben einen einheitlichen Lebensverlauf, als wären sie alle Teile einer einzigen Pflanze. Sie beginnen und beenden ihr Wachstum zur gleichen, streng bestimmten Zeit. Es hängt nicht von ihnen ab, alles ist geplant und vorprogrammiert. Sie entwickeln sich, wachsen, aber ihr Wachstum hängt nicht von ihnen ab.
So ist das auch im Spirituellen: derjenige, der schon etwas Kraft hat, um den eigenen Willen zu Empfangen zu überwinden, ist noch immer Sklave. Zwar nicht mehr des eigenen Willens, aber des Willens seines Umfeldes, und er fühlt sich außerstande, dagegen anzutreten. Er tut aber bereits etwas, das seinem Willen zu Empfangen entgegensteht, das heißt, er handelt nach dem Willen zu Geben. Der Mensch ist sodann im eigenen Inneren frei, jedoch nicht frei von der Gesellschaft.
Die tierische Stufe wird davon gekennzeichnet, dass jeder über eigene Besonderheiten verfügt, sich nicht in voller Abhängigkeit von der Umgebung befindet und jeder über seine Empfindung und seine Eigenschaften verfügt.
In unserer Welt sehen wir, wie jedes Tier sich frei bewegen kann, unabhängig von anderen, obwohl es sich den allgemeingültigen Normen unterwirft. Viele Arten vermehren sich zur gleichen Zeit, fallen zur gleichen Zeit in Winterschlaf usw.
Jedes Tier verfügt über die eigenen Besonderheiten, die eigenen Empfindungen und die eigenen Eigenschaften. Es ist kein Sklave der Umgebung und kann in etwas gegen den Willen des Herrn handeln, das heißt, altruistisch arbeiten. Es hat ein eigenes, privates Leben, das nicht vom Leben anderer abhängt. Im Spirituellen hängt es nicht von dem ab, was es vom Umfeld erhält. Es kann sich ein Umfeld erschaffen. Es ist für ihn notwendig, es hängt aber nicht von ihm ab, wie ein kleines Kind von der Umgebung abhängt. Seine Abhängigkeit von der Umgebung ist die Abhängigkeit eines Erwachsenen.
Dies bedeutet, dass in seinem Inneren bereits Raum dafür geschaffen wurde, gegen den Herrn zu handeln, gegen jenen egoistischen Willen, den ihm der Schöpfer eingepflanzt hat – unabhängig von der ihn umgebenden egoistischen Gesellschaft, gegen sie. Es erschafft für sich eine altruistische Gesellschaft. Wenn es sich in dieser befindet, annulliert es nicht nur sein „Ich“, es wird den anderen gleich.
Der Mensch – die sprechende Stufe – verfügt über folgende Vorteile:
- Er handelt gegen den Willen des Herrn. Er kann vollkommen mit dem eigenen Egoismus arbeiten und Empfangen, um zu Geben (diejenigen, die sich auf der tierischen Stufe befinden, sind dazu nicht fähig).
- Er hängt überhaupt nicht von seinesgleichen ab, von der Gesellschaft, wie von den auf der pflanzlichen Stufe befindenden.
- Er spürt andere und kann sich daher um sie sorgen. Er füllt nicht nur sich selbst, sondern er schließt in sich die Wünsche anderer ein, korrigiert und füllt sie.
Dies ist die Stufe der allgemeinen Liebe, wenn sich der Mensch vollkommen dem Schöpfer angleicht. Er kann an Qualen der Gesellschaft leiden – er erlangt von der Gesellschaft die leeren Kelim und kann sich an den Freuden der Gesellschaft erfreuen – er füllt sie mit Licht, welches im Weiteren auch die Gesellschaft selbst erhält.
Der Mensch erhebt sich sozusagen bis zur Wurzel seiner Seele, schließt in sich alle anderen Seelen ein und stellt somit ein Beispiel Adams dar, indem er alle anderen im eigenen Inneren korrigiert. Noch spüren die anderen diese Korrektur überhaupt nicht, aber der Mensch korrigiert an allen den eigenen Teil, schließt alle als einen korrigierten Teil an sich an und erreicht daher die eigene Endkorrektur. Er kann sowohl an der Vergangenheit als auch an der Zukunft teilhaben, während die tierische Stufe nur die Gegenwart und sich selbst verspürt.
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