Kabbala – eine geheime Lehre
Einführung
Seit jeher strebt der Mensch danach, Antworten auf die grundlegenden Fragen seiner Existenz zu finden: Was bin ich? Was ist das Ziel meines Lebens? Warum existiert die Welt? Werden wir nach dem Tod in irgendeiner Form weiter existieren? Jeder Mensch sucht die Antworten auf diese Fragen in den Quellen, die ihm zugänglich sind, und entwickelt dabei seine eigene Weltanschauung, die auf den Überzeugungen beruht, die ihm am sichersten erscheinen.
Die Realität und der Alltag stellen ständig die Richtigkeit unserer Ansichten infrage und zwingen uns, diese zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern. Bei manchen Menschen geschieht dies bewusst, bei anderen unbewusst. Der Antrieb für diesen Wandel und die Suche nach der Wahrheit ist das Streben nach dem Entkommen aus dem Leid und dem Wunsch, das Leben zu genießen. In dieser Hinsicht sind wir den Tieren nicht unähnlich. Eine Kuh, ein Frosch oder ein Fisch streben auf ihre Weise danach, möglichst viel vom Leben zu erhalten und so wenig wie möglich zu leiden. Die Gesetze der Natur, unsere eigenen Erfahrungen und die Lebensweise aller Wesen zeigen uns, dass es keine vernünftige Möglichkeit gibt, dem Schmerz des Lebens zu entkommen. Im besten Fall akzeptiert man diese Tatsache als ein unvermeidbares Übel.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens verleiht dem alltäglichen menschlichen Leid eine tiefere Dimension. Es ist die Frage: „Warum leide ich überhaupt?“. Diese Frage hindert uns daran, Genugtuung zu empfinden, selbst wenn ein Wunsch zeitweise in Erfüllung geht. Ein Mensch, der ein angestrebtes Ziel erreicht hat, merkt bald, dass ihm trotzdem noch etwas fehlt. Dieser neue Wunsch hindert ihn daran, sich auf den erreichten Lorbeeren auszuruhen, und das Problem beginnt von vorn. Rückblickend erkennt er, dass er die meiste Zeit seines Lebens mit dem mühsamen Streben nach verschiedenen Zielen verbracht hat, ohne den Erfolg jemals wirklich genießen zu können.
Da viele dieser Fragen unbeantwortet bleiben, richten viele, vor allem jüngere Menschen, ihre Suche nach der Wahrheit in Richtung Indien und den Fernen Osten, wo sie hoffen, Lösungen durch „spirituelle“ Techniken zu finden.
Meditationen, spezielle Ernährungsweisen und Gehirntraining wecken natürliche Instinkte und ermöglichen es, sich besser zu fühlen. Der Mensch merkt, dass er seine Reaktionen besser kontrollieren kann und beginnt zu glauben, dass sich sein Bewusstsein entwickelt. Er lernt, auf die Bedürfnisse seines Körpers besser zu achten, sie zu begrenzen und rational zu befriedigen. Diese Methode lehrt ihn, seine Ansprüche auf ein Minimum zu reduzieren und seine Wünsche zu unterdrücken. Doch dies stellt lediglich einen Versuch dar, sich selbst zu vergessen. Denn die Wünsche bleiben, auch wenn sie verdrängt werden, und die Frage nach dem Sinn des Lebens bleibt ungelöst. Bald wird der Mensch erkennen, dass er sich vor der Wahrheit nicht verstecken kann. Durch die Unterdrückung der Wünsche kommt er dem Verständnis seines Lebenssinns keinen Schritt näher.
Die Menschheit sucht seit Jahrtausenden nach einer logischen Erklärung für unsere Existenz und das Ziel der Schöpfung, indem sie die Naturgesetze erforscht. Die Wissenschaft nutzt verschiedene Theorien und setzt Geräte ein, die nach menschlicher Logik entwickelt wurden, und die daher der menschlichen Logik nicht widersprechen können. Alles, was mit wissenschaftlichen Geräten nicht gemessen und durch unsere Sinne nicht wahrgenommen werden kann, liegt außerhalb unserer Wahrnehmungsgrenzen und bleibt für die Wissenschaft ein unerforschter Bereich. Die menschliche Seele und die Motivation für unser Handeln entziehen sich der rein wissenschaftlichen Untersuchung. Immer häufiger entdecken moderne Wissenschaftler, dass je tiefer sie in ihre Forschungen eintauchen, desto verwirrender und unklarer das Weltbild wird. Die fortschrittlichsten wissenschaftlichen Abhandlungen ähneln zunehmend der Mystik und Science-Fiction, liefern jedoch auch keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Kabbala als Wissenschaft bietet einen eigenen Ansatz zur Erforschung der Welt – durch die Entwicklung zusätzlicher Fähigkeiten des Menschen, mit denen er die Welt „mit anderen Augen“ sehen kann. Der Begriff „Kabbala“ (hebräisch „empfangen“) drückt das Streben aus, höhere Erkenntnis zu erlangen und das wahre Weltbild zu erfahren. Die Kabbalisten lehren in ihren Schriften eine Methodik zur Untersuchung der Welt, die auf ihren persönlichen Erfahrungen basiert. Diese Methodik, die als Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens dienen soll, wird auf Hebräisch „Chochmat ha Kabbala“ genannt – die Weisheit der Höheren Macht.
Was ist Kabbala?
Kabbala ist eine Wissenschaft, die dem Menschen sehr nahe liegt, denn sie beantwortet fundamentale Fragen: Warum existieren wir und kommen auf diese Welt? Was ist unser Ursprung und wohin gehen wir, wenn unser irdischer Weg endet? Die Antworten auf diese Fragen erhält der Kabbalist noch in diesem Leben, hier und jetzt. Im Wesentlichen stellt Kabbala eine Methode dar, die spirituelle Welt und somit unsere Welt zu erfassen, wobei unsere Welt eine Folgeerscheinung der spirituellen Welt ist. Einerseits vermittelt diese Lehre umfangreiches Wissen über die spirituellen Welten, andererseits entwickelt das Lernen selbst ein zusätzliches „Empfindungsorgan“. Mit diesem neuen „Organ“ wird es möglich, in Kontakt mit den spirituellen Welten zu treten.
Das Studium der Kabbala ist keineswegs rein theoretisch oder abstrakt, sondern es ist untrennbar mit der Praxis verbunden: Der Mensch erfährt durch das Studium über sich selbst, was er ist, lernt seine eigene Natur kennen und erkennt, welche Veränderungen für ihn notwendig sind. Alles, was der Kabbalist erfährt, wird ihm allein und in seiner inneren Welt offenbart. Vor anderen Menschen sind seine Empfindungen und Erkenntnisse verborgen. Aus diesem Grund wird Kabbala auch als „geheime Lehre“ bezeichnet. Nur der Kabbalist allein weiß, was in ihm geschieht und was er wahrnimmt. Der Antrieb für alle menschlichen Handlungen ist der Wunsch, Vergnügung zu erfahren. Doch die Frage bleibt: Wie kann man das maximale Vergnügen mit minimalem Aufwand erreichen? Jeder Mensch versucht, diese Frage auf seine Weise zu beantworten.
Das menschliche Verlangen nach Vergnügen entwickelt sich weiter: Ein anfänglicher Wunsch führt zu einem Streben nach einfachen, „tierischen“ Freuden. Wenn sich die Wünsche weiterentwickeln, strebt der Mensch nach Reichtum und Respekt. Ein weiteres Wachstum dieser Wünsche führt zu einem Verlangen nach Macht. Ein noch stärkerer Wunsch nach Genuss äußert sich im Streben nach Wissen. Der größte Wunsch manifestiert sich im Drang nach Spiritualität. Der Mensch folgt unbewusst jedem dieser Wünsche und versucht, sie mit allen Mitteln zu erfüllen. Kabbala ist die „Mathematik der Gefühle“. Sie analysiert die Gesamtheit menschlicher Wünsche und Gefühle und stellt für jede Erscheinung und jede Nuance der Wahrnehmung eine Art mathematische „Formel“ auf.
Für den Neuling mag Kabbala zunächst wie eine Wissenschaft aus Quersummen, Matrizen und Zeichnungen erscheinen. Doch diejenigen, die tiefer in das Studium eintauchen, entdecken hinter der Fassade dieser exakten Wissenschaft die Erfahrung einer spirituellen Welt. Die Wissenschaft der Kabbala ist eine uralte, bewährte Methode. Mit ihr kann der Mensch ein höheres Bewusstsein erlangen und den Sinn der Schöpfung sowie seines eigenen Lebens begreifen. Wenn ein Mensch wirklich nach Spiritualität strebt, wenn dieser Wunsch ihn nicht zur Ruhe kommen lässt, dann kann er durch spezielle Literatur seine Wünsche so entwickeln, dass sich das Höhere ihm offenbart.
Lohnt es sich, Kabbala zu studieren?
Bei der Erwähnung der Kabbala tauchen oft folgende Einwände auf:
- Das Studium der Kabbala könne einen verrückt machen.
- Man dürfe die Kabbala erst nach dem vierzigsten Lebensjahr studieren.
- Ein Kabbalist müsse verheiratet sein.
- Frauen dürften die Kabbala nicht studieren.
- Nur diejenigen, die alle jüdischen religiösen Gesetze kennen und befolgen, dürften sich mit der Kabbala befassen.
- Das Studium der Kabbala mache religiös.
- Bevor man den geheimen Teil der Tora, die Kabbala, studiert, müsse man den offenen Teil der Tora verstehen, also die einfache Auslegung der Tora.
Die allgemeine Meinung lautet daher oft, dass es besser sei, sich davon fernzuhalten. Eine Antwort auf diese ablehnenden Ansichten wird teilweise im Kapitel „Aus dem Vorwort zu ‚Talmud Esser HaSefirot‘“ gegeben. Diese Bedenken speisen sich aus der Angst, dass sich religiöse Menschen, die die Gebote befolgen, durch das Studium der Kabbala von der Tora und den religiösen Geboten entfernen könnten. Doch wir beobachten, dass viele Menschen sich von der Religion abwenden, ohne dass sie mit der Kabbala in Berührung gekommen sind. Vor etwa 100 Jahren waren fast alle Juden noch religiös.
In den Jahren, als die stärker entwickelten Seelen in diese Welt herabstiegen, endete eine Ära des jahrhundertelangen Schlafes, und die Zeit der Erleuchtung begann. Diese Seelen konnten ihre Sehnsucht nach mehr Wissen, über das Ziel und den Sinn der Schöpfung, nicht länger allein durch das Studium der Tora befriedigen. Deshalb führt die Ablehnung des Studiums der Kabbala zu einem Desinteresse an der Religion, da eine gewöhnliche religiöse Lehre zu wenig Antworten auf die tiefsten Fragen des Menschen liefert. Genau in dem Maße, in dem Menschen nicht mehr durch das traditionelle Judentum angesprochen werden, zieht die Kabbala sie an.
Im 16. Jahrhundert schrieb der große Kabbalist ARI, dass die Kabbala ab seiner Lebenszeit für Männer, Frauen, Kinder und Nichtjuden zugänglich sein werde, und dass praktisch alle nicht nur befähigt, sondern sogar verpflichtet sein würden, sie zu studieren. Rabbi Jehuda Aschlag, der größte Kabbalist unserer Zeit, sagte im „Vorwort zu Talmud Esser HaSefirot“, Punkt 2: „Tatsächlich bin ich mir sicher, dass alle Zweifel über die Notwendigkeit des Studiums der Kabbala sofort verschwinden werden, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf eine wichtige Frage lenken: ‚Worin besteht der Sinn meines Lebens?‘“
Rabbi Ashlag streitet nicht mit denen, die sich dem Studium der Kabbala widersetzen oder es mit verschiedenen Ausreden rechtfertigen. Er stellt lediglich die Frage: „Was ist der Sinn unseres Lebens?“ Und nur dann, wenn diese Frage einem Menschen wirklich keine Ruhe mehr lässt, wird er beginnen, sich ernsthaft mit der Kabbala zu beschäftigen.
Wer ist ein Kabbalist?
Ein Kabbalist ist ein Mensch, der äußerlich wie jeder andere aussieht. Er muss weder besonders klug noch ein Wissenschaftler sein. In seiner äußeren Erscheinung gibt es nichts Heiliges. Doch dieser gewöhnliche Mensch hat in einer bestimmten Phase seines Lebens wahre und vollständige Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens erhalten. Durch das Studium der Kabbala hat er einen zusätzlichen „sechsten Sinn“ entwickelt – den für das Spirituelle. Mit diesem Sinn ist er in der Lage, die spirituelle Welt als eine unmittelbare Realität zu erfahren, so wie wir unsere alltägliche Welt wahrnehmen.
Ein Kabbalist erlebt und empfindet die höchste Welt unmittelbar. Sie wird als die „höchste“ Welt bezeichnet, weil sie außerhalb unserer gewohnten Sinneswahrnehmungen liegt. Ein Kabbalist sieht, wie alles aus der höchsten Welt herabsteigt und in unserer Welt manifest wird. Er lebt gleichzeitig in beiden Welten – der höchsten und der niedrigsten. Kabbalisten erhalten echte Informationen über die Existenz um uns herum, die von uns nicht wahrgenommen werden können. Denn der gewöhnliche Mensch nimmt nur einen kleinen Teil der gesamten Schöpfung wahr.
Die Kabbalisten haben die Möglichkeit, diese Realität zu erforschen, zu untersuchen und uns ihre Erkenntnisse über die Schöpfung, die Quelle unseres Lebens und darüber hinaus zu vermitteln. Sie lehren uns auch eine Methode, mit der wir die höhere Welt erkennen können. Ihr Wissen geben sie in Schriften weiter, die in einer speziellen Sprache verfasst sind. Daher muss man diese Texte unter Anleitung eines Kabbalisten und mit einer bestimmten Methodik studieren. So werden diese Bücher zu einem Werkzeug, um die wahre Realität zu erkennen.
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