Kabbala – eine geheime Lehre

Von Dr. Michael Laitman

Einführung

Schon immer suchte der Mensch nach Antworten auf die wichtigsten Fragen seiner Existenz: Was bin ich, was ist das Ziel meines Lebens, warum existiert die Welt, werden wir nach unserem Tod in irgendeiner Form weiter existieren? Jeder Mensch versucht, die Antworten auf diese Fragen aus den ihm zugänglichen Informationsquellen zu schöpfen. Jeder von uns entwickelt seine eigene Weltanschauung, die auf einer Einstellung basiert, die ihm am sichersten erscheint.

Die Realität und das alltägliche Leben prüfen ständig die Richtigkeit unserer Ansichten und zwingen uns, sie zu korrigieren und zu verändern. Bei einigen vollzieht sich dieser Prozess bewusst, bei den anderen nicht. Die Ursache, die uns zu den Veränderungen und der Suche nach der Wahrheit zwingt, ist das Streben, dem Leid zu entkommen und das Leben zu genießen. In dieser Hinsicht ähneln wir allen Tieren. Eine Kuh, ein Frosch oder Fisch versuchen, jeder auf seine Art, soviel wie möglich vom Leben zu bekommen und so wenig wie möglich zu leiden. Die Gesetze der Natur, unsere Erfahrung, die Lebensart aller Wesen zeigen uns, dass es keine vernünftige Möglichkeit gibt, dem Schmerz des Lebens zu entkommen. Im besten Falle akzeptiert man diese Tatsache als ein nicht zu vermeidendes Übel.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens fügt zum alltäglichen menschlichen Leiden noch eine globale Komponente hinzu. Es ist die Frage: „Wofür leide ich überhaupt?“. Diese Frage lässt uns eine Genugtuung auch dann nicht empfinden, wenn einer von unseren Wünschen zeitweilig in Erfüllung geht. Ein Mensch, der das gewünschte Ziel erreicht, merkt ziemlich schnell, dass ihm doch noch etwas fehlt. Dieser neue Wunsch lässt ihn auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen, und die Probleme beginnen von vorne. Zurückblickend kann er sehen, dass er die meiste Zeit seines Lebens mit den mühseligen Versuchen, verschiedene Ziele zu erreichen, verbracht hat und trotzdem den Erfolg nie richtig genießen konnte.

Und weil man keine Antworten auf diese und viele andere Fragen bekommt, richten sich viele Augen meist jüngerer Leute auf der Suche nach Wahrheit nach Indien und in den Fernen Osten. Dort glaubt man, eine Lösung der Probleme mit Hilfe der „spirituellen“ Techniken zu finden.

Verschiedene Meditationen, Nahrungsmethoden und Gehirntraining wecken Naturinstinkte und erlauben es, sich komfortabler zu füllen. Der Mensch merkt, dass er seine Reaktionen besser kontrollieren kann und glaubt sogar, dass sein Bewusstsein sich entwickelt. Er lernt, auf die Bedürfnisse seines Körpers besser zu achten, sie zu begrenzen und rational zu befriedigen. Diese Methode lehrt, die Ansprüche auf ein minimales Niveau zu reduzieren und die Wünsche zu unterdrücken. Dies stellt jedoch lediglich einen Versuch dar, sich zu vergessen. Denn die Wünsche bleiben trotz der Verdrängung erhalten, und die Frage nach dem Sinn des Lebens wird sowieso nicht beantwortet. Der Mensch entdeckt bald, dass er sich vor der Wahrheit nicht verstecken kann. Durch die Unterdrückung der Wünsche kommt er der Lösung seines Problems nicht ein Stück näher.

Die Menschheit sucht schon seit vielen Jahrtausenden mit Hilfe der wissenschaftlichen Methoden nach einer logischen Begründung unserer Existenz und des Ziels der Schöpfung, indem der Mensch die Gesetze der Natur untersucht. Die Wissenschaft bedient sich verschiedener Theorien und benutzt dabei Geräte, die nach menschlicher Logik entwickelt wurden und daher ihr nicht widersprechen können. Alles, was mit wissenschaftlichen Geräten nicht gemessen und durch unsere Sinne nicht wahrgenommen werden kann, befindet sich außerhalb unserer Wahrnehmungsgrenzen und ist daher kein Untersuchungsobjekt der Wissenschaft. Die Seele des Menschen und die Motivation seiner Handlungen befinden sich jenseits der rein wissenschaftlichen Untersuchungen. Die modernen Wissenschaftler entdecken immer öfter, dass je tiefer sie in ihren Untersuchungen vorstoßen, desto verschwommener und verwirrender ihnen das Weltbild erscheint. Die fortschrittlichsten wissenschaftlichen Bücher ähneln immer stärker der Mystik und Science-Fiction, wobei auch sie keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens liefern.

Kabbala als Wissenschaft bietet ihre eigene Methode, die Welt zu erforschen – durch die Entwicklung von zusätzlichen Fähigkeiten des Menschen, mit deren Hilfe er die Welt „mit anderen Augen“ sehen kann. Das Wort „Kabbala“ (hebräisch „bekommen“) drückt das Streben danach aus, das höhere Wissen zu bekommen und das wahre Weltbild zu empfinden. Die Kabbalisten lehren und beschreiben in ihren Büchern die Methodik zur Untersuchung der Welt, die auf ihren persönlichen Erfahrungen beruht. Diese Methodik, welche die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens liefern soll, wird auf hebräisch „Chochmat ha Kabbala“ genannt – die Weisheit der Höheren Kraft.

Was ist Kabbala?

Kabbala ist die Wissenschaft, die dem Menschen eigentlich sehr nahe liegt. Denn sie beantwortet die fundamentalen Fragen: Warum existieren wir und kommen auf diese Welt, was ist unser Ursprung und wohin gehen wir, wenn unser Weg hier beendet ist? Die Antworten auf diese Fragen bekommt ein Kabbalist noch in diesem Leben, hier und jetzt. Im Prinzip stellt Kabbala eine Methode zur Erfassung der spirituellen und damit unserer Welt dar, wobei unsere Welt eine Folgeerscheinung der spirituellen Welt ist. Einerseits vermittelt diese Lehre umfangreiche Kenntnisse über die spirituellen Welten, andererseits entwickelt das Lernen selbst ein zusätzliches „Empfindungsorgan“. Mit Hilfe dieses neuen „Organs“ bekommt man die Möglichkeit, mit den spirituellen Welten in Kontakt zu treten.

Das Lernen der Kabbala ist keineswegs theoretisch oder abstrakt, sondern ist untrennbar mit der Praxis verbunden: Der Mensch erfährt über sich selbst, was er ist, er lernt seine Natur kennen und begreift, welche Veränderungen für ihn notwendig sind.  Alles, was ein Kabbalist erfährt, eröffnet sich nur ihm und nur in seiner inneren Welt. Vor anderen Menschen sind seine Empfindungen und Kenntnisse verborgen. Genau aus diesem Grund wird Kabbala auch als eine „Geheime Lehre“ bezeichnet. Denn nur der Kabbalist allein weiß, was mit ihm passiert, und was er sieht. Die Ursache für alle menschlichen Taten ist der Wunsch, verschiedenartige Vergnügen zu bekommen. Die Frage ist nur, wie man das maximale Vergnügen mit dem minimalen Einsatz bekommt. Jeder versucht, diese Frage auf seine Weise zu beantworten.

Das menschliche Verlangen nach Vergnügen entwickelt sich und wächst: Der kleinste Wunsch zu bekommen lässt in dem Menschen ein Streben nach einfachen, „tierischen“ Vergnügen entstehen. Wenn sich die Wünsche weiterentwickeln, strebt der Mensch nach Reichtum und Respekt. Ein weiteres Wachstum der Wünsche verursacht in dem Menschen ein Streben nach der Macht. Ein noch stärkerer Wunsch zu bekommen, verursacht ein Verlangen nach Wissen. Und der größte Wunsch zeigt sich in dem Streben nach dem Spirituellen. Der Mensch unterwirft sich widerstandslos auf jeder Entwicklungsstufe seinen Wünschen und versucht, sie mit allen Mitteln zu erfüllen. Kabbala ist die „Mathematik der Gefühle“. Sie betrachtet die Gesamtheit der menschlichen Gefühle und Wünsche, analysiert sie und erzeugt für jede Erscheinung, jede Nuance des Gefühls und der Wahrnehmung eine Art mathematische „Formel“.

Dem Neuling scheint, dass Kabbala zum Gegenstand die Quersummen, Matrizen und Zeichnungen hat. Aber diejenigen, die weiterkommen, entdecken hinter der Fassade der exakten Wissenschaft eine Empfindung der spirituellen Welt. Die Wissenschaft Kabbala ist eine uralte, geprüfte Methode. Mit deren Hilfe kann der Mensch das höhere Bewusstsein und die geistige Erfassung vom Ziel der Schöpfung und seines individuellen Lebens bekommen. Wenn ein Mensch zum Spirituellen wirklich strebt, wenn dieser Wunsch ihn nicht in Ruhe lässt, dann kann er mit Hilfe der speziellen Literatur seine Wünsche so entwickeln, dass sich das Höhere ihm offenbart.

Lohnt es sich, die Kabbala zu studieren?

Jedes mal, wenn die Rede von der Kabbala ist, werden folgende Einwände angeführt:

  • Vom Studieren der Kabbala kann man verrückt werden;
  • Man darf die Kabbala erst nach dem vierzigsten Lebensjahr studieren;
  • Ein Kabbalist ist verpflichtet, verheiratet zu sein;
  • Den Frauen ist es verboten, die Kabbala zu studieren;
  • Es dürfen sich nur diejenigen mit der Kabbala befassen, die alle jüdischen religiösen Gesetze kennen und befolgen;
  • Die Kabbala macht religiös;
  • Bevor man den geheimen Teil der Tora, die Kabbala, studiert, muss man mit dem offenen Teil der Tora vertraut sein, das heißt, mit der einfachen Auslegung der Tora.

Somit lautet die übliche Meinung: Es ist besser, das ganz in Ruhe zu lassen. Eine Antwort auf diese ablehnenden Ansichten wird zum Teil in dem Kapitel „Aus dem Vorwort zu „Talmud Esser HaSefirot“ gegeben. Diese Befürchtungen werden aus der Quelle der Angst gespeist, dass die religiösen Menschen, die sich an die Gebote halten, sich durch das Studieren der Kabbala von der Tora und den Geboten der religiösen Lebensart entfernen könnten. Jedoch beobachten wir schon seit einigen Generationen ohne jegliche Verbindung zur Kabbala, die Massenerscheinung der Abwendung von der Religion. Dem gegenüber waren noch vor etwa 100 Jahren fast alle Juden religiös.

In den Jahren, als die stärker entwickelten Seelen in unsere Welt herabstiegen, endete eine Epoche des jahrhundertelangen Schlafes und es begann die Zeit der Erleuchtung. Diese Seelen konnten ihren Drang nach mehr Wissen, über das Ziel und den Sinn der Schöpfung, nicht mehr alleine durch das Studieren der Gesetze der Tora befriedigen. Deshalb verursacht die Ablehnung des Studiums der Kabbala das Desinteresse an der Religion, da eine gewöhnliche religiöse Lehre keine oder zu wenige Antworten darauf gibt, was jeden Menschen wirklich tief bewegt. In dem selben Maße, indem die Menschen nicht durch das gewöhnliche Judentum angesprochen werden, wirkt die Kabbala anziehend auf sie.

Im 16. Jahrhundert schrieb der große Kabbalist ARI, dass die Kabbala beginnend mit seiner Lebenszeit für Männer, Frauen, Kinder und Nichtjuden bestimmt sein wird, und dass praktisch alle nicht nur befähigt, sondern sogar verpflichtet sein werden, die Kabbala zu studieren. Rabbi Jehuda Aschlag, der größte Kabbalist unserer Zeit, sagt im „Vorwort zu Talmud Esser Ha Sefirot“, Punkt 2: Tatsächlich, bin ich mir sicher, dass alle Zweifel über die Notwendigkeit des Studiums der Kabbala sofort verschwinden werden, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nur auf eine wichtige Frage lenken. Und diese Frage, die sich alle Sterblichen stellen, ist: Worin besteht der Sinn meines Lebens ?!“

Rabbi Ashlag streitet nicht mit denjenigen, die sich dem Studium der Kabbala widersetzen oder ihre Tatenlosigkeit mit verschiedenen Ausreden rechtfertigen. Er fragt einzig und allein: „Was ist der Sinn unseres Lebens?“ Damit wendet er sich direkt an jene Menschen, die sich aufrichtig im Inneren diese Frage stellen. Und nur dann, wenn diese Fragestellung einem Menschen wirklich keine Ruhe mehr lässt, wird er damit beginnen, sich ernsthaft mit der Kabbala zu beschäftigen.

Wer ist ein Kabbalist?

Ein Kabbalist ist ein Mensch, der sich äußerlich durch nichts von den anderen Menschen unterscheidet. Er muss weder besonders klug noch ein Wissenschaftler sein. In seinem äußeren Erscheinungsbild gibt es auch nichts Heiliges. Es ist einfach so, dass dieser gewöhnliche Mensch während einer bestimmten Etappe seines Lebens wahre und vollständige Antworten auf seine Fragen über den Sinn des Lebens erhielt. Durch das Studium der Kabbala erlangte dieser gewöhnliche Mensch darüber hinaus einen zusätzlichen sechsten Sinn – den für das Spirituelle. Durch diesen Sinn ist er in der Lage, die spirituelle Welt als eine unmittelbare Realität zu empfinden, genau so, wie wir unsere alltägliche Realität und Welt wahrnehmen.

Ein Kabbalist erfährt und empfindet selbst die höchste Welt ganz unmittelbar. Sie wird als die „höchste“ Welt bezeichnet, weil sie sich außerhalb unserer gewöhnlichen Sinneswahrnehmungen befindet. Ein Kabbalist sieht, wie alles aus der höchsten Welt herabsteigt und in unserer Welt geboren wird. Er befindet sich gleichzeitig in beiden Welten, der höchsten und der niedrigsten. Die Kabbalisten erhalten reale Informationen, die um uns herum existent sind, jedoch von uns nicht richtig wahrgenommen werden können. Denn ein gewöhnlicher Mensch nimmt nur einen kleinen Ausschnitt der ihn umgebenden Schöpfung wahr.

Weiterhin haben die Kabbalisten die Möglichkeit, diese Realität zu erforschen, zu untersuchen und uns ihre Erkenntnisse über die gesamte Schöpfung, über die Quelle unseres Lebens und noch darüber hinaus, was uns in Zukunft geschehen wird, mitzuteilen. Sie lehren uns zusätzlich eine Methode der Erkenntnis der höheren Welt. Ihr Wissen überliefern sie in Büchern, die in einer besonderen Sprache verfasst sind. Aus diesem Grund muss man diese Schriften unter der Leitung eines Kabbalisten mit einer besonderen Methodik studieren. So werden diese Bücher zu einem Mittel für die Erkenntnis der wahren Realität.

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